Compagnie Käfig im Bonner Opernhaus Tanz in der dritten Dimension
Bonn · Eine Performance, die den Boden und die Lüfte erobern will: Choreograf Mourad Merzouki und seine Compagnie Käfig begeistern im Bonner Opernhaus mit dem Stück „Vertikal“.
Schaut man Breakdancern bei der Ausübung ihrer artistischen Kunst zu, stellt sich leicht der Eindruck ein, sie wollten sich durch ihre rasant kreisenden Bewegungen kopfüber und mit den wirbelnden Beinen in der Luft geradewegs in den Boden hineinbohren. Das unterscheidet diesen Tanz von vielen anderen. Ob Wiener Walzer oder klassischer Spitzentanz: Immer schwingt etwas von der uralten Sehnsucht des Menschen mit, die Schwerkraft zu überwinden und fliegen zu können. Der in einem Banlieue von Lyon aufgewachsene, mit der Hip-Hop-Kultur bestens vertraute Choreograf Mourad Merzouki aber will beides, den Boden und die Lüfte erobern: In seinem Stück „Vertikal“ lässt er den Breakdance buchstäblich abheben.
Das konnte man jetzt in zwei ausverkauften Vorstellungen am Mittwoch und Donnerstag in der Reihe „Highlights des internationalen Tanzes“ im Bonner Opernhaus erleben, wo er mit seiner 1996 gegründeten Compagnie Käfig gastierte. Den programmatischen deutschen Namen hat Merzouki gewählt, weil es wohl auch im Arabischen ein nahezu gleichlautendes Wort gibt, das einen Ort des Eingesperrtseins beschreibt, dem er seit seiner Jugend zu entkommen versucht. „Vertikal“ kommt tatsächlich wie ein Akt der Befreiung daher, insbesondere in solchen Momenten, wenn die fünf Tänzerinnen und fünf Tänzer aus einer Breakdance-Bewegung heraus an Seilen befestigt plötzlich durch die Lüfte fliegen.
Ein ästhetisches Ereignis
Schon die von Benjamin Lebreton entworfene Bühne ist ein ästhetisches Ereignis. Im Zentrum stehen fünf verschiebbare hohe Türme, die durch das meist warme Licht wunderbar in Szene gesetzt werden. Die Tänzerinnen und Tänzer schweben, pendeln und kreisen durch den Raum, stoßen sich mit den Füßen an den Türmen ab, klettern mit behänder Leichtigkeit auf ihnen herauf, um gleich wieder kopfüber herabzustürzen. Manchmal drohen sie von zwei sich aufeinander zubewegenden Türmen erdrückt zu werden, oder sie versuchen vergebens zu fliehen, weil ein Seil sie an den Turm fesselt. In diesen Szenen hat auch der Zirkus, mit dem Merzouki früh in seinem Leben in Berührung kam, sichtbar Spuren in seiner Arbeit hinterlassen. „Vertikal“ erzählt keine konkrete Geschichte, oft aber gibt es Szenen, die auf sublime Weise an die Gewalt in den Straßen der Vorstädte erinnert. Wenn die Tänzer etwa Menschentrauben bilden und es zu einer Art Kampf kommt, bei dem ein einzelner sich gegen die Gruppe behaupten muss.
In der Art, wie solch eine Szene rhythmisiert ist, wie die Tänzer plötzlich das Tempo auf Zeitlupengeschwindigkeit zurücknehmen, um dann wieder hochenergetisch fortzufahren, wie die Bewegung des Einzelnen eine Reaktion in der Gruppe auslöst, das besitzt eine ganz eigene Ausdruckskraft. Die Tänzer bewegen sich dabei mit solch phänomenaler Präzision, dass sie wirken wie ein kollektiver Organismus. Manches ist pure Poesie. Vor allem dann, wenn die Gruppe sich in der dritten Dimension aufzulösen scheint, sich ein Teil noch auf der Erde befindet, während die anderen wie Luftwesen zu schweben beginnen.
Merzouki geht es darum, Grenzen aufzulösen. Dazu passt auch die Musik, die Armand Amar zu „Vertikal“ komponiert hat. Zu Beginn hört man den ruhigen melancholischen Gesang einer Frauenstimme, die in einem Meer aus Klang mündet. Elektronische Beats treffen auf akustische Instrumente und entwickeln mit der Zeit eine kraftvolle, mitreißende Dynamik. Weite Klanglandschaften werden von pulsierenden, an Minimal Music erinnernde Rhythmen abgelöst. Da fühlt man sich schon beim Hören ein bisschen schwerelos. Das Publikum brach nach der Vorstellung in großen Jubel aus.