Premiere im Kleinen Theater Tiefe, Tragik, Trauma

Umjubelt: „Die Kameliendame“ mit Anouschka Renzi im Kleinen Theater Bad Godesberg. Renzi hat ihre Marguerite verinnerlicht. Mehr noch: Sie setzt atmosphärische Glanzlichter.

 In Champagnerlaune: Anouschka Renzi (links) und Sandra Krolik.

In Champagnerlaune: Anouschka Renzi (links) und Sandra Krolik.

Foto: Friedhelm Schulz

Es gibt hübsche, schöne und begehrenswerte Frauen. Und es gibt Frauen, für die reichen diese Attribute nicht aus. Frauen, die neben ihrer Schönheit eine überwältigende Aura besitzen. Marguerite Gautier, wegen ihrer floralen Vorliebe die Kameliendame genannt, ist so eine Frau. Die bezauberndste Edelkurtisane von Paris ist in die höchsten Kreise aufgestiegen, sie kann alles und jeden haben. Nur wahre Liebe, das hat auch sie erfahren müssen, ist nicht käuflich. Beidseitig erfüllte, bedingungslose Liebe erscheint nicht, wenn man Portemonnaie oder Dekolleté öffnet.

Im Kleinen Theater Bad Godesberg, wo am Samstagabend „Die Kameliendame“ nach Alexandre Dumas (Sohn) umjubelte Premiere feierte, lockt nun ein Rendezvous mit einer der berühmtesten Frauenfiguren der Literatur- und Theatergeschichte. Auf der Bühne erfuhren Sarah Bernhardt und Eleonora Duse Triumphe, auf der Kinoleinwand verkörperte Greta Garbo die Luxusmätresse. Es ist eine Star-Rolle ersten Ranges. Im Kleinen Theater beweist Anouschka Renzi als „Kameliendame“ nicht nur, dass sie eine großartige Schauspielerin ist. Sondern auch, dass sie die Tiefe, die Tragik und das Trauma der Geschichte verstanden und durchdrungen hat. Ihre intensive und berührende Interpretation der Titelrolle ist umso höher zu bewerten, als sie gegen eine sehr komprimierte Version des Stückes ankämpfen muss.

Regisseur Rolf Heiermann hat die Bühnenfassung von Katalin Glavinic bearbeitet und den ursprünglichen Fünfakter von Dumas-fils für eine knapp zweistündige Version (inklusive Pause) auf das Grundgerüst eingedampft. Für die Figurenzeichnung und das Ausleuchten ihrer Motivationen ist dies, vorsichtig formuliert, nicht unproblematisch. Ein längerer erzählerischer Atem hätte der Inszenierung nicht geschadet. So gibt es „Die Kameliendame kompakt“.

„Diese Frau war ein Engel“, sagt Armand Duval über jene Marguerite. Nikolas Knauf spielt den jungen Liebenden mit viel Herzblut, jugendlichem Eifer und jungenhaftem Charme. In einer Rahmenhandlung erzählt Armand keinem Geringeren als Alexandre Dumas-fils (Karl-Heinz Dickmann) von seiner unglücklichen Liebe zu Marguerite. Wie er sie das erste Mal durch das Schaufenster eines Geschäftes erblickte und das Gefühl hatte, einer Göttin ansichtig geworden zu sein. In einem effektvollen dramaturgischen Kunstgriff schwebt Anouschka Renzi in einem hinreißenden, weißen, edelsteinbesetzten Kleid während dieser Schilderung an den beiden Herren vorbei.

Es folgen zahlreiche Kostümwechsel für die Hauptdarstellerin, und weil es in der gerafften Handlung Schlag auf Schlag geht, ist es für alle Schauspieler schwierig, ihren Figuren Profil zu verleihen. Anouschka Renzi gelingt dies unangestrengt, denn sie hat ihre Marguerite verinnerlicht. Mehr noch: Sie setzt atmosphärische Glanzlichter. Nachdem Marguerite mit ihrer großen, ersten echten Liebe Armand aufs Land gezogen ist, lässt Renzi wiederaufkeimende Lebensfreude durchscheinen und porträtiert eine mädchenhafte Wiedergeburt. Später, als sie ihren reichen Gönner, den Herzog (Rainer Hannemann), hinauswirft, erleben wir sie ganz überwältigt und geradezu schwindelerfüllt von ihrer eigenen Courage. Aber das Glück der Liebenden ist nur von kurzer Dauer. Der wunderschöne Engel, der Kamelien so sehr mochte – er darf nicht glücklich sein.

Die Kameliendame, täglich (20 Uhr) bis 18. September (4. und 11. September nur 16 Uhr) im Kleinen Theater Bad Godesberg. Karten unter (0228) 36 28 39.

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