Talkrunde bei „Anne Will“ Armin Laschet verteidigt Lockerung der Corona-Maßnahmen

Düsseldorf · In der Talkrunde bei „Anne Will“ geht es um die Lockerungen der Corona-Maßnahmen. Armin Laschet tritt mit einer forschen Ansage an, findet sich aber schon bald in der Defensive wieder.

 Die Talkrunde bei „Anne Will“ am Sonntagabend.

Die Talkrunde bei „Anne Will“ am Sonntagabend.

Foto: imago images/Jürgen Heinrich/Jürgen Heinrich via www.imago-images.de

Moderatorin Anne Will begrüßte am Sonntagabend fünf Gäste in ihrer Sendung zum Thema „Sorge vor zweiter Infektionswelle – lockert Deutschland die Corona-Maßnahmen ‚zu forsch‘?“. Schutz und Gerechtigkeit schienen dabei die Ziele der Gäste zu sein, doch hatten sie unterschiedliche Vorstellungen davon, wie diese zu erreichen sein könnten.

Darum ging’s

Im Fokus der Sendung stehen diverse Lockerungen der Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Das führt in der Talkrunde bald zum Streit.

Die Gäste

  • Armin Laschet (CDU), NRW-Ministerpräsident
  • Annalena Baerbock (Grüne), Parteivorsitzende
  • Christian Lindner (FDP), Parteivorsitzender
  • Karl Lauterbach (SPD), Gesundheitsökonom
  • Christina Berndt, Wissenschaftsjournalistin

Der Talkverlauf

„Die Diskussion ist nicht forsch, sondern angemessen.“ Mit diesem Seitenhieb auf eine Äußerung von Bundeskanzlerin Angela Merkel positioniert sich Armin Laschet gleich zu Beginn der Sendung. Dennoch spielt der nordrhein-westfälische Ministerpräsident über weite Strecken der Talkshow in der eigenen Hälfte, ehe das Thema Fußballspiele überhaupt angeschnitten ist.

Laschet will die Diskussion auf die Vorteile der Lockerung von Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus lenken und spricht etwa von jenen, die bislang ihre Reha nicht antreten konnten, von der Kita als Aufstiegschance für Kinder aus sozial benachteiligten Familien auf der einen Seite und von „zu 40 Prozent freien Intensivplätzen“ in NRW. Aber mit seiner Argumentation scheitert er an den anderen Gästen.

Eine Zunahme der Sterblichkeit an anderen Krankheiten gäbe es nicht, entgegnet etwa der Gesundheitsökonom Karl Lauterbach. Intensivbetten seien ohnehin kein Argument; ein Großteil der dort beatmeten Covid-19-Patienten sei schließlich gestorben, viele der Überlebenden müssten mit bleibenden Schäden rechnen. Ihn stört allein die Debatte um weitere Lockerungen. Sie erwecke den Eindruck, da komme noch mehr. „Wir wissen gar nicht, ob wir die jetzt beschlossenen Lockerungen halten können.“

Da kommt dann auch schon der erste von vielen Momenten, in denen die Talkgäste durch- oder übereinanderreden. Ginge es nach Lauterbach, wären etwa die Schulen noch nicht geöffnet worden. Sofort wirft Laschet ein, die Schulöffnungen seien in ganz Deutschland gut gelaufen. Lauterbach kontert: „Sie haben doch keine Ahnung, wie viele Infektionen das gebracht hat.“

Annalena Baerbock beklagt die Verunsicherung in der Bevölkerung durch unklare Entscheidungskriterien der Politik. Nur bestimmte Läden sollten öffnen dürfen, „und plötzlich kam noch das Lieblingsmöbelhaus hinzu“. Die Parteivorsitzende der Grünen tritt dafür ein, die sozialen Härten zu berücksichtigen und darauf zu schauen, wer am meisten Entlastung brauche – und etwa für die Öffnung der Kitas machbare Lösungen zu entwickeln. Auf Christian Lindners Forderung nach Hygieneplänen statt Ladenflächen als Kriterium gemünzt fügt sie hinzu: „Wenn Bäcker und Supermärkte es schaffen, Schutzmaßnahmen umzusetzen, dann muss der Staat das auch können.“

Er habe sich auch gewundert, dass die Schulen nicht vorbereitet gewesen seien, sagt Laschet und provoziert damit die eine oder andere hochgezogene Augenbraue in der Talkrunde. Gegen die aufbrandende Kritik wehrt er sich, indem er die Verantwortung von sich schiebt: Schulträger seien die Städte und Kommunen, so Laschet. Auch die Gesundheitsämter seien „jahrelang von den Kommunen ausgeblutet“ worden. Doch Baerbock besteht darauf, dass sich Desinfektionsmittel auch landesweit verteilen ließen. Lauterbach verweist darauf, dass zu den medizinisch vertretbaren Voraussetzungen für eine Öffnung OP-Masken für alle und etwa zwei Millionen Tests pro Woche gehören.

Ab und an nutzt Moderatorin Anne Will es, dass die Wissenschaftsjournalistin Christina Berndt von München aus zugeschaltet ist – und holt sie in die streitende Runde. „Es ist ja nicht so, dass wir etwas erreicht hätten“, sagt Berndt und meint damit nicht die Diskussion, sondern den Kampf gegen die Pandemie. Deutschland sei immerhin „Weltspitze“ dabei, die Infektionszahlen zu drücken. Es sei schon traurig zu sehen, „wie wir das so leichtfertig verspielen“. Die Folgen von Maßnahmen würden sich immer erst nach etwa zwei Wochen zeigen. Politische Entscheidungen könne man dann zwar zurücknehmen, aber nicht, was das Virus in dieser Zeit angerichtet habe.

Geharnischt schießt Laschet nun gegen die Wissenschaft. Er bemängelt, von Virologen kämen immer neue Ansagen, nach denen die Regierung sich richten solle. Aber damit kommt Laschet nicht weit. Lauterbach erklärt, Laschets Beispiele seien bloß unterschiedliche Ausdrucksweisen für dasselbe Ziel. Bald darauf beschwert sich Laschet darüber, dass in der Sendung so viel über den Reproduktionsfaktor und Ähnliches gesprochen würde. Statt Fachgesprächen wünscht er sich, über Kinder, Langzeitarbeitslose oder einsame Alte zu sprechen. Und damit landet die Runde dann beim Fußball.

Lauterbach und Baerbock sind gegen die von der Bundesliga gewünschten Spiele mit einem Hygienekonzept, das unter anderem 25.000 Tests für die Profispieler erfordert. „Wir verspielen damit den sozialen Zusammenhalt, weil es zutiefst ungerecht ist“, sagt Baerbock. Laschet widerspricht und wischt alle Warnungen vom Tisch, die Baerbock anführt – von der Polizeigewerkschaft bis zum RKI. Und die Tests würden seiner Ansicht nach auch niemandem weggenommen, weil die Fußballclubs sie selbst besorgten.

Nach einer hitzigen Debatte schaltet Will abermals Berndt ein. Da längst nicht alle erhältlichen Tests zuverlässig seien, findet diese es „schwierig“, es in Unternehmenshand zu geben, wer wie getestet werde. Zudem meint sie, allein die Debatte um die Bundesliga entferne wichtige Punkte aus dem Fokus. „Es gibt viele Randgruppen, die es so nötig hätten, dass sie Erleichterungen bekommen“, sagt Berndt und erwähnt etwa Familien mit pflegebedürftigen Kindern oder dementen Eltern. Dennoch könne man aus dem Hygienekonzept der Fußballer lernen: Solche detaillierten Lösungsansätze seien jetzt etwa für Kitas oder Schulen gefragt.

Dieser Artikel erschien zuerst auf rp-online.de.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort