Jerry Lewis feiert 90. Geburtstag Blödelei als Kunstform

NEW YORK · Jerry Lewis machte sich einen Namen als Clown und fand danach den Weg ins Charakterfach. Heute wird er 90 Jahre alt. Er feiert in New York mit 4000 Gästen.

 „Patient mit Dachschaden“: Jerry Lewis in einer Filmszene aus dem Jahr 1954.

„Patient mit Dachschaden“: Jerry Lewis in einer Filmszene aus dem Jahr 1954.

Foto: picture-alliance/ obs

Zu den schönsten Sätzen, die Jerry Lewis eingefallen sind, gehört die Behauptung, er sei als Neunjähriger auf die Welt gekommen – und es bis heute geblieben. Wie wahr. Die unstillbare Lust, das Leben mit kindlicher Unschuld in Grund und Boden zu lachen, hat den Weltmeister des perfekt inszenierten Missgeschicks nie verlassen. Der als Joseph Levitsch in New Jersey geborene Lewis personifiziert immer noch den augenzwinkernden Lausejungen im Manne. Heute feiert der begnadete Grimassenschneider, ohne den Hollywood-Karrieren wie die von Steve Martin, Jim Carey, Adam Sandler und Ben Stiller kaum denkbar wären, in New York mit 4000 Gästen seinen 90. Geburtstag.

Wer nicht eingeladen ist, kann sich selber beschenken. Die Videothek ist blendend bestückt. Mit „Cinderfella“ (Aschenblödel, 1959), „The „Bellboy“ (Hallo, Page!, 1960), „The Ladies' Man“ (Zu heiß gebadet, 1961), „The Errand Boy“ (Der Bürotrottel, 1961), „The Nutty Professor“ (Der verrückte Professor, 1962) und „The Patsy“ (Die Heulboje, 1964) ist man zum Ehrentag des Mimen gut bedient. Lewis‘ Meisterwerke zeigen ein Amerika, das nie erwachsen werden wollte. Ein sympathisches Amerika, das von einem Fettnapf in den nächsten tappt, stolpert, hinfällt und sich wieder aufrappelt. Wie Jerry Lewis zeitlebens.

Als Fünfjähriger steht er zum ersten Mal auf der Bühne. Sein Vater, ein Varieté-Sänger, und die Mutter, eine Pianistin, haben ihm die „Schminke im Blut“ vererbt, wie er später einmal in einer Biografie schreiben wird. Nebenjobs als Würstchenverkäufer, Platzanweiser und Helfer in einer Hutfabrik verschaffen ihm während der Schulzeit Taschengeld. Als Pausenfüller zwischen Striptease-Nummern wächst er danach in die Rolle des begnadeten Kaspers, der kurz nach Kriegsende seinen Bruder im Geiste trifft: Paul Dino Crocceti.

Der coole italo-amerikanische Frauenschwarm, der sich Dean Martin nennt, und der russisch-jüdische Tolpatsch tun sich zusammen und starten kometenhaft durch: Stand-up-Comedy. Dann Radio-Shows. Später Hollywood. Alles anarchisch. Alles mit vollem Körpereinsatz. Martin & Lewis, das war bis zur Trennung Mitte der 50er Jahre das wohl größte Lachsalven-Kommando seit Oliver Hardy & Stan Laurel.

Aber Lewis konnte auch ganz anders. Als Produzent, Regisseur, Autor und Hauptdarsteller in einer Person strafte er die missgünstigen Kritiker in Amerika Lügen. Sie warfen ihm vor, seine frühe Popularität mit billigen Blödeleien auf der Anspruchslosigkeit eines ungebildeten Massenpublikums aufgebaut zu haben. Wie fies. Und wie falsch.

In Frankreich dagegen bindet das Autorenkino dem Kauz schon früh goldene Kränze. Für Jean-Luc Godard ist Jerry Lewis ein zweiter Charlie Chaplin. Einer, der im Alter immer besser wird. Wer Lewis an der Seite von Robert De Niro in Martin Scorseses „King Ff Comedy“ und in Peter Chelsoms „Funny Bones“ gesehen hat, weiß, was große Clowns ausmacht: große Traurigkeit. Nie war die Bitterkeit des Komischseinmüssens, die Einsamkeit hinter der Fassade des Klamaukarbeiters beeindruckender dargestellt als hier. Auch darum widmet das Museum Of Modern Art in New York Jerry Lewis jetzt eine große Retrospektive.

Lewis hat seine Gabe im Laufe seines Lebens auf die harte Tour kultiviert. Bereits 1983 musste sich der passionierte Kettenraucher einer Bypass-Operation unterziehen. 20 Jahr später packte ihn eine schwere Lungenkrankheit und obendrauf der Prostatakrebs. Alles überlebt. Sein an die physischen Grenzen gehender Slapstickeinsatz hat ihm schon so ziemlich jeden Knochen zwischen Schlüssel- und Schienbein gebrochen. Aber Lewis ist bis heute ein Stehaufmännchen geblieben: „Stellt mich auf eine Bühne“, sagte er einmal dem Fachmagazin „Hollywood Reporter“, „und die Schmerzen sind wie weggeblasen.“

Und da ist schließlich noch Danielle. Lewis war bereits 66, als er – in erster Ehe Vater von sechs Söhnen – mit seiner zweiten Frau Sam eine Tochter adoptierte. Aus dem „rosafarbenen Etwas“ ist eine erwachsene Frau geworden. Jerry Lewis‘ ganzer Stolz. Für sie will der ewig Neunjährige noch lange leben. „Mindestens bis 101“, wie er selbst sagt. Auch ein schönes Alter. Bis dahin: Alles Gute. Und ja keinen Scherzstillstand.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Held ohne Heldenpose
“One Life“ mit Anthony Hopkins Held ohne Heldenpose
Zum Thema
Aus dem Ressort