Innovative Kunstschule Buch porträtiert Frauen am Bauhaus in Weimar

Bonn · Im Buchtipp wird diesmal Patrick Rösslers originelles Porträt der Frauen am Bauhaus in Weimar, Dessau und Berlin unter die Lupe genommen. Wie waren die Bedingungen für Frauen an dieser innovativen Kunstschule, deren Lehrer zur Crème de la Crème der Avantgarde gehörten?

 Im Buchtipp wird diesmal Patrick Rösslers originelles Porträt der Frauen am Bauhaus in Weimar, Dessau und Berlin unter die Lupe genommen.

Im Buchtipp wird diesmal Patrick Rösslers originelles Porträt der Frauen am Bauhaus in Weimar, Dessau und Berlin unter die Lupe genommen.

Foto: Taschen

In heutigen politisch und gendertechnisch korrekten Zeiten wäre eine Geschichte, wie sie im Januar 1930 in der Illustrierten "Die Woche" erschien, undenkbar. Dabei wurde in dem Artikel "Mädchen wollen etwas lernen", bei dem es um "Bauhausmädels" ging, durchaus der Typ der modernen, jungen Frau propagiert, die "weiß, was sie will und wird es auch zu etwas bringen".

Die dreiseitige Bildreportage von Lyonel Feiningers Sohn T. Lux zeigt etliche Bauhausschülerinnen, die namentlich nicht genannt werden, propagiert ansonsten die studierende und gebildete Frau als Ideal einer neuen Gegenwart. Es geht um das lernende Mädchen, das dabei "alle Frische und Zartheit des Fraulichen nicht vernachlässigt, sondern eher pflegt", wie es in dem Artikel heißt.

"Der gesamte Artikel ist ein Plädoyer für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit junger Frauen, die sich in der Arbeitswelt bewähren, dementsprechend für sich selbst sorgen können und somit nicht mehr auf das Wohlwollen des Mannes angewiesen sind", schreibt der Erfurter Kommunikationswissenschaftler Patrick Rössler in seinem hochinteressanten Buch "Bauhausmädels" (Taschen Verlag), das als publizistische Bereicherung das Bauhaus-Jubiläum begleitet. Und sich als Parallel-Lektüre zu dem ebenfalls von Rössler – diesmal zusammen mit Elizabeth Otto – verfassten Buch "Frauen am Bauhaus" empfiehlt, das bei Knesebeck erschienen ist.

Das Bauhausmädel als Galionsfigur der Emanzipation in der Weimarer Republik? Zumindest ein öffentlichkeitswirksames Etikett, "das dem Typus der selbstbewussten modernen Frau innerhalb der jugendlichen Nachkriegsgeneration eine gewisse Form der Anerkennung durch eine bürgerliche Öffentlichkeit und deren Medien vermittelte", schreibt Rössler.

Frauentypen von der "Diva" bis zur "Garçonne"

Wie vertrug sich die mediale Konstruktion der jungen modernen Frau mit der Realität in den 1920er Jahren? Immerhin war in der Weimarer Verfassung (1919) von einer Gleichheit von Mann und Frau die Rede, was gesellschaftliche Rechte und Pflichten angeht.

Rössler ruft verschiedene Codes auf, wie sie in der Kino- und Medienwelt kursierten: das lebenslustige, genuss- und konsumorientierte, sportliche "Girl", die "Garçonne" als androgynes Wesen, dem oft eine lesbische Orientierung zugeschrieben wird, die "Diva" als rätselhafter, erotisch ansprechender Frauentypus, die schüchterne, zerbrechliche "Kindfrau", schließlich die "berufstätige Frau", die für die gleichberechtigte Realisierung von Lebensentwürfen steht.

Um nicht weiter im Ungefähren zu bleiben und das Thema der Frauen am Bauhaus – immerhin mehr als 400, wie wir erfahren – anzugehen, greift Rössler vier Lebenswege auf, um später mehrere Dutzend "Bauhausmädels" mit Kurzvita und Fotos zu porträtieren.

Die Wienerin Friedl Dicker etwa war bei Johannes Itten und Paul Klee im Weimarer Bauhaus, schuf Marionetten für das Bauhaustheater, war als Kunstpädagogin aktiv, engagierte sich in der Kommunistischen Partei. Sie kam in Haft. In Prag heiratete sie ihren Cousin Pavel Brandeis. Die Jüdin Friedl Dicker hatte ein Visum für Palästina, wollte aber mit ihrem Mann ausharren. Sie wurde im KZ Auschwitz-Birkenau ermordet.

Ricarda Schwerin kam 1930 ans Bauhaus, wollte Fotografie studieren, erkrankte, wurde, da sie der Kommunistischen Partei anhing, nach einigen Semestern mit Hausverbot belegt. Sie emigrierte mit ihrem Mann Heinz Schwerin nach Palästina, arbeitete nach dessen Tod bei dem Fotografen Alfred Bernheim, einem deutschen Emigranten. Ricarda Schwerin starb 87-jährig in Jerusalem.

Die Bibliothekarin Margaret Camilla Leiteritz ging 1928 ans Bauhaus, war an der Entwicklung der Bauhaustapete beteiligt, ging dann aber wieder als Bibliothekarin ans Kunstgewerbemuseum in Dresden. Die vierte Bauhäuslerin, die Rössler vorstellt – unverständlich, warum er hier nicht eine der Top-Bauhausfrauen wie Marianne Brandt, Ré Soupault oder Lucia Moholy nennt –, ist die Weberin Margaretha Reichhardt, die, wie er schreibt, "zeitlebens in einem bescheidenen Rampenlicht" stand und später in der DDR tätig war.

Der Webstuhl galt als "Arbeitsgebiet der Frau"

Wie waren die Bedingungen für Frauen an dieser innovativen Kunstschule, deren Lehrer zur Crème de la Crème der Avantgarde gehörten? Die Machtstrukturen waren klar männlich dominiert. Zwar propagierte Bauhaus-Gründer Walter Gropius gleiche Pflichten und Rechte bei männlichen wie weiblichen Studenten, jedoch gab es in dieser an Zunft- und Handwerkerordnungen orientierten Ausbildungsanstalt strukturelle Nachteile für Frauen, schreibt Rössler. Gropius habe in einem internen Papier verfügt, die anfangs hohe Zahl der weiblichen Studenten zu reduzieren, um nicht dem Ruf des Bauhauses zu schaden.

1920 wurde eine Frauenklasse eingerichtet, die mit der Textilklasse fusionierte. Der Webstuhl galt als "Arbeitsgebiet der Frau", in den klassischen Männerdomänen sah man die Bauhausmädels nicht so gerne. So innovativ das Bauhaus in ästhetischer Hinsicht war, so rückständig verhielt es sich mit Blick auf die Geschlechterverhältnisse – nicht nur was die männlich dominierte Hierarchie anging. Von den 462 Studentinnen am Bauhaus konzentrierten sich 128 auf die Weberei, dreimal mehr als in der nächstgroßen Gruppe (36), in der Baulehre. Nur 181 Frauen setzten ihr Studium nach dem "Vorkurs" der Grundlehre fort, 38 schlossen ihr Studium ab.

Wie sahen, empfanden sie sich selbst? Im üppigen, leider nicht alphabetisch sortierten Bildteil präsentieren und inszenieren sich mehrere Dutzend Bauhäuslerinnen selbst. Es ist eine atemberaubende Bilderstrecke, die junge attraktive, interessante, nachdenkliche, auch witzige Frauen zeigt – im Porträt, bei der künstlerischen Arbeit, inszeniert und spontan, an den Star- und Glamourbildern aus Illustrierten der 1920er und 1930er Jahre orientiert oder frech und frei, unkonventionell und originell. Eine wahre Fundgrube und ein schönes Porträt der (weiblichen) Gesellschaft der Weimarer Republik.

Patrick Rössler: Bauhausmädels. Pionierinnen der Moderne. Eine Hommage an die Bauhaus-Künstlerinnen. Taschen Verlag, 480 S., 400 Abb., 30 Euro

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