New-York-Roman Buchtipp: „Golden House“ von Salman Rushdie

Von Kaiser Nero bis zu Donald Trump: Salman Rushdies schillernder Roman „Golden House“. Der Autor spielt virtuos mit dem Filmmotiv

Was für ein Prachtschurke! Dieser gewaltsam aus Bombay vertriebene Millionär, der sich Nero Golden nennt und 2008 New York zur Hauptstadt seines Cäsarenreichs erwählt. Genauer: den MacDougal–Sullivan Gardens Historic District, ein grünes Idyll in Greenwich Village. „Er ließ seine Bösartigkeit vor unseren Nasen baumeln“, sagt der zunächst anonyme Erzähler, der sich bald als der belgischstämmige Filmemacher René Unterlinden zu erkennen gibt.

Bislang hat er kaum Nennenswertes vor die Kamera bekommen, doch der formatsprengende Nero, dieser Mann mit Guadagnini-Geige und strengem Unterwelt-Parfüm, soll dies ändern.

Den Charakterkern dieser mysteriösen, charismatisch–brutalen Figur enthüllt Salman Rushdie in seinem Roman „Golden House“, indem er wie beim Zwiebelschälen Schicht um Schicht ablöst. Anfangs geht das Familienepos um die ebenfalls apart benannten Söhne Petronius, kurz Petya, Lucius Apuleius (Apu) und Dionysos (D) etwas in die Breite.

Bis die schöne Russin Vasilisa („Sie steckt ihm die Zunge ins Ohr. Sie spricht eine Sprache, die alle Männer verstehen“) Nero erobert. Und bald ahnt man, dass sie ihn mit der Geduld der Spinne („alles ist Strategie“) und der Weisheit des Hais („Alles ist Nahrung“) zur Strecke bringen will.

Sind diese Lunten erst einmal gelegt, brennt der 1947 in Bombay geborene Autor , der für die „Satanischen Verse“ 1989 vom iranischen Staatschef Khomeini mit einer Fatwa belegt wurde, ein wahres Brillantfeuerwerk ab. René schließt gleich einen doppelten Teufelspakt: mit Nero als süffigem Filmhelden und mit der Verführerin Vasilisa.

Roman voller Hysterie und Vitalität

Und Rushdie spielt virtuos mit dem Filmmotiv, trennt Szenen per „Schnitt“ oder „Wischblende“ und lässt so bewusst den Wahrheitsgehalt der Handlung im Unklaren. Alles nur Kino? Wenn ja, unverschämt unterhaltsames: ein „Aufstieg-und-Fall-Epos“ in Cinemascope, mit maßlosen Emotionen wie in der antiken Tragödie.

Und doch auch ein saftiger New-York-Roman voller Hysterie und Vitalität, wie es ihn seit Tom Wolfes „Fegefeuer der Eitelkeiten“ nicht mehr gegeben hat.

Das schillernde Personal umfasst eine somalische Metallbildhauerin, Männer, die lieber Frauen wären, autistische Computerspielerfinder, sinistre Mafiosi sowie eine heimliche Hauptfigur: „der grünhaarige Plapperer“ oder Batmans grinsender Widersacher „Joker“ – in diesen beiden Kostümen führt Rushdie Donald Trump als Karikatur spazieren, ohne den Namen je zu nennen.

Überhaupt staunt man, wie spielerisch der 70-jährige Autor hier Motivfülle und Sprachmacht entfesselt. Da gibt es den Monolog jener Hexe, die angeblich Vasilisas schlanken Leib bewohnt, es gibt Rückblenden auf indische Traumata oder Visionen, die von der Powerdroge Afghan Moon befeuert werden.

Doch der Autor vergisst über erzählerischem Muskelspiel nicht das Herz: Während der Blutzoll steigt, lernt René den bitteren Geschmack des Verlusts kennen, und selbst Nero wirkt am Schluss so erschütternd verloren wie Shakespeares King Lear. Nero Goldens Imperium zerfällt schließlich zu Asche, doch Salman Rushdie sieht einen gefährlicheren Cäsarenwahn am Werk. Ist alles verloren? Nein, am Ende öffnet der große Roman ein kleines Hoffnungsfenster.

Salman Rushdie: Golden House, aus dem Englischen von Sabine Herting. C. Bertelsmann, 512 S., 25 Euro. Der Autor liest am 14. Oktober, 18 Uhr, im WDR-Funkhaus, Köln.

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