Neuer Film von Caroline Link „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“

Bonn · Der Film nach dem Buch von Judith Kerr erzählt von der kleinen Riva, die mit ihren jüdischen Eltern vor den Nazis in die Schweiz flieht.

 Flucht in die Schweiz: Carla Juri (Dorothea, von links),  Riva Krymalowski (Anna) und Oliver Masucci (Arthur) in „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“. 

Flucht in die Schweiz: Carla Juri (Dorothea, von links),  Riva Krymalowski (Anna) und Oliver Masucci (Arthur) in „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“. 

Foto: dpa/Frédéric Batier

Während Erwachsene die Neigung haben, unter der Last der Vergangenheit und den Ungewissheiten der Zukunft zu leiden, gehen Kinder bis zu einem gewissen Alter oft als begnadete Situationisten durchs Leben. Das, was mit dem Begriff der „kindlichen Unschuld“ nur unvollständig umrissen wird, ist auch die Gabe, die Gegenwart als alleinigen Richtwert anzuerkennen. Denn nur aus dem Hier und Jetzt kann das Kind jene Eigenerfahrungen beziehen, die für seine Persönlichkeitsbildung wichtig sind. Diese notwendige Fokussierung geht mit dem Prozess des Erwachsenwerdens zunehmend verloren. Das, was war, was hätte sein können oder noch passieren könnte, wird genauso wichtig, wie das, was ist.

In der Literatur und im Kino gibt es nur einige wenige, gelungene Versuche aus der situationistischen Kinderperspektive von großen gesellschaftlichen Umwälzungen zu erzählen. Gerade in den letzten Jahren näherten sich Filme wie „Der Junge im gestreiften Pyjama“ (2008) nach dem Roman von John Boyne oder „Lauf Junge lauf“ (2013) nach der autobiografischen Erzählung von Uri Orlev den Grauen des Nationalsozialismus auf erhellende Weise mit dem Blick des Kindes an.

Teddybär oder Kaninchen

Nun hat Caroline Link („Nirgendwo in Afrika“, „Der Junge muss an die frische Luft“) den Jugendbuch-Klassiker „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ von Judith Kerr für die Leinwand adaptiert. Aus der Sicht der neunjährigen Anna (Riva Krymalowski) erzählt Kerr darin von den Erlebnissen ihrer eigenen Familie, die nach Hitlers Machtergreifung 1933 Hals über Kopf aus Deutschland flüchten musste.

Ein Koffer, ein paar Kleider, zwei Bücher und ein Stofftier – so lauten die Packanweisungen der Mutter (Carla Juri). Das stellt Anna vor eine schwierige Entscheidung: Kommt ihr geliebtes rosa Kaninchen oder der Teddybär mit auf die überstürzte Reise. Sie entscheidet sich für den Bären mit dem Mitleid erregenden Blick, während das Stoffnagetier in Deutschland bei Hitler bleiben muss. Annas Vater (Oliver Masucci) ist schon vor wenigen Tagen Hals über Kopf in die Schweiz gereist.

Dem angesehenen Journalisten und ausgesprochenen Nazi-Kritiker drohte nach der Machtergreifung die Verhaftung. Als Anna mit ihrer Mutter und dem Bruder in Zürich ankommt, übernachten sie in einem schmucken Luxushotel. Aber das ändert sich bald. Die finanziellen Rücklagen der Geflüchteten sind knapp und so zieht die Familie in einen Gasthof auf dem Lande. Die Berge, das Dorf, die Mitschüler, die einen schwer verständlichen Dialekt sprechen – alles ist neu für Anna, die ihr Berliner Zuhause, die liebenswerte Haushälterin Heimpi (Ursula Werner) und ihr rosa Kaninchen vermisst.

Keine Arbeit in der Schweiz

Aber was am Anfang einschüchtert, weckt auch bald ihre Neugier und selbst an das provisorische Leben im Gasthof gewöhnt sich das Kind schnell. Gerade als sie sich eingewöhnt hat, heißt es erneut umziehen. Für den Vater gibt es in der Schweiz keine Arbeit und in Paris kann er für eine jüdische Exilzeitung schreiben. In einer kleinen Dachkammer-Wohnung bezieht die Familie Quartier und Anna muss diesmal in einer ganz neuen Sprache noch einmal von vorn anfangen.

Immer enger werden die Räume, in denen die Familie lebt, während sich die politische Situation in Deutschland weiter zuspitzt und Anna klar wird, dass es keine Rückkehr in die Heimat geben wird. Stets auf Augenhöhe zu ihrer Protagonistin zeigt Caroline Link, welche enorme Anpassungsfähigkeiten ein Kind im Exil entwickeln muss. Dabei werden die Geschwister und die Eltern, die unter großem Existenzdruck stehen, zum wichtigsten Haltepunkt für das Mädchen. Vater und Mutter gelingt es, die Schwierigkeiten ihrer Situation stets für die Kinder transparent zu machen und ihnen dennoch das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu geben.

Kleine Momente des Glücks

In Annas kindliche Unbekümmertheit sickern die Sorgen und Nöte stetig ein, ohne dass sie der Lebensmut und das Vertrauen in die Eltern verlässt. Denn sie hat eben jene Gabe, sich in unsicheren Zeiten an den kleinen Momenten des Glücks festzuhalten.

Wie schon in ihrem Debüt „Jenseits der Stille“ (1996) und zuletzt in „Der Junge muss an die frische Luft“ (2018) zeigt Link auch hier ihr gutes Gespür für Kinderdarsteller. Die junge Riva Krymalowski entwickelt ein beträchtliches Leinwand-Charisma, trägt den Film über weite Strecken allein auf ihren Schultern und macht die Ängste ihrer Figur ebenso sichtbar wie deren unbändige Lebenslust. Einzig die omnipräsente, deutlich überdosierte Musik navigiert dieses einfühlsame Porträt einer Familie im Exil gelegentlich in allzu sentimentale Gefilde.

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