Die Medien und das Flüchtlingsthema Debattenkultur: Wahrheit braucht Zeit

Klassische Medien sollten auf die Flüchtlingskrise aufklärend und unaufgeregt reagieren. Es lohnt, die Dinge mit Distanz und kühlem Kopf zu betrachten. Fakten führen zu Erkenntnissen.

 Zentrales Motiv für die Wahrnehmung des Flüchtlingsproblems: Bundeskanzlerin Angela Merkel begegnete im Juli 2015 während der Veranstaltung "Gut leben in Deutschland" in einer Schule in Rostock dem 14-jährigen Flüchtlingsmädchen Reem Sahwil.

Zentrales Motiv für die Wahrnehmung des Flüchtlingsproblems: Bundeskanzlerin Angela Merkel begegnete im Juli 2015 während der Veranstaltung "Gut leben in Deutschland" in einer Schule in Rostock dem 14-jährigen Flüchtlingsmädchen Reem Sahwil.

Foto: picture alliance / dpa

August 2015. Claus Kleber, Moderator der Nachrichtensendung „heute journal“ im ZDF, erzählte nach einem Beitrag über die Integration von Flüchtlingskindern selbst eine kurze Geschichte über die sympathische Willkommensgeste eines Busfahrers im fränkischen Erlangen. Er verhaspelte sich dabei mehrfach, war den Tränen nah. Kleber war nicht allein mit seinen Emotionen. Selbst Kanzlerin Angela Merkel zeigte 2015 Gefühle, als sie im Juli in Rostock dem palästinensischen Flüchtlingsmädchen Reem Sahwil begegnete.

Die meisten Medien in Deutschland sendeten im vergangenen Sommer im Empathie-Modus. Sie waren, in Wort und Bild, Teil der verdienstvollen, weltweit beachteten Willkommenskultur. Bisweilen in einem Maße, dass man sich fragen durfte, ob da noch jemand die gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen und zwischenmenschlichen Folgen der Flüchtlingswelle mitdachte. Skeptikern wurde oft mit dem Hinweis begegnet, man dürfe nicht der fremdenfeindlichen Hetze von Pegida, AfD & Co. zuarbeiten. Dem Philosophen und Autor Rüdiger Safranski, der kritische Anmerkungen zu Angela Merkels Politik formulierte, wurden von einem Berliner Feuilletonjournalisten altmännerhafte Sorgen unterstellt.

Seither ist viel passiert. Einwanderung wird durchaus noch als humanitäres Projekt und als Chance begriffen, aber eben auch als Problem und schwer zu bewältigende Krise. Die Medien, heißt es, kämpften mit einem dramatischen Vertrauensverlust. Ihnen wurde und wird von Teilen des Publikums Parteilichkeit und selektive Berichterstattung vorgeworfen. Das geschieht zum einen auf rationale Weise. Michael Hanfeld, Medienexperte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, widmete sich im November 2015 in einem Leitartikel dem „Willkommens-Rundfunk“ in Deutschland und fragte: „Wer weiß, wo Angela Merkel wäre, gäbe es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht.“ Merkels „Wir schaffen das“ sei zur inoffiziellen Programmleitlinie von ARD und ZDF geworden.

Im Internet gewann die Kritik eine andere Qualität. Kampfbegriffe wie „Lügenpresse“, „Schweigekartell“ und „Nachrichtensperren“ wurden ins Netz eingespeist; belastbare Belege blieben die Urheber weitgehend schuldig. Das hysterische Grundrauschen, das die Flüchtlingsdebatte begleitete, fand häufig einen Ausdruck in Beschimpfungen und rhetorischen Auswüchsen, die man nur als vorzivilisatorisch bezeichnen kann.

Es lohnt, die Dinge mit Distanz und kühlem Kopf zu betrachten. Fakten führen zu Erkenntnissen. Carsten Reinemann, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, und seine Mitarbeiterin Nayla Fawzi haben die Beziehung zwischen Medien und Mediennutzern untersucht. Ihr Fazit: Die deutschen Medien genießen im internationalen Vergleich ein hohes Ansehen. Verfügbare Langzeitdaten zeichneten „ein völlig anderes Bild, als es die derzeit gängige Krisenerzählung vermittelt“. Allerdings stehe ein Großteil der Menschen der Presse und dem Fernsehen schon seit Jahrzehnten eher skeptisch gegenüber.

Es besteht für Nachrichtenmacher kein Anlass zu existenzieller Verunsicherung. Aber durchaus zur Überprüfung eigener Maßstäbe und Arbeitsmethoden. Ulrich Wickert, ehemals „Mister Tagesthemen“, hat festgestellt, dass die Medien 2015 mit zu viel Empathie berichtet hätten und 2016 mit zu viel Ängsten. Darüber drohe in Vergessenheit zu geraten, „dass die erste Regel des Handwerks die Aufklärung ist“. Wickert weiter in einem Interview im Deutschlandradio Kultur: „Und wenn Sie sehen, dass die Polizei ja schon Begriffe nicht mehr benutzt aus der Angst heraus, Rassisten genannt zu werden, sehen Sie genauso auch bei den Journalisten eine Art der Selbstzensur, dass man sagt, gewisse Dinge, die werden wir nicht berichten, weil wir dann vielleicht den Rechtsradikalen Munition liefern.“ Für Wickert ist das falsch verstandene Toleranz. Josef Joffe, Herausgeber der „Zeit“ und wie Wickert „elder statesman“ des deutschen Journalismus, warnt ebenfalls vor den Rassismus-Fallen, die die Gesinnungspolizei der politischen Korrektheit in medialen Räumen aufstelle: „Die Rassismus-Unterstellung ist seit Adolf H. die Karte, die immer sticht.“ Mit weitreichenden Folgen: „Pegida & Co. sind Geschöpfe und Sprachrohre der Entfremdung. Die frisst sich in die Mitte, wenn das verordnete Gutdenk die Realitäten verdrängt und die Wohlmeinenden den Demagogen zutreibt. So, und nicht im offenen Widerstreit, rauscht das Wasser auf die besagten Mühlen.“

Für Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler und Professor an der Universität Tübingen, ist pauschales „Journalistenbashing“ zur Mode geworden. Er plädiert für Gelassenheit. Pörksen setzt darauf, dass Journalisten trotz der Konkurrenz mit dem Internet auf „Instant-Interpretationen“ und vorschnelle Meinungen – er nennt es „Sofortismus“ – verzichten, sich Zeit für Einordnung und Prüfung nehmen. Dann könnte seiner Ansicht nach „die unaufgeregtere, bewusst entschleunigende Einordnung“ für die klassischen Medien ein neues Gewicht bekommen. Frei nach dem Netzphilosophen Peter Glaser: Information ist schnell. Wahrheit braucht Zeit.

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