Vor 500 Jahren starb Hieronymus Bosch Die Hölle auf Erden

Bonn · Der niederländische Künstler war ein Visionär, dessen überbordende Bilderpanoramen bis heute faszinieren. Mit ihren Hunderten Figuren, Tieren und Fabelwesen stellen sie abgründige Orte voller Versuchungen dar.

 Ausschnitt der Mitteltafel des Triptychons "Das Weltgericht" von Hieronymus Bosch.

Ausschnitt der Mitteltafel des Triptychons "Das Weltgericht" von Hieronymus Bosch.

Foto: epd

Als es den Begriff Wimmelbilder noch nicht gab, hat Hieronymus Bosch schon welche gemalt. Überbordende Bilderpanoramen mit Hunderten Figuren, Tieren, Fabelwesen in Landschaften, die denen seiner Heimat Brabant ähnelten und doch abgründige Orte voller Versuchungen und drakonischen Strafen sind. Boschs Kunst ist ein Katalog möglicher Verfehlungen, derer es im ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhundert in erheblichem Maße gab, und das Register der Sanktionen, die an Brutalität nahezu alles übersteigen, was wir kennen. Es ist eine geheimnisvolle, wilde Welt, in der dennoch alles seinen Platz hat und nichts ohne Plan geschieht. Bosch illustriert religiöse Programme, Bibelstellen, Sprichwörter, bewegt sich in einem inhaltlichen Rahmen, der seinerzeit verstanden wurde. Und heute bisweilen immer noch für Rätselraten sorgt. Allein über das prominente Spätwerk, das Gemälde-Triptychon „Der Heuwagen“, gibt es viele Spekulationen. Wir werden drauf zurückkommen.

Auch der Lebenslauf steckt voller Rätsel. Eines ist klar: Am 9. August 1516 wurde Hieronymus Bosch in der Sint-Jans-Kathedrale seiner niederländischen Heimatstadt 's-Hertogenbosch beigesetzt. Geboren ist er wohl zwischen 1450 und 1456. Da er Spross einer Malerfamilie van Aken war, liegt nahe, dass er aus Aachen stammt. In Den Bosch (s'-Hertogenbosch) wuchs er auf, ging vermutlich beim Vater in die Lehre. Es ist unbekannt, ob der junge Maler Reisen unternahm, gar in Antwerpen oder Italien war. 1481 heiratete er die begüterte Aleid van de Meervenne, gehörte als wohlhabender Meister zu den Honoratioren der Stadt.

Der Heuwagen als symbolisches Vehikel

Sünde und Erlösung, um diese Themenfelder kreist Boschs Triptychon „Der Heuwagen“, ein im Trend seiner Zeit moralisierendes Gemälde, das den Sittenverfall nicht nur des einfachen Volkes, sondern auch des Klerus' und der Obrigkeit zum Thema hat und das symbolische Vehikel des Heuwagens – Heu =Geld – als Sinnbild der Gier in den Mittelpunkt rückt. In Boschs Bild rollt der Wagen von links – da ist auf dem Flügel die Vertreibung aus dem Paradies zu sehen – direkt ins Höllenfeuer auf dem rechten Flügel. Doch zunächst lohnt sich ein Blick auf das geschlossene Triptychon: Wenn die Flügel zugeklappt sind, erkennt man einen Mann im Zentrum, der als Hausierer gedeutet wird, eine Figur, die damals am Rande der Gesellschaft stand. Knochen auf dem Boden, die aasfressenden Krähen sind Hinweise auf Tod und Vergänglichkeit, ein Steg dient als Zeichen nahenden Unheils. Die Umwelt des Hausierers ist mit allerlei Gefahrenzeichen gespickt, im Hintergrund lauern Gewalt, Raub und Tod.

Es ist das vollends der Gnade Gottes ausgelieferte Individuum auf seiner riskanten Lebenspilgerschaft. Man ist geneigt, den Betrachter des Bildes in dieser Rolle zu sehen. Dann öffnet sich das Triptychon. „Beginnend mit dem Sündenfall, entwirft Bosch die Geschichte einer Menschheit, die als verworfene Brut im Inferno ihre Strafe findet“, schreibt der Kunsthistoriker Nils Büttner. Das Drama der Menschheit beginnt auf dem linken Flügel mit der Erschaffung Evas, die bekanntlich den Sündenfall Adams provoziert, worauf die Vertreibung aus dem Paradies folgt.

Abtrünnige Engel werden von ihren geflügelten Kollegen mit Schwertern aus dem Himmel verjagt, verwandeln sich in Insekten und fliegende Echsen. Des Dramas zweiter Akt wird auf der ein Meter breiten und 135 Zentimeter hohen Mitteltafel gegeben. Dämonen, halb Fisch, halb Mensch, ziehen den riesigen Heuwagen, um den sich Menschen aller Stände streiten, selbst Kaiser und Papst schließen sich dem höllischen Treiben an. „Die Welt ist ein Heuhaufen, ein jeder pflückt davon, soviel er kann“, lautet ein flämisches Sprichwort, das hier illustriert zu sein scheint. Mancher ist in diesem Kampf um das Heu bereits unter die Räder gekommen. Am Rande der Szenerie spielen sich drastische Szenen ab, die als Darstellungen der sieben Todsünden interpretiert werden: Auf dem Wagen geben sich welche der Wollust hin, vor dem Wagen geschieht ein Mord, ein bechernder Mönch (Völlerei), die blasierten Potentaten hinterm Wagen (Hoffart), der Schlafende (Faulheit), die Raufenden (Neid) und die plündernden Nonnen (Gier) komplettieren den Sündenkatalog. Sex, Gewalt, Voyeurismus und Heuchelei – eine Welt voller Abgründe. Der Heuwagen steuert mit seinem wuselnden Personal direkt auf die Hölle auf dem rechten Flügel zu. Dämonen und Fabelwesen führen die nackten Sünder ihrer Strafe zu: Höllenhunde zerreißen, Monster quälen sie, im Hintergrund lodert das Höllenfeuer.

Einen „Lustgärtner und Höllenforscher“ hat der Journalist Benedikt Erenz Bosch genannt, in Anspielung an den „Garten der Lüste“, den er um 1503 gemalt hat, ein Triptychon, dessen Haupttafel eine Prozession durchs himmlische Paradies zeigt und auf dem rechten Flügel, ähnlich wie beim „Heuwagen“, die Hölle. An Drastik kaum zu überbieten ist „Das Jüngste Gericht“, um 1509 gemalt. Im Triptychon „Die Versuchung des Heiligen Antonius“, zwischen 1500 und 1510, listet Bosch den Katalog der Versuchungen und Peinigungen minuziös auf.

Surrealisten begeisterten sich für den Meister Bosch

Bosch hat mit seinen Werken Jahrhunderte lang Menschen bewegt. Sein erster Fan war der spanische König Philipp II., der versuchte, alle verfügbaren Bilder des Malers zu erwerben. Heute hängen etliche im Escorial und im Prado. In der Kunst waren es die Manieristen, später dann die Symbolisten und Surrealisten, die sich für den Meister aus Brabant begeisterten. Der Niederländer Cees Nooteboom hat sich ein halbes Dichterleben an Bosch abgearbeitet. Von Arno Schmidt bis Leonardo DiCaprio reicht die illustre Schar der Bewunderer.

Doch wie wurde Bosch von den Zeitgenossen rezipiert? „Das Repertoire der höllischen Exekutive unterscheidet sich kaum von den zu Boschs Zeit üblichen irdischen Körperstrafen“, schreibt Bosch-Experte Büttner, „gerade bei der Betrachtung der Details wird deutlich, dass das Bedrückende der Höllenvisionen nicht in der Begegnung mit der unbekannten Unterwelt liegt“.Büttner erkennt das Unheimliche in Boschs Kunst darin, dass Dinge des damaligen Alltags in ihren Proportionen und Funktionen verändert werden. Das Vertraute wird zum Albtraum.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort