Ausstellung im Kunsthaus NRW Die neue Wirklichkeit in Kornelimünster

Aachen · Das Kunsthaus NRW gibt sich hochmodern und bittet zur computerbasierten Kunst. Was digital möglich ist, beeindruckt. Und manchmal geht es auch absurd zu.

 Pigmentdruck auf Keramikkacheln: Alex Grein bietet eine Collage aus drei Bildern an.

Pigmentdruck auf Keramikkacheln: Alex Grein bietet eine Collage aus drei Bildern an.

Foto: Helga Meister

Marcel Schumacher, seit 2015 Leiter des Kunsthauses NRW, ist für Ankäufe vielversprechender junger Künstler aus der Kunstszene des Landes verantwortlich. 200 000 Euro stehen ihm dafür jährlich zur Verfügung. Als Fachmann für zeitbasierte Medien baut er diese Abteilung vorrangig auf. Die Ausstellung „Screen time“ zeigt die Ergebnisse seiner Wahl. Die Kunst der neuen Bildwelten stammt vor allem aus Kölner und Düsseldorfer Ateliers.

18 Computer-Künstler wählte er für seinen Parcours in der ehemaligen Reichsabtei aus. Der Besucher lustwandelt gleichsam von Kabinett zu Kabinett, denn der Kurator kommt in der Regel ohne Black Boxes aus. Das Motto der „digitalen Wirklichkeiten“ geht Alex Grein gleich im ersten Raum mit einem Pigmentdruck auf Kacheln an, indem sie die Pixel aus dem Computer in die reale Welt der Keramikplatten überträgt. Ihr Panorama zeigt eine Collage aus drei Bildern: Das erste Motiv ist ein futurologischer Kongress bei Zuckerberg, der sein Publikum mit QR-Brillen ausstattet und verkabelt. Davor platziert sie eine Schnecke, die mit ihrem perfekten Aufdruck zu schweben scheint. Schnecke und Meta-Konferenz kombiniert sie mit einem realen Touristenfoto vom eingerüsteten und gleichfalls strukturierten Parthenontempel. Dabei lässt sie die real aufgenommenen dorischen Säulen die virtuellen Räume stützen. Reale Wirklichkeit und virtuelle Kunst sind bestens vereint.

Verschiedene Stadien der digitalen Welt

Der Rundgang bietet verschiedene Stadien der digitalen Welt. Der Kolumbianer Camilo Sandoval und die Israelitin Vered Koren lassen die Besucher auf einer umfunktionierten, alten Spielekonsole tippen und kurbeln. Der Bezug zum aktuellen Bürgerkrieg in der Anden-Republik ist allerdings schwer zu entziffern.

Ähnliche Probleme haben die Besucher beim Werk von Lukas Marxt, der bis vor wenigen Tagen Gastprofessor in Düsseldorf war. Er projiziert Szenen aus seinem Videoprojekt, an dem er seit sechs Jahren arbeitet, auf Ytongsteine: Er macht Atombomben-Attrappen in der kalifornischen Wüste ausfindig, tonnenschwere Stahlbetonkörper, mit denen die Amerikaner die Landung von „Little Boy“ und „Fat Man“ über Japan testeten. Den Militärschrott ließen sie liegen. Marxt plant, aus seinem Material einen Dokumentarfilm zu machen.

Meisterschüler von Andreas Gursky

Lucia Sotnikova, wie Alex Grein Meisterschülerin von Andreas Gursky, legte in der Dunkelkammer altes, zerknautschtes, lichtempfindliches Papier auf den Vergrößerer, belichtete es mit ihrem Handyfoto und entwickelte ein rätselhaftes Selbstporträt, das sie vom Smartphone abfotografierte. Von Louisa Clement, der Dritten aus der Gursky-Klasse, werden vorwiegend frühe Smartphone-Aufnahmen gezeigt, in denen sie auf ihren Fahrten von Bonn nach Düsseldorf das Zugabteil zum Atelier machte und die Architektur analysierte. Die aktuelle Arbeit mit Schaufensterpuppen, die sie in Avatare verwandelt, ist leider nur in einer Aufnahme belegt.

Auch von Banz & Bowinkel möchte man mehr sehen. Das Duo entwirft eine virtuelle Wohnung und präsentiert einen Dialog voller Humor, weil das Computerprogramm nur ein Bild auf die Cappuccino-Tasse bringt.

Eher absurd geht es beim Medienkünstler und Musiker Tim Gorinski zu, der den langweiligen Büroalltag glossiert, indem er zwei Computer miteinander parlieren lässt. Da er Fehler ins Programm einbaut, entsteht im Endergebnis ein dadaistisch wirkendes Parlando.

Eine Sprache, die der Besucher nicht versteht

Auch Philipp Goldbach arbeitet mit der Sprache, nur verstehen wir nichts. Er belässt es bei den Computerplatinen, die er in Plexiglas einhaust und über einen Türrahmen hängt. Sie sollen sprachphilosophische Texte von Descartes bis Leibniz enthalten, die die Basis für die Computersprache sind. Wir als Betrachter werden allerdings in Unkenntnis gelassen, worum es sich handelt, und müssen wie im Mittelalter glauben, was Goldbach uns vorsetzt. Einfacher haben es die Betrachter mit der Rauminszenierung von Lex Rütten & Jana Kerima Stolzer. Sie setzen sich mit den Paketzentren auseinander und entwerfen ein ganzes Vertriebssystem mit Lagerhalle, Paketband, Schwerlastenregal und Avataren, die singend ihren Arbeitsalltag schildern. Die Gesichter sind ihre eigenen, die sie gefilmt und mit Instagram nachbearbeitet haben, die Pakete holten sie sich im Internet von Amazon.

Als letzter sei der Aachener Tim Berresheim genannt. Er hat die Räume im Haus und in der näheren Umgebung von Kornelimünster eingescannt, etwa den Kaisersaal, die Reliquienkapelle aus der Klosterkirche und die römische Krypta aus der oberen Bergkirche, und zu einem Bild verwurstelt. Er spielt mit Bildern und Realitäten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Salman Rushdies Antwort auf den Hass
„Knife“: Das Buch über die Messerattacke Salman Rushdies Antwort auf den Hass
Zum Thema
Aus dem Ressort
Aktivismus und Absurditäten
Theaterstück über Pussy Riot Aktivismus und Absurditäten