Joachim Negels Buch „Kugelworte“ Die Welt in freundlichen Bildern

Bonn · Ein Lektüretipp zum Pfingstfest: Als „Grundkurs des Glaubens“ bezeichnet der katholische Theologe Joachim Negel seine „Kugelworte“, eine Sammlung von 24 Predigten-

   Rund ist die Marburger „Kugelkirche“ nicht:   Sankt Johannes Evangelist heißt so, weil dort früher Mönche beteten, die die „Gugel“ trugen, eine Art Kapuze mit langem Zipfel.

Rund ist die Marburger „Kugelkirche“ nicht: Sankt Johannes Evangelist heißt so, weil dort früher Mönche beteten, die die „Gugel“ trugen, eine Art Kapuze mit langem Zipfel.

Foto: picture alliance / Uta Poss/Uta Poss

Der Mensch denkt, und Gott lenkt, heißt es. Das heißt auch: Wie persönlicher Ärger am Ende ausgeht, weiß keiner der Beteiligten. So erging es dem katholischen Theologen Joachim Negel (geboren 1962). Vor fünf Jahren sollte er als Professor an die Universität Bonn berufen werden (er hat unter anderem dort studiert und 2002 promoviert). Alles schien in trockenen Tüchern. Dann platzten die Absprachen aus für die Öffentlichkeit unklaren Gründen.

Später hieß es, Kölns Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki habe die Berufung verhindert, durch persönlichen Einspruch bei der damaligen NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD). Angeblich habe der Kardinal lieber einen langjährigen Bekannten auf den Lehrstuhl gesetzt sehen wollen, hieß es.

Ob das wirklich so war, lässt sich wohl nicht mehr klären. Aber Kardinal Woelki hat mittlerweile ganz andere Probleme als einen ihm nicht genehmen Theologieprofessor. Und Negel selbst fand nach dem Köln-Bonner Hickhack stattdessen einen netten Lehrstuhl an der Universität von Freiburg im Üechtland (Fribourg / Schweiz).

„Mangelnde Qualifikation“ soll der Kirchenfürst dem Glaubensdenker vorgeworfen haben, hieß es. Der theologische Laie kann das nicht beurteilen. Es scheint ihm aber doch zweifelhaft, wenn er Negels „Kugelworte“ liest, eine Sammlung von 24 Predigten über grundlegende Inhalte des christlichen Glaubens. Das Buch ist schon letztes Jahr erschienen, aber das fällt bei einer 2000 Jahre alten Religion kaum ins Gewicht. „Höchst empfehlenswert“ urteilte denn auch das Magazin Christ in der Gegenwart, über das Buch, das viel Inspiration zum Beispiel als Lektüre zum Pfingstfest liefert.

Was bedeutet „Glaube“? Was bedeutet es, Christ zu sein? Jungfräuliche Geburt, Auferstehung, Schöpfung, Apokalypse – wovon sprechen die jahrtausende­alten Begriffe eigentlich? Vergebung durch den liebenden Gott – gilt sie auch für Kinderschänder? Die 24 Texte, in denen der Autor solche Fragen zu beantworten versucht, sind Zusammenführungen, Rekonstruktionen und Aufarbeitungen freier Predigten, die er zwischen 2010 und 2015 gehalten hat, zumeist bei Gottesdiensten in der „Kugelkirche“ Sankt Johannes Evangelist in Marburg (Lahn). Die 1492 bis 1520 erbaute Kirche heißt nicht so, weil sie etwa rund wäre, sondern weil dort einst die „Mönche vom gemeinsamen Leben“ beteten: Sie trugen die „Gugel“, eine Art Kapuze mit langem Zipfel. 

Die Reihenfolge der Texte orientiert sich an der Struktur des Kirchenjahres, beginnt mit dem 1. Adventssonntag und endet mit dem Sonntag davor. Zugleich befasst sich jeder Beitrag mit einem übergeordneten Thema aus der christlichen Lehre. Um „Weg, Wahrheit, Leben“ ging es zum Beispiel am 18. Mai 2014, um die für Zweifler größenwahnsinnig scheinende Selbstbezeichnung des Jesus von Nazareth im Bibeltext Johannes 14,6. Der „Weg“ sei Christus, weil er zum Ziel führe, sagt Negel: „Und das Ziel heißt Gott.“ Die „Wahrheit“ sei er, weil er die letzte Wahrheit des menschlichen Seins erfasse: „in [die] Beziehung [zu Gott] hineingenommen zu sein“. Und das wahre „Leben“ sei er, weil der Mensch mehr sei als bloßes Da-Sein: „Da ist etwas in uns, das größer ist als wir selbst.“

Am 8. Juni desselben Jahres spricht der Prediger dann übers Pfingstfest. „Geben wir es ruhig zu: Wenn man uns fragte, was es [damit] auf sich habe, wir kämen vermutlich ins Stottern. Heiliger Geist? Ist das ein Gespenst? Ein Phantom? Eine Einbildung?“ Eine seiner Antworten: „In Heiligem (das heißt in einem guten, hellen, heilenden) Geist zu leben bedeutet, die Welt in freundlichen Bildern zu sehen.“

Zwei Beispiele für Negels bemerkenswerte Versuche, die ehrwürdigen Glaubenssätze mit Leben zu füllen und fassbar(er) zu machen. „Ein Grundkurs des Glaubens in 24 Predigten“ lautet der Untertitel des Buches. Ein hoher Anspruch, weil ein deutlicher Verweis auf das höchst anspruchsvolle Mammutwerk „Grundkurs des Glaubens“ von Karl Rahner (1904-1984). Vatikanische Diplomatie lässt grüßen: In bester katholischer Tradition bissiger Subtilität lobt Negel dieses Buch mit zwei Zitaten sehr unterschiedlicher Fachkollegen: Es gelte „als »die einzige theologische Summe dieser Zeit« (J. B. Metz), als »imponierende Synthese des Christlichen, die bleiben wird, wenn einmal ein Großteil der heutigen theologischen Produktion vergessen ist« (J. Ratzinger)“.

In einem Atemzug mit dem von seinen Gegnern als Marxist verdächtigten Theologen Johann Baptist Metz (1928-2019) erwähnt zu werden, dürfte dem emeritierten Papst Benedikt XVI. nicht gefallen. Durch eigenen Ausspruch an die Vergänglichkeit auch des eigenen umfangreichen Werkes erinnert zu werden, wohl auch nicht. Oder an das, was 1979 in Bayern geschah: Metz sollte einen Lehrstuhl an der Uni München erhalten. Der Erzbischof (er hieß Ratzinger) verhinderte das. Dagegen widerum kam öffentlicher Protest von – Karl Rahner. Ein historischer Randaspekt. Aber ein gutes Beispiel für die hintergründig-humorvolle Dramaturgie, die Negels Art zu schreiben prägt.

Der Autor hat sich nicht vorgenommen, ein zweiter Karl Rahner zu werden. Stattdessen habe er ein Buch angestrebt, „das um eines vertieften Glaubensverständnisses willen die zentralen Themen des christlichen Bekenntnisses beharrlich durchläuft, um am Ende [hinzufinden] zu einer frommen, über sich selbst belehrten Unwissenheit, einer Zweiten Naivität“. Diesen Anspruch hat Negel souverän erfüllt. Er wartet nicht mit letzten Wahrheiten auf, sondern umkreist die alten Fragen neu. Oft kommen zwar wieder neue Fragen heraus – aber jetzt sind es neue, und der Leser weiß jetzt immerhin, wo sie herkommen.

„Ich bin katholisch – Atheismus kann doch jeder.“ Dieses von ihm in Münster erblickte Graffito hat Joachim Negel an den Beginn seines Buches gesetzt. Nein: Christ zu sein; katholisch zu sein; das ist nicht einfach. Heutzutage erst recht nicht. „Profi“ in dieser schwierigen, himmelwärts zielenden Disziplin kann niemand sein; kein Papst, kein Kardinal, kein Professor. Alle Annäherungen an das Eine-Ewig-Große sind nur Versuche. Aber in diesem Buch mitverfolgen zu können, wie jemand es mit allen Gehirnzellen, allen Muskelfasern seines Herzens  und seiner Zunge stets neu versucht – das beeindruckt auch den spirituell Unmusikalischen.

Joachim Negel: Kugelworte. Ein Grundkurs des Glaubens in 24 Predigten. cmz, 319 S., 14,95 Euro

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