Zum Tod von Dieter Wedel Aufstieg und Fall einer TV-Legende

Bonn · Er war einer der ganz Großen der TV-Geschichte und stürzte über Vergewaltigungsvorwürfe: Zum Tod des Regisseurs und Intendanten Dieter Wedel.

 Dieter Wedel, damaliger Intendant der Bad Hersfelder Festspiele, steht 2014 in der Stiftsruine.

Dieter Wedel, damaliger Intendant der Bad Hersfelder Festspiele, steht 2014 in der Stiftsruine.

Foto: dpa/Uwe Zucchi

Sicherlich hätte das Ganze für einen Regisseur wie Dieter Wedel Stoff für einen spektakulären TV-Mehrteiler – Arbeitstitel „Aufstieg und Fall des Dr. D. W.“ – hergegeben, wären die Details nicht so abgründig und gäbe es nicht Opfer wie die Schauspielerin Jany Tempel. Sie habe, so der „Spiegel“, „völlig perplex“ auf die Nachricht vom Tod Wedels reagiert. Eigentlich habe sie gehofft, dass das Landgericht München 1 am Mittwoch mitteilen würde, ob und wann es den Prozess gegen den Regisseur eröffnen würde. Nun teilte die Justiz nur mit, Wedel sei bereits am 13. Juli im Alter von 82 Jahren verstorben. „Nach langer schwerer Krankheit“, wie seine Anwälte um Peter Gauweiler hinzufügten. Das Verfahren wird eingestellt. 

Jany Tempel im Hungerstreik

Die Staatsanwaltschaft hatte Wedel schon im März vergangenen Jahres wegen eines Vorwurfs aus dem Jahr 1996 angeklagt. Tempel gab an, Wedel habe sie damals in einem Münchner Luxushotel vergewaltigt – ein Vorwurf, den Wedel bestritt. Wedels Anwälte sprachen bereits bei der Anklageerhebung von Vorverurteilung und betonten die Wahrscheinlichkeit, dass die Anklage gar nicht zugelassen werden könnte – obwohl das in der deutschen Justiz kaum vorkommt. In einer ersten Reaktion sagte Tempel über ihren Anwalt, sie hoffe, dass sich nach Wedels Tod nun mehr Frauen aus der Defensive wagen – „und ihre Geschichte erzählen“. Tempel war zuletzt sogar in den Hungerstreik getreten, um dagegen zu protestieren, dass das Gericht sich mit seiner Entscheidung über eine Verfahrenseröffnung so lange Zeit ließ.

„Der Schattenmann“

„Aufstieg und Fall...“, das war der Plot für den ZDF-Fünfteiler „Der Schattenmann“, mit dem Wedel seine Fans 1996 an den Fernseher fesselte: eine Moritat über den integren Polizisten Charly Held, der als verdeckter Ermittler in das Imperium des Obergangsters Janusz „Jan“ Herzog eindringt, dann aber den Verlockungen des Geldes und süßen Lebens erliegt, viel riskiert und zum Schluss alles verliert. Gut und Böse, Moral und Niedertracht als – durch Geld, Macht und Sex – variable Größen. Keiner verkörperte dieses Prinzip so intensiv wie der gleichermaßen großherzig-joviale wie unerbittliche Frankfurter Pate Herzog, wunderbar gespielt von Mario Adorf. Held (Stefan Kurt) verheddert sich im Netz des Paten.

 Unvergessenes Quartett: (von links) Hans Korte, Will Quadflieg, Heinz Schubert und Mario Adorf in einer Szene des ZDF-Vierteilers „Der große Bellheim“.

Unvergessenes Quartett: (von links) Hans Korte, Will Quadflieg, Heinz Schubert und Mario Adorf in einer Szene des ZDF-Vierteilers „Der große Bellheim“.

Foto: picture-alliance / dpa/Stefan_Hesse

„Der große Bellheim“

Vier Jahre zuvor hatte Adorf eine ganz andere Persönlichkeit verkörpert. Wieder einen Patriarchen, aber einen guten: „Der Große Bellheim“, die vierteilige TV-Saga über den Leiter einer Kaufhauskette in Schieflage, öffnete den Blick für finanzielle Verquickungen und brach eine Lanze für die Wahrnehmung älterer Menschen in der Arbeitswelt – die so selbstbewussten wie selbstironischen Musketiere Adorf, Will Quadflieg, Heinz Schubert und Hans Korte retten schließlich den Laden. Die Produktion zeigte, dass an Wedel als Regisseur von Premium-Mehrteilern kein Weg vorbeiführte. Elf Millionen Zuschauer sahen 1993 die Erstausstrahlung, mehr als 21 Prozent.

Der Serienkönig

„Der König von St. Pauli“ (1998) und „Die Affäre Semmeling“ (2002) zementierten Wedels Ruf als deutscher Serienkönig mit Gespür für packende Geschichten und relevante gesellschaftliche Themen – sozusagen ein Johannes Mario Simmel fürs Fernsehen. Als solcher räumte er etliche Auszeichnungen ab, bekam das Bundesverdienstkreuz und drei Mal den Adolf-Grimme-Preis in Gold. „Die Affäre Semmeling“ greift auf den Dreiteiler „Einmal im Leben – Geschichte eines Eigenheims“ zurück, ein Frühwerk Wedels von 1972. Der erste große TV-Erfolg des promovierten Theaterwissenschaftlers, dem viele folgen sollten. Wedel war auch als Theaterregisseur und Drehbuchschreiber aktiv. Von 2002 bis 2014 leitete er die Nibelungenfestspiele in Worms, zunächst als Regisseur, danach auch als Intendant in Zusammenarbeit mit Regisseuren wie Karin Beier und Gil Mehmert.

 Ein Bild aus 1996: Dieter Wedel, damaliger Produzent, Drehbuchautor und Regisseur, unterhält sich bei Dreharbeiten zum Mehrteiler "Der König von St. Pauli" mit seiner früheren Lebensgefährtin Ingrid Steeger.

Ein Bild aus 1996: Dieter Wedel, damaliger Produzent, Drehbuchautor und Regisseur, unterhält sich bei Dreharbeiten zum Mehrteiler "Der König von St. Pauli" mit seiner früheren Lebensgefährtin Ingrid Steeger.

Foto: dpa/Markus Beck

Ab 2015 war Wedel Intendant der Bad Hersfelder Festspiele. Im Januar 2018 erklärte er seinen Rücktritt als Intendant, nachdem ihm mehrere Schauspielerinnen im Rahmen der #MeToo-Debatte sexualisierte Gewalt vorgeworfen hatten.

Der Fall

Ein Schatten senkte sich über den Schöpfer des „Schattenmanns“. Hatten die Medien zuvor noch die Chuzpe des sechsfachen Vaters gelobt und ihn als Bonvivant verehrt, der das Leben in vollen Zügen auskostete – als „polyamorer Lebensfreund“ („Süddeutsche Zeitung“), wendete sich bald das Blatt. Der einstige Pubklikumsheld stürzte tief. Und auch TV-Kollegen traten aus der Deckung, berichteten vom toxischen Arbeitsklima am Set, von großem Druck, den der Regisseur aufbaute – und von einem harschen Ton. Was letztlich passiert ist, wir werden es nicht erfahren. Der Fall ist geschlossen.

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