Netflix-Erfolg Was „Don’t Look Up“ über unsere Gegenwart verrät

Düsseldorf · Es bleiben sechs Monate, um einen Kometeneinschlag zu verhindern: Die Satire „Don’t Look Up“ schildert das Unvermögen der Menschheit, die Erde zu beschützen. Der heftig diskutierte Film ist aktuell der größte Hit bei Netflix.

 Die Besetzung in „Don’t look up“: (v.l.): Jonah Hill, Leonardo DiCaprio, Meryl Streep und Jennifer Lawrence

Die Besetzung in „Don’t look up“: (v.l.): Jonah Hill, Leonardo DiCaprio, Meryl Streep und Jennifer Lawrence

Foto: AP/Niko Tavernise

Wenige Wochen nach Kinostart ist der Spielfilm „Don’t Look Up“ nun bei Netflix zu sehen. In Deutschland steht er bereits auf Platz eins der meistgesehenen Produktionen des Streamingdienstes. Und in den sozialen Netzwerken wird viel über den 143 Minuten langen und mit einigen von Hollywoods größten Stars gespickten Film diskutiert.

Worum geht es in „Don’t Look Up“?

Kate Diabiasky ist Doktorandin für Astronomie in Michigan. Sie entdeckt einen Kometen. Er wird nach ihr benannt, das Forscher-Team um ihren Professor Randall Mindy feiert sie für ihre Leistung. Als Randall Mindy jedoch den Abstand des Himmelskörpers zur Erde berechnet, wird aus Euphorie Entsetzen: Das Objekt mit einem Durchmesser von fünf bis zehn Kilometern wird demnach in sechs Monaten und 14 Tagen vor der Küste Chiles in den Ozean einschlagen. Der Aufprall dürfte die Wirkung von einer Milliarde Hiroshima-Bomben haben. Was bedeutet: Das Ende der Erde und damit der Menschheit wäre gekommen.

Was passiert nach der Entdeckung des Kometen?

Professor Mindy und Kate Diabiasky alarmieren die zuständige Abteilung der NASA, wenig später sitzen sie im Vorzimmer der Präsidentin der Vereinigten Staaten. Gemeinsam wollen sie die Menschen warnen und einen Plan ausarbeiten, wie man die Laufbahn des Kometen verändern kann. Präsidentin Orlean hat jedoch keine Zeit. Ihr Kandidat für den Supreme Court ist in einen Sexskandal verwickelt. Das ist wichtiger. Die Forscher versuchen es deshalb über die Medien. Ihr Auftritt in einer der meistgesehenen TV-Shows geht aber unter. Die Zuschauer sind stärker an der zuvor aufgetretenen Sängerin Riley Bina interessiert, die sich von ihrem DJ-Freund getrennt hatte, um sich schließlich vor laufenden Kameras wieder zu versöhnen.

Wer spielt bei „Don’t Look Up“ mit?

Ein gut aufgelegter Leonardo DiCaprio ist der zunächst schüchterne Randall Mindy, Jennifer Lawrence seine nachdenkliche Doktorandin. Die unausstehliche US-Präsidentin wird von Meryl Streep gespielt, Jonah Hill ist ihr sexistischer Sohn und Chefberater. Cate Blanchett ist als Fernsehmoderatorin zu erleben, die es sehr mag, wenn man ihr ins Ohr flüstert, dass die Welt untergeht. Ariana Grande spielt den Popstar Riley Bina, der Rapper Kid Cudi ihren Lover. Später tritt Timothée Chalamet als romantischer Skater auf. Regie führte Adam McKay, der bereits mit „Anchorman“ (2004), „The Big Short“ (2015) und „Vice - Der zweite Mann“ (2018) Kinohits hatte.

Was ist das Besondere an „Don’t Look Up“?

Jedes Problem der Gegenwart, jeder Diskurs scheint eingewoben in die Handlung. Der Ablauf ist nicht der eines klassischen Katastrophenfilms mit ähnlichem Bedrohungsszenario wie „Deep Impact“ oder „Armageddon“. „Don’t Look Up“ funktioniert eher wie eine sehr bittere Satire. Die Präsidentin lenkt erst ein, als sie merkt, dass ihr Engagement gegen den Weltuntergang vom Skandal ihres Supreme-Court-Kandidaten ablenken kann. Professor Mindy entpuppt sich zwischenzeitlich als narzisstisch und eitel: Er genießt die Aufmerksamkeit als Celebrity und stürzt sich in eine Affäre mit der TV-Moderatorin. Als endlich der Beschluss gefasst wird, den Kometen zu zerstören, lässt man die Raketen in letzter Sekunde umkehren. Der Tech-Unternehmer Peter Isherwell hat nämlich herausgefunden, dass auf dem Himmelskörper Seltene Erden zu finden sind, die man zur Herstellung von Handys braucht. Der Komet könnte Arbeitsplätze schaffen und die Wirtschaft ankurbeln.

Szenen aus dem Film „„Don’t Look Up“
12 Bilder

Szenen aus dem Film „„Don’t Look Up“

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Wie ist der Film „Don’t Look Up“?

Stellenweise sehr gut, oft allzu stereotyp und am Ende zu laut. Regisseur Adam McKay wirkt mitunter selbstgefällig, vor allem im Finale, wenn er den Menschen entgegenschreit, wie dumm sie sind. Allerdings sind sie zu diesem Zeitpunkt auch wirklich sehr dumm. McKay vergisst die goldene Regel, wie man die Meinung von anderen in einem existenziellen Punkt ändern möchte: Es kommt nicht nur darauf an, was man sagt, sondern auch darauf, wie man es vorbringt.

Wie sind die Reaktionen auf den Film „Don’t Look Up“?

Die Filmdatenbank IMDB vergibt 7,3 von zehn Punkten. Ein Kommentar bei Twitter lautet, er sein eigentlich eine als Spielfilm getarnte Doku. Ein anderer: Alles ziemlich realistisch, wenn auch stellenweise untertrieben. Zuschauer berichten, sie hätten beim Schauen physische Schmerzen gehabt, weil sie das alles so sehr an unseren Umgang mit Corona erinnere und an die Strategien gegen den Klimawandel. Manche vergleichen die Vorkommnisse im Film mit den ihrer Meinung nach unzureichenden Vereinbarungen der UN-Klimakonferenz in Glasgow. Oft wird in den sozialen Netzwerken Bezug genommen auf den Thwaites-Gletscher im Westen des antarktischen Kontinents. Das Schmelzwasser dieses Gletschers allein ist für rund vier Prozent des weltweiten Meeresspiegel-Anstiegs verantwortlich. Der Gletscher droht auseinanderzubrechen. Das könnte in den nächsten fünf Jahren passieren. Wenn das Eis bricht, sei zu erwarten, dass große Teile des Gletschers noch schneller ins Meer fließen.

Wie viel Gegenwart steckt im Film „Don’t Look Up“?

Ziemlich viel. Das „Auf-Sicht-Fahren“, das ja gerade während der Pandemie das Prinzip der Politik zu sein scheint, wird auch in „Don’t Look Up“ praktiziert. Und es geht nicht gut. Zwar wurde der Film vor Corona fertiggestellt, aber die Entwicklungen, die er abbildet, hat man so oder so ähnlich ebenfalls beobachtet: Die Spaltung der Gesellschaft in diejenigen, die es nicht wahrhaben wollen und diejenigen, die rasch handeln möchten. Die Verbreitung von Fake News. Das Anzweifeln wissenschaftlicher Erkenntnisse.

Was sagt der Film über die Menschheit?

Er ist sehr pessimistisch, und im Grunde sagt er: Wir sind nicht interessiert an der Rettung der Erde. Wir sind sogar zu doof, kleinste Konflikte zu lösen. Und wir tun uns schwer damit, rasch auf Bedrohungen zu reagieren, die entweder nicht sichtbar sind oder weit in der Zukunft liegen. Oder beides. McKay hatte wissenschaftliche Berater. Sie empfahlen, den Zeitraum zwischen Entdeckung des Kometen und vorausgesagtem Aufprall länger zu gestalten. McKay lehnte ab, weil er meinte, sonst verstehe keiner, worum es wirklich gehe.

Was ist der größte Moment des Films?

Als der inzwischen geläuterte Professor Mindy Hand in Hand mit Familie und Freunden am Tisch sitzt und ein Hauch von letztem Abendmahl durch den Film zieht, weil der Boden bereits bebt. Dazu sagt er: „Wir hatten doch alles, was man sich nur wünschen konnte.“

Gibt es gar keine Hoffnung in dem Film?

Doch. In Person von Timothée Chalamet. Sein Skater Boy ist der Grund, warum man dann doch noch an die Menschheit glaubt. Er ist womöglich der einzige echte Mensch in dieser bitteren Satire, der einzige mit Seele. Er erklärt, warum er an Gott glaubt. Er folgt seinem Herzen, er verliebt sich in Kate Diabiasky, und er ist nicht berechnend. Er ist der jüngste Charakter in diesem Panoptikum. Und ein Hinweis darauf, dass der Regisseur die Menschheit vielleicht insgeheim doch für überlebensfähig erachtet.

Dieser Artikel erschien zunächst bei RP Online.

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