Wagner wie aus dem Discounter Durchwachsener Lohengrin bei Bayreuther Festspielen

BAYREUTH · Regisseur Yuval Sharon widmet seine Inszenierung des Lohengrin bei den Bayreuther Festspielen der MeToo-Debatte. Herausgekommen ist ein langweilig sortierter Legokasten.

 Wagner aus dem Discounter: Szene aus der Bayreuther „Lohengrin“-Inszenierung.

Wagner aus dem Discounter: Szene aus der Bayreuther „Lohengrin“-Inszenierung.

Foto: dpa

Der Wandel der Zeiten im Verhältnis der Geschlechter zeigt sich beispielhaft bei den blutjungen Eheleuten Lohengrin und Elsa von Brabant. Auf ihr ruhte bekanntlich Lohengrins mysteriöses Frageverbot, nie sollte sie seinen Namen wissen wollen, eine absurde Forderung, weswegen sie in der Hochzeitsnacht erst recht neugierig wurde. Die Folgen? Ende Gelände, Ende Ehe.

Früher, in konservativen Zeiten, riefen alle Wagnerianer: Warum wollte die naive Elsa denn auch dieses Geheimnis ergründen, wenn sie jetzt doch einen Helden aus edlem Rittergeschlecht zum Mann hatte? Das herablassende Frauenbild, das hinter diesem Imperativ steckte – nie zweifeln, nur glauben –, war auf Wagner selbst, den welterlösenden Künstler, zugeschnitten; der mochte es nicht, wenn eine Frau ihm widersprach. Heutzutage wird Elsas Fragerecht als Akt der weiblichen Selbstbestimmung ausdrücklich bejaht. Zuspruch von allen Seiten: Jag ihn vom Acker, den Tenorritter, den blasierten!

Solche Aspekte spielen auch in der neuen Bayreuther Inszenierung von Wagners Werk eine Rolle. Laut Partitur handelt es sich um eine „romantische Oper“, doch Romantik ist heutzutage Schnee oder Sahara von gestern. Eine Elsa des 21. Jahrhunderts wendet sich an eine Eheberatungsstelle oder an die beste Freundin, wenn sie fundamentale, unlösbare Zweifel am Gatten überkommen. Oder sie entscheidet allein.

Regisseur Yuval Sharon widmet seine Inszenierung der MeToo-Debatte; für ihn ist Elsa eine Bannerträgerin der Selbstbestimmung, des Widerspruchs und der Forderung nach intersexuellem Respekt. Für Elsa, glaubt der Regisseur, ist es das Beste, dass sie frühzeitig die Reißleine zieht. Schon bei ihrem Erstkontakt weiß man: Diese beiden werden keine Freude aneinander haben. Elsa schaut die ganze Zeit unfroh und geht auf Distanz. In der Hochzeitsnacht im Hotelzimmer lesen beide einander aus der Bibel vor. Intensität kommt erst auf, als Lohengrin sein wahres Gesicht zeigt und seine junge Gemahlin zu fesseln beginnt. Da ist endgültig der Ofen aus bei Elsa.

Machen wir uns nichts vor: Trotz solcher Aktualisierungen ist Sharons Inszenierung ein langweilig sortierter Legokasten, in dem erhabene Menschen wie Steine über die Bühne geschoben werden, bis sie ihre vorläufige oder endgültige Stand-, Sitz- oder Liegeposition erreicht haben. Andererseits wird man Sharon dezent bedeutet haben, dass er lediglich ein freundlicher Animateur sein soll, denn der Clou der Produktion ist das Bühnenbild des berühmten Künstlers Neo Rauch und seiner Gattin Rosa Loy.

Eine einfallsreich gebaute Kulisse suchen wir allerdings vergebens, die beiden haben lediglich eine gewaltige, bühnenbreite Tapete mit allerlei Himmelserscheinungen an den Rundhorizont gemalt. Offenbar haben sie daheim im Atelier Bachs „Matthäus-Passion“ gehört: sind Blitze, sind Donner in Wolken verschwunden. Das ergibt eine überaus museale Anordnung, die Sharon/Rauch/Loy durch ein Bildelement der Moderne konterkarieren. Mitten auf der Bühne steht ein verlassenes Umspannwerk, und die Leute ringsum sehen entweder aus wie a) Freimaurer, b) von Vermeer gemalt oder c) aus einem Harry-Potter-Film entlaufen. Viele von ihnen tragen Mottenflügel, gucken einfältig, und wenn sie am Ende dem Licht, der Elektrizität oder dem vermissten Gottfried zu nahe kommen, der jetzt aussieht wie ein grün phosphoreszierender Karl Marx, fallen sie tot um.

Daneben gibt es ein 1:1- Magritte-Zitat, wenn nämlich oben der Himmel besonnt ist und unten das Licht angeknipst wird. Manchmal ist das Licht aber auch nur flau, und nichts Genaues sieht man nicht, außer dass Elsa mal wieder mit trüben Gedanken von links nach rechts oder von vorn nach hinten geht.

Ja, so schaut’s aus, wenn für jeden im Saal etwas dabei sein soll: volles Rohr fauler Symbolzauber, mit etwas Schnickschnack-Moderne und Surrealismus konfrontiert. Inszenatorisch ist diese Produktion teurer Schund. Die Energie aus diesen Stromkreisläufen würden wir für einen einzigen Wunsch nutzen: Scotty, beam mich weg von hier!

So ruhen denn alle Hoffnungen auf den Sängern – und auf Christian Thielemann, dem Platzhirsch am Dirigentenpult. Der gefällt sich als Lohengrin mit Taktstock, als eindruckschindender Retter in höchster Not, wenn alle anderen ringsum versagen. Allerdings gelingt es Thielemann, die Partitur sehr schön zu verflüssigen (was man von der Inszenierung nicht sagen kann), die Musik bleibt keine Sekunde statisch. Und das azurblaue Firmament der hohen Streicher ist einfach mirakulös. Im Handwerklichen hapert es allerdings gewaltig, weil die Koordination zwischen Orchester und Chor stellenweise abenteuerlich gestört scheint.

Auf diesem umsichtig bewässerten Humus sollte alles Sängerische gedeihen. Mit ihrem ebenso herzlichen wie spröden Sopran (das ist kein Widerspruch!) sinkt Anja Harteros als Elsa ins vokale Himmelsbett, in dem sich aber auch Piotr Beczala als Lohengrin sehr behaglich ausbreiten darf. Der polnische Tenor war unlängst für Roberto Alagna eingesprungen, wie dieser beherrscht er das italienische Fach, was für die Lohengrin-Partie eher Vorteil als Handicap ist.

Dieser Tenor muss ein Belkantist sein, kein Schlagetot, und auch Beczala trägt die „Gralserzählung“ wie einen poetischen Hymnus vor, an dem sich der Held selbst berauscht. Zuvor hatte er einige bleiche Stellen, aber der dritte Akt war superb. Daneben sangen Waltraud Meier als Ortrud eher bleich und schrill und Tomasz Konieczny als Telramund eher laut und undifferenziert.

Die freudige Stimmung beim Publikum war erstaunlich einhellig. Ja, es war für jeden etwas dabei. Wagner aus dem Discounter.

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