Bestseller-Verfilmung Edgar Selge dreht Houellebecqs "Unterwerfung"

Berlin · Nach dem Theater kommt der Film: Mit "Unterwerfung" feierte Edgar Selge auf der Bühne einen rauschenden Erfolg. Jetzt kommt Michel Houellebecqs Bestseller ins Fernsehen. Und wieder ist Selge dabei.

 Edgar Selge (l) und Matthias Brandt in Berlin bei Dreharbeiten zum Spielfilm "Unterwerfung".

Edgar Selge (l) und Matthias Brandt in Berlin bei Dreharbeiten zum Spielfilm "Unterwerfung".

Foto: Jörg Carstensen

Männer im weißen Kaftan, den Kopf bedeckt, stehen neben Herren im Zweireiher und unterhalten sich bei Häppchen und Champagner. Wären da nicht die Scheinwerfer und die Kamera - die Szene könnte als internationale Konferenz durchgehen.

Die Herrschaften im Innenhof der Technischen Universität in Berlin sind aber Statisten. An einem Herbstnachmittag stehen sie hier für einen Fernsehfilm, die Vorlage liefert ihnen der Bestseller "Unterwerfung".

In seinem Roman, der in Frankreich für Furore und manch böse Schlagzeile sorgte, zeichnet Michel Houellebecq das Bild eines vom Islam beherrschten Staates. Die Männer in Weiß unten im Universitätshof, so sieht sie Houellebecq, sind die Vorboten der Islamisierung.

Schonungslos hat Houellebecq in seiner ironischen Parabel ethische und moralische Maßstäbe beiseite geschoben und das Bild eines politischen und gesellschaftlichen Zerfalls gezeichnet. "Das macht frei", sagt der Schauspieler Edgar Selge, der die Hauptrolle spielt, während der Dreharbeiten. "Diese Fiktion einer muslimischen Partei nimmt unsere Phobien und Ängste auf und baut daraus einen Science-Fiction-Roman, der 2022 spielt" - also in absehbarer Zeit.

Für Selge (69) ist der Stoff nicht neu. In der Rolle des Literaturwissenschaftlers François, der sich von der Islambrüderschaft an der Pariser Sorbonne-Universität umwerben lässt, feierte er mit "Unterwerfung" am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg einen rauschenden Erfolg. Für seinen fast dreistündigen Monolog in einer Adaption der Regisseurin Karin Beier bekam Selge den Deutschen Theaterpreis "Der Faust".

Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) hat nun dazu einen Fernsehfilm in Auftrag gegeben, die Regie hat Titus Selge, ein Neffe von Edgar. Im kommenden Jahr läuft die Produktion im Ersten. Fragmente der Theateraufführung werden für die Neuproduktion mit Filmszenen verknüpft. Die Außenaufnahmen wurden in Paris gedreht, die Innenszenen kommen aus Berlin.

Edgar Selge ist ein Houellebecq-Fan. "Von 'Ausweitung der Kampfzone' bis 'Karte und Gebiet' - ich habe alles von ihm gelesen", sagt er im Gespräch. "Er ist ein großer Spieler, ein Komödiant. Durch das Lachen und die Situationskomik, mit der er sich selber preisgibt, verführt er die Menschen, ihm zu folgen. Der Leser merkt erst später, wozu François gebeten wurde."

Gebeten wird François in "Unterwerfung" zur Preisgabe all dessen, was Selge als westliches Erbe sieht: Freiheit und Selbstbestimmung. "Wie wichtig ist uns die Demokratie, unser kritisches Denken und wie leicht würden wir uns verkaufen, um eine gesellschaftlich höhere Stellung und gutes Einkommen und, ja, auch genügend Frauen zu bekommen" - diese Fragen stelle Houellebecq in unerbittlicher Form. Und spreche damit alle an, Liberale und Reaktionäre, Rechte und Linke.

Titus Selge filmte zunächst das Theaterstück mit sieben Kameras. Dazwischen werden die Filmszenen montiert. In einer Rahmenhandlung sollen die Zuschauer mitbekommen, wie der Schauspieler Selge zur Arbeit geht, den Text lernt, sich hinter der Bühne vorbereitet. Ein Luxus, sagt Selge, sei es, den Text nun mit anderen Darstellern, darunter Matthias Brandt und Alina Levshin, zu teilen. "Jetzt reden die anderen Figuren, ich kann einem Text zuhören, den ich von Anfang bis Ende kenne."

Bei den Dreharbeiten trifft Houellebecqs Fiktion auf die Realität: "Die Tage in Paris waren sehr eindrucksvoll". An der Place d'Italie habe er die irritierten Reaktionen der Passanten auf die in Burkas verhüllten Komparsinnen beobachtet. "So etwas hat einen sehr viel höheren Irritationsgrad als in Deutschland, weil in Frankreich die öffentliche Verschleierung verboten ist."

Als "Autor der totalen Schlaffheit" hat sich Houellebecq gerade in einem "Spiegel"-Interview bezeichnet - eine Haltung, die der Schauspieler Selge gut nachvollziehen kann. "Das löst Freiheit aus. Man kann zwar nicht schlaff spielen, da laufen die Leute weg. Aber man kann merken, wieviel Anstrengung man im Kopf hat - und diese Anstrengung weglassen". Auch Houellebecqs "exzessive Art, sich zu verweigern", trifft bei Selge einen Nerv.

Aus dem Umgang mit der Unterwerfung zieht er eigene Schlüsse. "Wir können froh sein, dass die Dimension der Religion durch die vielen Migranten in unser Land gebracht wird", sagt er. Sie stellen uns die Frage, "was unsere eigene Religion und Kultur uns noch wert ist". Deswegen sei es auch konsequent, dass das Bühnenbild der Hamburger "Unterwerfung" in einem rotierenden Kreuz angesiedelt ist - und nicht in einem Halbmond. Mit solchen Fragen ist Selge auch als Schauspieler konfrontiert. In dem ARD-Film "So auf Erden" spielte er jüngst einen fanatischen Gottesmann.

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