Junge Kölner Theatermacher im Interview Ein Spiel, das die Augen öffnet

Andrea Imler, Pınar Karabulut, Matthias Köhler und Charlotte Sprenger haben für das Schauspiel Köln die Spielstätte „Britney“ aufgebaut. Klaus Radke sprach mit den jungen Theatermachern über ihre Ideen und Ziele

 Team Britney

Team Britney

Foto: Britney

Was zeichnet einen guten Regisseur aus?

Pınar Karabulut: Regie führen ist ein wahnsinnig intimer Prozess. Du kannst dich auf einer Probe nicht verstellen. Du kannst nicht behaupten, du bist der coole Typ. Das funktioniert nicht. Ich kann das auch gar nicht trennen. Ich kann ja nur von dem schöpfen, was ich erlebt habe, erfahren habe, wie ich das zwischenmenschliche Dasein begreife. Es erzählt so viel über meine Persönlichkeit, wenn ich mich derart öffnen muss. Deswegen ist es wichtig, dass man sich mit den Schauspielern gut versteht. Hapert es da, muss man noch ganz andere Kämpfe austragen, die wirklich extrem auslaugen. Wenn man allerdings diese Kämpfe besteht und dann wieder in den Ring steigt: Okay, dann weiß man auch, dass man das alles wirklich will. Und hat vielleicht sogar neues Material für die nächste Inszenierung (alle lachen).

Matthias Köhler: Wenn man sich so öffnet, lässt man jeden seine Phantasie und seine Emotionen ein Stück weit mitlesen. Das macht verwundbar. Das muss nicht gewollt sein. Aber das passiert. Vielleicht merkt man das nicht in diesem Moment, aber man wächst daran.

Köhler: Man hat unglaublich große Verantwortung als Regisseur oder Regisseurin. Aber uns wird es darum gehen, Machtverhältnisse nicht ständig so klar offenzulegen, zu betonen oder gar auszunutzen. Wenn etwas schiefgeht, ist man der, den alle angucken: Wie machen wir es jetzt? Dann kommt es darauf an, dass man nicht sagt: „So wird das gemacht, diskutiert wird nicht.“

Charlotte Sprenger: Man muss lernen, Schwächen zuzugeben. Das tut tatsächlich weh. Aber man muss gar nicht vorgeben, alles zu wissen. Ein sehr viel älterer Schauspieler etwa weiß im Zweifel über Theater viel mehr als ich. Diese Kombination ist dann interessant. Was ist meine Perspektive, wie ist seine? Für mich war es unglaublich wichtig festzustellen, wie mich das entspannt, wenn ich sagen kann: Ich weiß es einfach nicht.

Andrea, wie gehst du als Regisseurin damit um, wenn du keine Lösung weißt?

Andrea Imler: Ein Kollege spricht da immer vom „Nullpunkt“. Ein tolles Wort. Man selber hat Vorschläge gemacht, die Darsteller haben Vorschläge gemacht, aber nichts hat funktioniert. Am Anfang saß ich da und fing an, mir um das ganze Stück Sorgen zu machen. Aber ich habe gelernt: Das ist eine schöne Situation, da passieren die spannendsten Sachen! So begann ich, den Nullpunkt als etwas Positives zu begreifen. Weil Dinge passieren, die größer sind als die Geister der Beteiligten. Da passiert manchmal etwas Magisches. Wenn alle gemeinsam ihre Köpfe drauflegen auf dieses Ding, dann entsteht etwas, was man sich selber nie hätte ausdenken können. Und das ist etwas ganz Phantastisches.

Das klingt, als bewegtet ihr euch bei den Proben in einem „geschützten Raum“, in dem man im entscheidenden Moment vom Team aufgefangen wird ...

Imler: Es ist sehr wichtig, dass man als Regisseurin einen angstfreien Raum schafft. Wir möchten einen Modus finden, der alle Beteiligten einbindet. Der Wettbewerb, die Eitelkeiten und all das ist natürlich da und bedrängt einen auch manchmal. Da muss man aufpassen, dass das nicht diesen magischen Moment kaputtmacht.

Sprenger: Es gibt auch Tage, wo man nervöser auf andere Menschen reagiert. Das ist auch in Ordnung. Ich finde auch, dass man mal ungerecht sein darf. Aber man sollte versuchen, darüber zu reflektieren. Ich darf mir nicht einbilden, nur ich hätte das Recht, auch mal laut zu werden. Es geht darum, den Beruf anders zu begreifen, und nicht darum, dass man zu allen nur noch lieb sein darf.

Karabulut: Es ist schon alles sehr anstrengend, aber das muss man investieren, um das System aufzulockern. Ich finde es albern, dass der Regisseur im Jahr 2017 noch ganz in schwarz ... (alle lachen, weil alle vier schwarz tragen) … und nachdenklich sein muss – diese alten Stereotypen. Das passt nicht zu meiner Welt. So möchte ich nicht arbeiten.

Imler: Das Interessante ist doch, dass die Ergebnisse davon völlig unabhängig sind. Wer die Schauspieler angreift, macht nicht automatisch besseres Theater. Im Gegenteil: Die kriegen dann Krusten, und man braucht Wochen und Monate, um sie wieder zu durchdringen. Das, was wir da beschrieben haben, ist doch, dass man in einen persönlichen Austausch geht, dass man sich selber offenbart und dass man auch vom Anderen möchte, dass er sich ein Stück weit öffnet, um eben wirklich am Kern der Sache zu landen und nicht nur Oberflächen aneinander zu reiben.

Worauf beruht euer Vertrauen in das Theater und eure künstlerische Kraft?

Sprenger: Als Grundvoraussetzung muss wahrscheinlich eine gewisse Art von Selbstbewusstsein da sein, um sich überhaupt vor Leute stellen zu können. Aber jedes Stück ist ein Spiel und kann scheitern. Und wenn ich mich frage, warum ich so ein Risiko eingehe, hat das für mich ganz viel mit der Verabredung zu tun, die man eingeht: Was wir auf der Bühne tun, ist für uns das Wichtigste auf der Welt. Das soll nicht überheblich klingen. Es geht nur darum, dass das Theater gebraucht wird. Es ist sehr, sehr wichtig. Auch wenn es keinen Nutzen hat wie ein Gegenstand des Alltags.

Köhler: Keinen unmittelbaren Nutzen!

Sprenger: Aber es kann die Augen öffnen. Dieses Spiel kann total glücklich machen und total unglücklich.

Karabulut: Eigentlich ist das dann ja auch eine Form von Liebe. Auch in Liebesbeziehungen muss man sich einmal streiten. Aber es ist immer Liebe.

Imler: Wenn man sich da hineinbegibt und es ernst nimmt, dann verlässt man es auch nicht so schnell. Weil man so involviert ist. Natürlich lässt man Zweifel immer zu. Aber man braucht schon eine gewisse Gelassenheit und das Vertrauen darauf, dass es weitergeht.

Karabulut: Auch bei Schauspielern gibt es Momente, wo sie an sich selber zweifeln. Das ist etwas Menschliches. Es gibt immer den Moment, wo du dir als Regisseurin sagst: Dieser Schauspieler überfordert uns jetzt wirklich – aber ich liebe diesen Mann! Dann sagst du das genau so, und man spricht sich aus.

Imler: Das ist eigentlich Wahnsinn. Was da passiert, kann man nicht wirklich durchschauen, das ist Wahnsinn. Ganz oft. Aber ein so schöner, dass man sich dem immer wieder gerne hingibt.

Köhler: Die Produktion wird zum Zentrum. Man wird asozial. Du ernährst dich falsch, vernachlässigst deine Familie, deinen Freundeskreis außerhalb des Theaters, deine Wohnung, alles. Das ist Liebe. Und es ist die Verabredung, dass das Theater das Wichtigste auf der Welt ist. Wichtiger als alles andere.

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