Gelesen und notiert Eine Geschichte beklemmender als die andere

Bandi: Denunziation. Erzählungen aus Nordkorea. "Bandi" ist Koreanisch und heißt "Glühwürmchen".

Das Pseudonym bezeichnet angeblich einen 1950 geborenen nordkoreanischen Schriftsteller, Mitglied im Zentralkomitee der staatlichen Autorenvereinigung und dennoch Dissident, dem es gelungen sei, die Texte dieses Buches mit Hilfe von Unbekannten aus dem Land herauszuschmuggeln. Nachprüfen lässt sich das nicht (zumal auch die wenigen bio- und geografischen Hinweise im Text zum Schutz des Autors verändert wurden).

Das Buch erschien vor drei Jahren zuerst in Südkorea und wurde dort Zentrum einer intensiven politischen Debatte über den Umgang mit dem entfremdeten Bruderland. In sieben Geschichten, eine beklemmender als die andere, erzählt es vom Leben in einem brutalen, ja terroristischen Überwachungs- und Gleichschaltungsstaat, der seinen Untertanen das Leben bis ins kleinste Detail vorschreibt.

In "Die Stadt der Gespenster" zum Beispiel gerät die junge Kyeong-Hui ins Visier der Blockwartin, weil sie ihre Vorhänge nicht öffnen will: Ihr kleiner Sohn hat Angst vor dem riesigen Karl-Marx-Bild gegenüber. Zweifellos ein Zeichen für konterrevolutionäre Erziehung - und das auch noch, besonders verwerflich, während des Nationalfeiertages!

Das Regime zeigt keine Gnade: Kyeong-Hui wird mit ihrer Familie aufs Land deportiert, und das Marx-Porträt scheint ihr nachzurufen: "Du hast geglaubt, die Stadt gehöre dir? Sie gehört nur uns allein!"

Vielleicht am erschütterndsten liest sich die Geschichte "Irya Madya, Schatzpferd!": Der Pferdekutscher Yong-Su, glühender Kommunist und Träger von 13 Verdienstmedaillen, gerät mit einem Polizeikommando aneinander, das eines Telefonkabels wegen einen Ast der Ulme in Yong-Sus Garten abschneiden soll.

Vor Jahren hat er den Baum gepflanzt, um seinen Parteieintritt zu feiern. Nun kann die Partei im bitterkalten Winter nicht einmal Brennholz liefern. Yong-Su dreht durch, hackt seinen "Lebensbaum" selbst ab, befeuert mit den Scheiten den Ofen - und stirbt noch in derselben Nacht an einem Herzinfarkt.

"Vieles ist vorstellbar, sogar dass Bandi ein Konstrukt ist", sagt Thomas Reichart, Leiter des ZDF-Studios Peking, im Vorwort zum Buch. Vielleicht aber kommt es auf die Identität des "Glühwürmchens" nicht an. Wichtiger ist der gemeinsame Nenner aller Geschichten: Dass selbst in der Diktatur kleine Fluchten ins Private, Persönliche, gar Freundschaftliche möglich sind, macht es nur schlimmer.

Nicht nur des grausamen Kontrasts wegen, sondern auch ob der ständigen Willkür und der Unsicherheit: Was ist verboten? Wem darf ich trauen? Habe ich das Richtige gesagt? Die Menschen müssen ihre Seele tief in sich selbst begraben, sich selber knebeln und haben doch immer Angst. Ein düsteres und faszinierendes Buch zugleich. (piw)

Piper, 223 S., 20 Euro

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