Italienischer Filmmusikkomponist Ennio Morricone im Alter von 91 Jahren gestorben

Bonn · Der italienische Filmmusikkomponist Ennio Morricone ist im Alter von 91 Jahren gestorben. Er hat mehr als 500 Filmmusiken geschrieben, von „Spiel mir das Lied vom Tod“ bis zu „The Hateful 8“.

 Der Meister im Kinosessel: Ennio Morricone, aufgenommen im Dezember 2013 in Berlin.

Der Meister im Kinosessel: Ennio Morricone, aufgenommen im Dezember 2013 in Berlin.

Foto: AP/Michael Sohn

Vor einigen Jahren erzählte Ennio Morricone eine großartige Geschichte. Der Autor dieser Zeilen hatte ihn, den wunderbaren Filmmusik-Komponisten, in Rom besucht, in einem morbiden, den Ruhm vergangener Tage atmenden Hotel, in dem er ein Zimmer für kleine Empfänge gebucht hatte. Die Unterhaltung verlief prächtig, Morricone war grandios eitel, trotzdem schimmerte eine sozusagen schlitzohrige Bescheidenheit durch. Auf die Frage, wann er zuletzt einen Film ohne seine eigene Musik gesehen habe, antwortete er wie aus der Beretta geschossen: „Es war ,Million Dollar Baby‘ von Clint Eastwood. Es war mächtig entspannend!“

Ja, Morricone konnte einem an die Nieren gehen. Er drang direkt zu den Bereichen vor, in denen die emotionale Wehrlosigkeit des Menschen sitzt. Er ließ Tränen fließen, ließ den Herzschlag rattern, zerrte an den Nerven, er hatte ein unfassbares Gespür für das Kino und die Magie des Moments. Aber das Tolle ist, dass alle seine Musiken auch ohne Film funktionieren. Kaum zu glauben? Na, dann muss man sich nur bei Youtube ein von ihm dirigiertes Konzert anhören, bei dem unter anderem seine Musik zu Giuseppe Tornatores „Cinema Paradiso“ erklingt.

Himmlisch schön

 Oscar 2016: Szene aus Quentin Tarantinos „The Hateful 8“ mit Kurt Russell (links) und Samuel L. Jackson.

Oscar 2016: Szene aus Quentin Tarantinos „The Hateful 8“ mit Kurt Russell (links) und Samuel L. Jackson.

Foto: picture alliance / dpa/Andrew Cooper

Eine schmelzende, himmlisch schöne, wie von Gott für uns Sünder komponierte Musik ist das, anfangs vom Klavier als Ballade angestimmt, ein fast scheues B-Dur, das es aber in sich hat, dann mit dem Orchester dicke Stricke ums Herz des Hörers legt und sie langsam zuzieht. Der Film ist eine Liebeserklärung ans Kino, Morricone sorgte dafür, dass man den Film auch im Ohr behielt.

Natürlich hat er, der gelernte Komponist und Trompeter, anfangs sozusagen die richtige Musik für die falschen Filme geschrieben. Als er jung war, bekam er eine Reihe von B-Filmen. Für die musste er arbeiten, weil er Geld brauchte. „Ich sah also so ein Machwerk, in dem die Schauspieler wie Marionetten durch die Gegend staksten, und verspürte das Bedürfnis, es irgendwie zu retten – mit richtig guter Musik. Ein ungeheuerlicher Fehler! In Rom sagen wir: einen Papagei wie den Papst anziehen. Das habe ich versucht, und es ging schief.“

Angeborene Scheu

Unter den berühmtesten Komponisten der Welt ist er fraglos einer der unbekannten. Millionen Leute pfeifen seine Melodien, etwa die zu „Spiel mir das Lied vom Tod“, doch die wenigsten haben sein Gesicht präsent. Sogar in Rom, seiner Heimatstadt, kennt ihn keiner. Das hat mit seiner angeborenen Scheu zu tun – und mit seinem Arbeitseifer. Alle kamen zu ihm, die den unverwechselbaren Sound brauchten: Sergio Leone, Bernardo Bertolucci, Henri Verneuil, Roman Polanski, Franco Zeffirelli, Mike Nichols, Quentin Tarantino. Giuseppe Tornatore war 2016 in „La correspondenca“ der letzte Regisseur, mit dem Morricone gearbeitet hatte, da war er bereits 88 Jahre alt. Konnte einfach nicht aufhören.

Morricone hat viel mehr geschrieben als seine ungemein vielgestaltige Filmmusik, beispielsweise eine Chorkomposition zum 11. September, „Voci dal silenzio“, außerdem sinfonische Musik und Kammermusik. Tatsächlich wollte er anfangs einfach nur Komponist werden, mit Kino hatte er nur wenig im Sinn. In Goffredo Petrassi hatte er einen hochrangigen Lehrer, mit seinen Freunden und Kollegen Luigi Nono, Luigi Dallapiccola, Luciano Berio und Franco Donatoni – allesamt sogenannte Neutöner – stand er oft gemeinsam auf Konzertplakaten.

Sie schätzte er sehr, wusste aber, dass jedes Publikum der Welt mit den Füßen abstimmen würde. „Nono gefiel mir sehr, vor allem seine Chormusik. Die Italiener indes mögen zeitgenössische Musik gar nicht. Sie ist den Leuten hier ziemlich egal. Die wenigen Konzerte, die es gibt, finden vor leeren Reihen statt. Und wenn Sie innerhalb eines klassischen Konzerts mit Mozart und Beethoven etwas Modernes bringen, müssen Sie damit rechnen, dass das Publikum den Saal verlässt.“

Selbst ausprobiert

In seinen ersten Jahren hatte er das selbst ausprobiert. 1958 war er sogar Besucher der Darmstädter Ferienkurse gewesen. Doch später begriff er die Mechanismen des Betriebs: „Geschlagene neun Monate schrieb ich an meinem ersten Orchesterstück, das auf dem Festival von Venedig aufgeführt wurde. Und für diese ganze Arbeit bekam ich lächerliche 60.000 Lire. Da begriff ich, dass ich von solchen Kompositionen keine Familie ernähren konnte.“

1946 hatte er begonnen, Arrangements für das Varieté-Theater zu schreiben, dann für das Radio und das Fernsehen. 1961 kam der erste Kinofilm, „Il Federale“ von Luciano Salce . Viele Jahre war er mit dem Kino so beschäftigt, dass er seine ursprüngliche Kompositionsarbeit liegen ließ. In den achtziger Jahren begann er wieder damit. Das war ihm wichtig: „Ich selbst betrachte mich als einen Komponisten, der auf zwei Säulen steht.“

Zu seinem Ärger wurde er immer als Komponist der italoamerikanischen „Spaghetti-Western“ einsortiert. Wenig bekannt ist zum Beispiel, dass er eng mit Pier Paolo Pasolini zusammengearbeitet hat, immer wieder, für „Decameron“, für „Teorema“ oder „Salò – Die 120 Tage von Sodom“. Er nannte Pasolini mal einen „Menschen mit einer edlen Seele“, trotz seiner beinharten, unversöhnlichen Bildersprache.

Fanatische Leidenschaft

Mit Pasolini teilte Morricone übrigens eine fast fanatische Leidenschaft für Fußball. Seit seiner Kindheit war er ein glühender Fan des AS Rom. Das gab zuweilen Ärger: „Mein enger Freund Sergio Leone, Römer wie ich, war Fan des Lokalrivalen Lazio Rom. Wir haben so manches Derby zusammen gesehen. Wie haben wir uns angegiftet! Mein erstes Match als Kind aber war AS Rom gegen Juventus Turin, 1:0, im Oktober 1938. Damals spielte meine Mannschaft noch im Stadion des Schlachthofviertels Testaccio. Später hatte ich über viele Jahre eine Dauerkarte im Olympiastadion.“ Nun, seine Musik war immer Verlängerung mit Elfmeterschießen. Spannend bis zum Herzkasper, jubelnd bis zur Erschöpfung.

Ennio Morricone ist jetzt im Alter von 91 Jahren in einem römischen Krankenhaus gestorben. Zwei Oscars bekam er, einen für sein Lebenswerk, einen weiteren für die Musik zu Tarantinos Western „The Hateful Eight“. Der kam 2015 heraus. Zuvor hatte er 36 Jahre lang keine Musik zu einem Western mehr gemacht. Egal. Er wusste ja, wie es geht.

Die Mundharmonika zählte übrigens nicht zu seinen Lieblingsinstrumenten.

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