TV-Nachlese „Hart aber Fair“ „Hart gegensteuern oder durchlaufen lassen?“
Düsseldorf · Bei „Hart aber Fair“ geht es um Omikron, Impfpflicht und die Demokratie. Der Bundesgesundheitsminister will bei Infektionszahlen nicht auf Corona-Maßnahmen verzichten. Eine Durchseuchung in Kauf zu nehmen, ist für Lauterbach eine „unethische Wette“.
Darum ging es
Frank Plasberg hätte lieber eine Rückblick-Sendung gemacht, aber Corona ist noch nicht Vergangenheit. Im Gegenteil: “Das Virus dreht noch mal richtig auf”, sagt der ”Hart aber Fair”-Moderator und fragt am Abend in der ARD, wie es weitergeht: “Hart gegensteuern oder durchlaufen lassen?” Und was ist mit der Impfpflicht?
Die Gäste
- Karl Lauterbach, Bundesgesundheitsminister, SPD
- Anke Richter-Schär, Internistin und Hausärztin
- Claudia Kade, Politikchefin der “Welt“
- Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der Union-Fraktion, CDU
- Antonie Rietzschel, Freie Journalistin und Politikwissenschaftlerin aus Leipzig
Der Talkverlauf
“Wie hart werden die Wochen mit Omikron?” will Frank Plasberg vom Bundesgesundheitsminister wissen, und Karl Lauterbach kommentiert erst einmal eine Aussage des Charité-Virologen Christian Drosten, der gesagt hatte, an einigen Stellen müsse dem Virus die Tür geöffnet werden. Dazu Lauterbach: Das sei kaum nötig, das Virus komme schon von alleine rein. Er plädiert aber dafür, durch Maßnahmen mehr Zeit zu gewinnen, um noch mehr zu boostern. “Realistischerweise sind die Fallzahlen nicht auf dem Niveau von jetzt zu halten,” sagt der Minister. “Aber es macht medizinisch einen Riesenunterschied, ob ich eine schnelle Durchseuchung zulasse, oder ob ich viele noch schütze und die Gesamtwelle besser abflache als das anderen Ländern gelungen ist.”
Journalistin Claudia Kade sieht besagte Tür immerhin offen für einen anderen Umgang mit dem Virus. Auch Drosten wirke gelassener. “Angesichts bisheriger Erkenntnisse über Omikron ist das auch angemessen”, findet die Welt-Journalistin. Nachdem Plasberg einen Film über die Situation in England gezeigt hat, wo die Inzidenz derzeit bei 1900 liegt, macht der Lauterbach klar, dass der “englische Weg” für Deutschland nicht infrage kommt.
Auf strenge Maßnahmen trotz hoher Infektionszahlen zu verzichten, ist für ihn eine „unethische Wette“. Menschen besser zu schützen “hat uns auch ökonomisch nicht mehr geschadet als die Engländer sich selbst geschadet haben”, sagt Lauterbach. Zudem seien in Deutschland im Vergleich nur halb so viele Menschen gestorben. Der britische Kurs komme aber allein deshalb nicht in Frage, weil die Impfquote insbesondere bei den Älteren schlechter sei: “Wir haben Deutschland vier bis fünfmal mehr Ungeimpfte bei den über 65-Jährigen als die Engländer”, sagt er, ein derartiges Experiment wäre daher nicht tragbar. „Ich würde eine solche Strategie wie in England - die auf eine Durchseuchung hinausläuft, ohne dass man es so nennen will - eine solche Strategie würde ich uns niemals empfehlen.“
Hausärztin Anke Richter-Schär lobt die Boosteranstrengungen, fragt sich aber, wieso noch immer nicht genug Impfstoffe in den Praxen lande. Zugleich gibt sie zu, den Patienten gegenüber hin und wieder deutlich zu werden, wenn die statt ihrem “Lieblingsimpfstoff” eventuell einen anderen angeboten bekommen: “Wir sind ja hier in keinem Wunschkonzert”, kritisiert sie das hohe Anspruchsdenken einiger angesichts der Tatsache, dass in manchen Ländern gar kein Impfstoff zur Verfügung steht.
Thorsten Frei ist in optimistischer Stimmung: “Wir sind trotz aller Kritik ganz ordentlich durch die Pandemie gekommen.” Die große Zielsetzung sei erfolgreich gewesen. Das Oberziel bleibe, die Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden, und da werde die CDU nun auch die Regierung unterstützen wenn sie sich grundsätzlich in die richtige Richtung bewege.
Journalistin Kade fehlt da etwas Selbstkritik, sie bringt die psychischen Belastungen zur Sprache, vor allem Kinder und Jugendliche hätten viele Maßnahmen hart getroffen. Lauterbach will davon allerdings nichts wissen: Gleiche Probleme würden auch in Ländern beobachtet, in denen es weniger Einschränkungen gab, etwa in den USA. Zur Belastung sagt er: “Ich glaube das liegt an der Pandemie und darf nicht den Lockdowns in die Schuhe geschoben werden.” Eine Pandemie sei eben eine “psychisch enorm belastende Zeit auch und gerade für Kinder.”
Impfpflicht, Proteste und Demokratie - zur Situation der Impfgegner und Demonstrationen befragt Lauterbach die Journalistin Antonie Rietzschel. Die lebt und forscht in Sachsen und hat klare Antworten als Lauterbach sie fragt, wo bei den Vergleichen zwischen einstiger Diktatur und heutigen Einschränkungen die Verhältnismäßigkeit bleibe. “Da müssen sie weggehen von der Annahme, dass das noch mit Rationalität zu tun hat”, rät die Leipzigerin. Es gehe vor allem um eine starke Emotionalisierung, und nun auch zunehmend um eine Radikalisierung. Sie erklärt einige der Mechanismen der “alten Treiber” und extrem Rechten, in einer Demokratie müsse man aber akzeptieren, dass auch diese Denkweisen Teil der Gesellschaft seien.
Politiker Frei stimmt zu: “Wir sind eine offene plurale Gesellschaft, da darf man frei seine Meinung äußern, auch wenn sie abstrus ist”, sagt der CDU-Mann, entscheidend sei, dass sich an die demokratischen Spielregeln gehalten werde. Der Staat müsse zugleich sehr klar in seinen Reaktionen sein. “Wenn Rechtsbrüche stattfinden und Polizisten attackiert werden, da erwarte ich schon auch klare Kante.” Kade sagt, dass teilweise auch Arztpraxen schon Polizeischutz hätten, Lehrer stünden unter Druck. Das gehe “tief rein” in die Gesellschaft.
Und die mögliche Impfpflicht? Die Gäste präsentieren lange Listen ungeklärter Fragen zu dem Thema, Frei nennt die Entscheidung “die schwierigste Frage unserer Zeit” und Lauterbach drängt auf gute Zusammenarbeit aller Fraktionen: “Ich warne davor, angesichts dieses Sprengstoff geladenen Themas Parteipolitik zu machen.” Plasberg verspricht, die mögliche Impfpflicht nächste Woche ausführlicher zu thematisieren.
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