Buchbesprechung Kampf gegen Windräder

Bonn · Heute erscheint Juli Zehs bitterböser, satirischer Heimatroman „Unterleuten“ über DDR-Seilschaften und Berliner Juppies in Brandenburg.

 Akribische Recherche: Die Bonnerin Juli Zeh.

Akribische Recherche: Die Bonnerin Juli Zeh.

Foto: picture alliance / dpa

Brettflache Sandböden und eintönige Kiefernwälder, verfallene Gründerzeitarchitektur und eine spezielle ostdeutsche Trostlosigkeit: Es fällt dem Leser schwer, sich in Unterleuten, unweit von Plausitz im tiefen Brandenburgischen heimisch zu fühlen. Galloway-Rinder langweilen sich auf den Weiden, rund um Plausitz verwandelt sich die Landschaft „in eine Rumpelkammer der Zivilisation“, wie die Schriftstellerin Juli Zeh schreibt, mit Kläranlage, Umspannwerk, Gewerbegebiet, Tankstellen, den Schallschutzwänden der ICE-Trasse – „eine Anti-Landschaft von frustrierender Beliebigkeit“. Der Ernst-Thälmann-Platz ist von Plattenbauten umsäumt. Den Westler Frederik schüttelt es ob der „ästhetischen Verbrechen“.

Wo er wohnt, in Unterleuten, ist es noch nicht so schlimm, aber es deutet sich manches an. Juli Zeh, die 1974 in Bonn geboren wurde und seit 2007 im brandenburgischen Landkreis Havelland lebt, hat über das fiktive Unterleuten und dessen Bewohner einen spannenden, bitterbösen Heimatroman geschrieben – sie nennt es Gesellschaftsroman. Man könnte auch Feldstudie dazu sagen, so akribisch seziert sie diese bizarre Gesellschaft.

Im Havelland heißen die Orte Friesack, Rhinow und Premnitz, in Zehs Roman Plausitz, Groß, Väter, Beutel oder eben Unterleuten. Zehs alter Ego ist die Journalistin mit dem schönen Namen Lucy Finkbeiner, die durch eine Pressemeldung von einem merkwürdigen Todesfall und den ekligen Folgen in einem Dorf der Ostprignitz erfährt, hinter dem sich Unterleuten verbirgt. Finkbeiner befragt die einzelnen Bewohner, Juli Zehs Roman listet die Protokolle chronologisch auf. Ein Dutzend Protagonisten wird wiederholt interviewt, in vier Fragerunden schließt sich das Bild eines faszinierenden, abgründigen Soziotops, einer Mikrogesellschaft, die geprägt ist von Traumata und Träumen, von einander ausschließenden Interessen und Lebensentwürfen – und blankem Hass.

Die urbanen Juppies, Öko-Freaks aus Berlin, der militante Misanthrop und Vogelschützer, der Browsergame-Designer und die Pferdenärrin nutzen die Stadtflucht zum Ausstieg in der vermeintlichen Land-Idylle Unterleuten. Und sie werden ihre Option nutzen, wieder wegzuziehen. Die in Unterleuten hängengebliebenen Ureinwohner, die Zukurzgekommenen aber, die sich in Jahrzehnte langer Fehde beharkenden DDR-Altkader und -Opfer, wissen, dass der Ort ein Gefängnis ist, das man in der Regel nur tot verlassen wird.

Zehs Roman lässt einen Protagonisten nach dem anderen zu Wort kommen, was den Reiz hat, dass sich die Perspektive fortwährend ändert, die Figuren Schritt für Schritt an Kontur gewinnen, sich Seilschaften und Netzwerke herauskristallisieren. Vordergründig geht es um das Angebot einer Firma, in Unterleuten einen Windpark zu installieren, was den maroden Gemeindefinanzen gut täte, die Umweltschutz- und Landschaftsschutzfraktion aber auf die Palme bringt und überhaupt uralte Gräben und Wunden aus der DDR-Zeit aufreißt. Die Erinnerung an Zwangskollektivierung und ideologischen Opportunismus, Neid und Rivalität bricht wieder auf, Wendegewinner und -verlierer gehen wieder aufeinander los. Die Neu-Unterleutner schließen sich mehr oder weniger geschickt der einen oder anderen Fraktion an.

Zeh gelingen wunderbare, mit feiner Ironie und toller Beobachtungsgabe gezeichnete Porträtminiaturen. Sie vergisst darüber aber nicht, den spannenden Erzählfluss voranzutreiben. Da gibt es den zugezogenen Vogelschützer und Aktivist für die Gattung der Kampfläufer, Gerhard Fleiß, mit seiner 20 Jahre jüngeren Frau Jule und dem Baby Sophie, die alle drei unter dem Qualm brennender Reifen leiden. Die stapeln sich auf dem Nachbargrundstück des finsteren Bodo Schaller, den Fleiß nur „das Tier“ nennt. Der ungeschlachte und undurchsichtige Dorfmechaniker hütet ein gruseliges Geheimnis. Die schlaue Linda Franzen aus Berlin, Powerfrau und Pferdezüchterin in spe – deren Mann der Schlaffi Frederik ist, der die Natur am liebsten im Computerspiel erlebt –, hat mit einem süddeutschen Grundstückspekulanten eigene Pläne.

Der so geschickte wie rücksichtslose Gombrowski, in der DDR-Zeit enteigneter Grundbesitzer und nach der Wende erfolgreicher Chef des Betriebs „Ökologica“, ist der mächtige Mann in Unterleuten, Bürgermeister Arne Seidel sein Strohmann und der Kommunist Kron sein ideologischer Gegner. Das sind die Protagonisten, die Zeh in ihrer Gesellschaftssatire aufmarschieren lässt und geschickt gegeneinander in Stellung bringt. Gemäß dem Spruch: „Liebe die Feinde deiner Gegner wie dich selbst“, ein Bonmot des mehrfach auftauchenden und von der taffen Linda verehrten Lebenshilfe-Papstes Manfred Gortz – der existiert wirklich.

Wenn es einen Kritikpunkt an diesem turbulenten Nachwende-Roman gibt, dann der, dass Zeh wirklich kein Klischee auslässt. Unbedingt positiv aber, dass sie sich sowohl pauschale Wessi-Häme wie Ostalgie verkneift. Jeder bekommt hier sein Fett weg.

Juli Zeh: Unterleuten. Luchterhand, 639 S., 24,99 Euro. Juli Zeh liest am Samstag bei der lit.Cologne. Die Lesung ist ausverkauft.

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