Stück von William Shakespeare „König Lear“ feiert Premiere im Bonner Schauspielhaus

Bonn · Luise Voigt hat Shakespeares „König Lear“ im Schauspielhaus Bonn inszeniert. Die seltene Inszenierung des Stücks von 1606 zeigt mehr Künstlichkeit als Kunst.

 König von „achtzig und drüber“: Bernd Braun als Lear.

König von „achtzig und drüber“: Bernd Braun als Lear.

Foto: Thilo Beu

Eine sadistische Versuchsanordnung: In der Tragödie „König Lear“ empfindet der Theaterautor William Shakespeare weder Mitleid mit seinen Figuren noch mit dem Publikum. Was der König, was seine Tochter Cordelia, aber auch Gloster und Kent, Edgar und, nicht zu vergessen, der Narr erleiden müssen, ist das Produkt einer grausamen Fantasie. Selten ist Leid in so extremer Form dargestellt worden: ohne Hoffnung auf jenseitigen Trost oder gar Erlösung.

Das 1606 erstmals aufgeführte Stück ist selten zu sehen. Kein Wunder. Welche Bühne verfügt schon über einen Darsteller, der die Abgründe, in die der achtzigjährige Lear schauen muss, erforscht und szenisch beglaubigt? Die einen sind zu jung, um die Tiefen des Dramas ausloten zu können; die anderen sind zu alt, um die strapaziöse Rolle zu stemmen. Der englische Schauspieler Laurence Olivier wagte sich mit 75 noch einmal an den Lear. Den amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan rührte zu Tränen, was er als Fernseh-Aufzeichnung sah: „Hiernach werde ich mich nie wieder Schauspieler nennen.“

Ein Lobgesang

Bernd Braun, Jahrgang 1954, verkörpert in Luisa Voigts Inszenierung im Bonner Schauspielhaus den König, der zu Beginn des Dramas die Aufteilung seines Königreiches an seine drei Töchter verfügt. Das einzige, was sie dafür abliefern müssen, ist ein Lobgesang auf den alten Vater. Wie man weiß, ist allein Cordelia zur rhetorischen Liebesbekundung nicht bereit, also verliert sie ihren Anteil und später, als die ganze Sache eskaliert, ihr Leben.

Lear, der auf die falschen Töchter gesetzt hat, muss sehen, wie er ohne Macht, ohne Liebe, ohne Hofstaat auskommt. Sein Leid führt abwechselnd zu Erkenntnis und Wahnsinn, zu düsteren Einsichten in die menschliche Natur und zum eigenen Tod. Er bleibt in dieser Hinsicht nicht allein an diesem Abend: Leichen pflastern seinen Weg.

Braun ist auf alter weißer Mann geschminkt und trägt einen Kopfschmuck wie eine Buddha-Statue. Es gibt ihn doppelt auf der von Voigt gestalteten Bühne: als Mensch und als überdimensionale, aufblasbare Puppe (Konzept: Rüdiger Stern). König Lear erscheint als konkrete Figur und als Symbol seiner politischen Funktion. Gleichzeitig fungiert die Puppe als Beobachter von Shakespeares Untergangsszenario, in mehreren Szenen ist die Luft fast raus aus diesem Über-Lear.

Brauns König ist das Zentrum einer durchgestylten, in Weißtönen auftretenden Hofgesellschaft. Sophie Basse als Goneril hat die Kostümabteilung (Maria Strauch) eine groteske Turmfrisur aufgesetzt. Sandrine Zenner als Regan und Holger Kraft als Cornwall bewegen sich wie mechanische Spielzeugfiguren. Roland Riebeling (Kent) ist nicht als einziger auf einem Hüpfball unterwegs. Edgar (Alois Reinhardt) und Edmund (Christoph Gummert) beanspruchen und biegen ihre Körper wie auf einer zeitgenössischen Tanztheaterbühne.

Stürmische Heide

Projektionen auf eine Leinwand im Hintergrund spiegeln die Handlung und bilden die stürmische Heide im dritten Akt ab. Performance-, Zeitlupen- und Stummfilm-Effekte gehören auch zum stilistischen Repertoire der Aufführung.

All das findet in dem meditativen, leise spannungsvollen und gelegentlich eruptiven musikalischen Rahmen statt, den Friederike Bernhardt (Musik) an Tasten und Reglern aufbaut.

Die Künstlichkeit hat an diesem mehr als dreistündigen Abend Methode. Und Konsequenzen. Sie entzieht dem Drama seine emotionale Kraft. Das Schicksal dieser Menschen wird niemand im Parkett beweinen.

Die Konzentration liegt auf Äußer­lichkeiten, nicht auf Tiefe, auf szenischen Choreografien, nicht auf Shakespeares Sprachkunst; sie wird unter Wert verkauft. Die Regisseurin will  vor allem ihre Originalität ausstellen. Voigt arbeitet wie eine Dirigentin, die sich über eine klassische Partitur erhebt. Das ist der Schatten, der auf dieser Inszenierung liegt.

Bedeutungsverlust

Das Licht liefern die Szenen, die dennoch im Gedächtnis bleiben – und die Schauspieler. Bernd Braun zum Beispiel, der am Anfang mit jedem Kleidungsstück, das er anlegt, an königlicher Autorität gewinnt. Später dokumentiert er wie Alois Reinhardts Edgar in Unterhose seine Niederlagen und seinen Bedeutungsverlust. Braun transportiert Leid und Pathos, anfangs wie ein angeschossener Löwe, am Ende ersterbend leise. Er hat das Potenzial für einen großen Shakespeare-Abend – wenn das Regiekonzept es denn zuließe. Sie könnten alle noch besser sein, als sie es an diesem Abend ohnehin schon sind: Sophie Basse und Sandrine Zenner als intrigante und zickige Schwestern. Lena Geyer als Cordelia und Narr; Sören Wunderlich als Albany; Wolfgang Rüter als Gloster und Manuel Zschunke als Oswald. Mit von der Partie sind Florian Janik, Markus Müller und Leander Sparla in diversen Rollen.

Laurence Olivier hat sich den Lear mit 75 zugetraut, Anthony Hopkins zuletzt mit 80. Bernd Braun sollte die Rolle im Auge behalten. Er ist ja noch jung.

Die nächsten Aufführungen: 4., 13., 19., 22. und 28. März. Karten gibt es bei Bonnticket.

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