Interview mit ZDF-Moderatorin Marietta Slomka: „Ich brauche keinen roten Teppich“

Interview | Bonn · Seit 20 Jahren moderiert die Kölnerin Marietta Slomka das „heute journal“. Gefeiert hat sie das nicht. Gaby Herzog sprach mit Slomka über den Karneval, Drohmails und ihre Abneigung gegen das Gendern.

 „Ich bin schon ein kölsches Mädchen“: Seit 20 Jahren moderiert Marietta Slomka das „heute journal“ im ZDF.

„Ich bin schon ein kölsches Mädchen“: Seit 20 Jahren moderiert Marietta Slomka das „heute journal“ im ZDF.

Foto: picture alliance/dpa/Axel Heimken

Frau Slomka, Sie sind die dienstälteste Chef-Nachrichten-Frau im deutschen Fernsehen. In der Corona-Krise haben Sie immer wieder Traumquoten erreicht. Macht der Job süchtig?

Süchtig nicht, aber er wird auch nie langweilig. Und gerade in diesen Zeiten, wenn plötzlich ein paar Millionen mehr zuschauen, weil sie auf der dringenden Suche nach Einordnung und seriöser Information sind, empfinde ich es als ein Privileg, in diesem Fluss des sich ständig ändernden Weltgeschehens zu arbeiten. Wenn im Laufe eines Tages ein Thema hochkocht und ich am Abend den Mann oder die Frau der Stunde dazu interviewen darf, ist das schon besonders.

Sind Sie in solchen Situationen noch nervös? 

Den Druck schüttelt man oft nicht einfach aus den Kleidern, wenn man nach Hause geht. Aber wirklich nervös bin ich nicht – da gibt einem irgendwann auch die Erfahrung Sicherheit und Ruhe. Ich würde eher sagen, dass ich hochkonzentriert bin.

Vor allem in Ihren großen Interviews müssen Sie auf Zack sein.

Meine Gesprächspartner sind meist Politik-Profis, die mit allen Wassern gewaschen sind und wissen, wie man Fragen geschickt ausweicht oder Dinge schön­redet. Da muss man ordentlich vorbereitet sein. Nur wenn ich sicher im Thema bin, alle aktuellen Zahlen im Kopf habe etc., kann ich das Gesagte richtig einordnen und für meine Zuschauer übersetzen. Ich verstehe mich da manchmal auch als Dolmetscherin. Das A und O ist es, genau zuzuhören, um flexibel reagieren zu können. Deswegen bereite ich auch nie einen festen Fragenkatalog vor.

Das heißt, Sie improvisieren?

Ich formuliere nur eine Einstiegsfrage, die muss sitzen. Danach reagiere ich spontan auf das, was gesagt wurde.

Während der Pandemie haben Sie sich tief in ein völlig neues Themengebiet einarbeiten müssen.

Absolut. Ich habe – quasi auf dem dritten Bildungsweg – eine Ausbildung zur Laien-Virologin gemacht. Habe mich durch Studien im Original gequält und versucht zu verstehen, wie ein Spike-Protein funktioniert, und in Fachmagazinen gelesen, von denen ich bis vor Kurzem nicht mal wusste, dass es sie gibt. Auf die Umstände, die dazu führten, hätte ich zwar gerne verzichtet, aber dümmer hat es mich zumindest nicht gemacht.

Phrasendrescher entlarven Sie mit unerschütterlichem Lächeln und leicht ironischem Unterton. Ihre besondere Interviewführung trägt inzwischen sogar Ihren Namen: Ein Politiker wird „geslomkat“.

Ja, das hätte ich mir am Anfang meiner journalistischen Karriere auch nicht träumen lassen. Aber ich nehme das mal als Kompliment.

Stimmt es, dass Sie das Angebot, das „heute journal“ zu moderieren, am Anfang abgelehnt haben?

Mein erster Gedanke, als damals die Offerte kam, war: „Das meinen die doch wohl nicht ernst“. Ich war Anfang 30, erst seit zwei Jahren beim ZDF, eine junge Korres­pondentin, die in Berlin gerne am Abend durch die Kneipen zog. Und dann plötzlich auf einer so herausgehobenen öffentlichen Position zu stehen! Ich war mir nicht sicher, ob ich das überhaupt wollte und nicht sonderlich erpicht auf diese Art von Aufmerksamkeit. Ich brauche keinen roten Teppich, um glücklich zu sein und halt’ mich da bis heute auch weitgehend fern. Jedenfalls war ich damals erstmal erschrocken.

Sie sind sehr auf den Schutz Ihres Privatlebens bedacht. Es gibt keine offiziellen Bilder mit Ihrem Mann oder von Ihrer Hochzeit vor gut einem Jahr. Nicht einmal Ihr privater Wohnort ist so ohne Weiteres im Internet zu finden. 

Das ist auch gut so. Das Internet macht es deutlich schwerer, seine Privatsphäre zu schützen. Wenn ich diese Entwicklung vor 20 Jahren schon vorausgeahnt hätte, hätte ich vielleicht noch länger gezögert, den Moderatoren-Job anzunehmen.

Eine Beleidigung oder eine Drohung ist schnell getippt und nur mit ein paar Klicks verschickt.

Ja, schlimm. Und das trifft ja nicht nur Prominente wie mich. Viele Menschen die sich gesellschaftlich engagieren, zum Beispiel auch Lokalpolitiker, werden extrem angefeindet. Bei Frauen kommt dann noch Sexismus dazu. Wer sich in die Öffentlichkeit begibt, braucht heute ein noch dickeres Fell.

Erleben Sie viel Hass in den sozialen Medien?

Ich persönlich kommuniziere deshalb nicht über eigene Social Media Accounts. Twitter und Co. verfolge ich nur passiv. Das bietet viel Interessantes aus aller Welt. Mich stört aber immer wieder der Ton, der da teils gepflegt wird. Natürlich gehen beim ZDF auch böse, aggressive Kommentare ein, das meiste davon lese ich erst gar nicht. Auch weil ich weiß, dass Social Media das Meinungsbild in der Bevölkerung oft verzerrt. Die normalen Zuschauer kommentieren zwar ebenfalls kritisch, was ich sage, oder wie ich aussehe, während sie auf dem Sofa sitzen. Aber sich aktiv hinsetzen und übelste Beschimpfungen und Bedrohungen ins Netz zu stellen – das macht nur ein relativ kleines Segment der Bevölkerung. Wer laut schreit, bekommt aber viel Aufmerksamkeit.

Gibt es Nachrichten im „heute journal“, die Sie persönlich berühren?

Die gibt es und die Zuschauer merken das sicher manchmal auch, wenn ich schlucken muss. Aber natürlich darf man als Moderatorin nie die Fassung verlieren. Wenn Sie nach einem Unfall in die Notaufnahme kommen, wollen Sie auch, dass die Ärztin ruhig und professionell bleibt, und nicht beim Anblick Ihrer Verletzung die Hände über dem Kopf zusammenschlägt und ruft: „Um Himmels Willen!“ Trotzdem gibt es Bilder und Eindrücke, die mich nicht loslassen. 

Welche Nachrichten sind das? 

Zum Beispiel, wenn es um sexualisiere Gewalt gegen Kinder geht. Es gibt auch immer wieder Bilder, die wir in der Redaktion sehen und dann gemeinsam entscheiden, sie nicht auszustrahlen, weil sie entwürdigend für das Opfer wären oder Terroristen in die Hände spielen würden. So habe ich mir auch Hinrichtungen und Enthauptungen angesehen, die Bilder und Geräusche vergisst man nie.

Spielt der Glauben in Ihrem Leben eine Rolle?

Keine sehr große. Ich bin jedenfalls keine regelmäßige Kirchgängerin. Das ist jetzt auch kein Thema, bei dem ich das Gefühl habe, dass ich mich da stark positionieren möchte.

Dabei kommen Sie doch aus dem „heiligen Köln“.

Schon. Und ich bin zweifellos auch eine Rheinländerin, habe früher auch immer ausschweifend Karneval gefeiert und die Nächte durchgetanzt. So gesehen bin ich schon ein kölsches Mädchen. Aber übrigens nicht katholisch.

Was ist Ihnen heilig?

Unabhängigkeit in jeder Hinsicht. Natürlich brauche ich andere Menschen, verlasse mich auf meine Kollegen. Ich weiß, dass ich alleine nur wenig gestemmt bekäme. Aber politisch, journalistisch und finanziell unabhängig zu sein, das sind Dinge, die mich durch mein Leben begleitet haben, auch als Frau. Daran haben meine Eltern einen erheblichen Anteil. Mein Vater hat immer gesagt: „Ich habe dich nicht als Mädchen, sondern als Mensch erzogen.“ Als Kind war mir immer klar, dass mir die Welt offen steht und dass ich Karriere machen kann, wenn ich will und die Möglichkeit dazu habe. Bei uns zu Hause wurde auch immer viel über Politik diskutiert und Widerworte waren ausdrücklich erlaubt.

Ihre ehemalige Kollegin Petra Gerster und auch Claus Kleber achten sehr auf gendergerechte Sprache. Sie nicht. Warum?

Ich habe das durchaus auch schon gemacht, aber ich bin davon nicht überzeugt. Es gibt auch keine verpflichtende Vorschrift dazu beim ZDF. Ich verstehe zwar sehr das gesellschaftspolitische Anliegen dahinter, auch den Einbezug des dritten Geschlechts. Aber mir macht das Sprechen mit Gendersternchen keine Freude; mein Sprachgefühl wehrt sich dagegen. Und ich bin nicht sicher, ob das wirklich der Weisheit letzter Schluss ist. Bei offiziösen Texten macht es Sinn, aber die Umgangssprache so von Grund auf zu ändern? Ist das der richtige Weg, um Wirklichkeit zu ändern? Anders als etwa das Angelsächsische ist unsere Sprache sehr binär und das macht die Sache kompliziert.

Woran denken Sie da?

Nehmen wir mal das Wort Bürger. Da ist es leicht.

Bürger*in.

Bei Bürgermeistern wird es da schon kniffelig. Streng genommen braucht man da doch zwei Sternchen.

Wo denn?

Bürger*innenmeister*in!

Das klingt gewöhnungsbedürftig.

Ja. Es geht mir aber gar nicht darum, dass man das nicht aussprechen kann. Jeder Mensch, der „Spiegel-ei“ sagen kann, der kann auch das Gendersternchen sprechen. Und an „Studierende“ hat man sich auch schnell gewöhnt. Aber zu verlangen, dass eine Sprache so von Grund auf in aller Konsequenz geändert wird? Aktuell ist mir wichtiger, dass wir einzelne Vokabeln, die aktiv diskriminieren und verletzen, aus dem Wortschatz streichen. Ich finde, es ist von niemandem zu viel verlangt, sich alte, rassistische Begriffe für Schokoküsse oder Schnitzel in würziger Paprikasauce abzugewöhnen. Das kann man auch im hohen Alter noch.

Als Zuschauer rätselt man über Ihre persönliche politische Haltung.

Im Sinne einer eindeutigen Parteilichkeit gibt es die auch gar nicht. Was die Zuschauer aber sicher merken: dass mir extreme Ansichten eher fremd sind und ich in der politischen Mitte verortet bin.

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