Schauspiel Hannover Mauerstadt Berlin beflügelt Iggy Pop und David Bowie

Hannover · Das Schauspiel Hannover beleuchtet die musikalisch fruchtbaren Jahre von zwei Weltstars in der Hauptstadt. Bei der Zeitreise in die 70er geht es um weit mehr als Sex, Drugs und Rock 'n' Roll. Im geteilten Berlin sind die Wunden des Krieges noch offen.

 Der wütende Rebell: Iggy Pop.

Der wütende Rebell: Iggy Pop.

Foto: Peter Steffen

Iggy Pop, der Urvater des Punks, und Pop-Legende David Bowie erlebten ausgerechnet in der Frontstadt des Kalten Krieges ihre kreativste Phase.

Von Mitte 1976 bis Anfang 1979 lebten die beiden in einer WG in Berlin-Schöneberg und nahmen in den Hansa-Tonstudios im Schatten der Mauer vier Alben auf. Bleibende Welthits wie Bowies "Heroes" oder Pops "The Passenger" entstanden in "Europas gespaltenem kalten Herzen", wie Sascha Hawemann das Berlin der 70er nennt. Der Regisseur schrieb das Stück "Iggy - Lust for Life" gemeinsam mit Johannes Kirsten. Die Uraufführung am Donnerstag im Schauspielhaus Hannover wurde vom Publikum mit langem Applaus gefeiert.

Der Theaterabend ist weit mehr als ein Musical oder Dokumentarstück über zwei Musiklegenden. Die Zuschauer werden in eine hitzige Zeit hineingezogen, in der sich Alt-Nazis und Holocaust-Überlebende treffen, in der RAF-Terroristen aktiv sind und DDR-Künstler mit dem real existierenden Sozialismus hadern. Statt eine chronologische Geschichte zu erzählen, gibt Hawemann in schlaglichtartigen Szenen Einblick in den Kosmos der beiden gegensätzlichen Künstler in der vom Krieg geteilten Stadt. Eine auf mehreren Etagen bespielbare Drehbühne ist mal Tanzclub, mal Tonstudio oder gekacheltes Gefängnis, wo Ulrike Meinhof einsitzt. Auf den drehenden Kasten werden Filmaufnahmen aus den 70ern projiziert.

Gleich vier Schauspieler verkörpern Iggy Pop, der mit nacktem Oberkörper und strähnigen Haaren sein Innerstes nach außen kehrt und unbändige Energie versprüht. "Ich bin die Stimme der Kranken, der Hässlichen, der Unglücklichen, der Minderheiten", hat der drahtige, dürre Mann einmal gesagt. 1947 wurde er als James Newell (Jim) Osterberg im US-Staat Michigan geboren. Carolin Haupt spielt den gleichaltrigen David Bowie. Er inszeniert sich als androgyner Dandy, saugt die Kunst des Expressionismus, das Brecht-Theater auf und schrammt an der Grenze zum Größenwahn.

Unter der musikalischen Leitung von Tim Golla am Schlagzeug ist das siebenköpfige Ensemble selbst für die Musik zuständig. Nicht alle der vier Iggys haben eine tolle Stimme, aber das machen sie mit Ausstrahlung wett. Er habe extra keine Band gecastet, weil Do-it-yourself eine Grundprämisse des Punkrocks sei, sagt Regisseur Hawemann. "Ich wusste ja, dass es eine Theaterband gibt und fand es sofort reizvoll, dass wir alles selber machen."

Das Stück feiert Iggy Pop als wütenden Rebell und David Bowie als suchenden Künstler - gleichzeitig bleibt es in kritischer Distanz zu den Hauptfiguren. So berichtet die jüdische Fotografin (Sarah Franke), die mit Iggy zeitweise zusammenlebt, wie er reihenweise mit minderjährigen Mädchen schläft. Auch Bowies Faszination für die Nazi-Ästhetik wird thematisiert. Insgesamt eine mitreißende Hommage an den Überlebenden des wilden Rock 'n' Roll, Iggy Pop, der heute in Miami lebt, und an David Bowie, der 2016 an Krebs starb.

Am Mietshaus in der Hauptstraße 155, wo die Künstlerfreunde lebten, erinnert heute eine Gedenktafel an den "berühmtesten Zugezogenen Berlins", wie Bowie von seinem Biografen Tobias Rüther bezeichnet wird.

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