Ausstellung in Leverkusen Das erwartet Besucher bei „Liebes Ding“

Bonn · Die Leverkusener Schau „Liebes Ding“ klärt unser Verhältnis zu den Gegenständen. 22 Künstler blicken auf geliebte Objekte und den alltäglichen Konsumwahn. GA-Redakteur Thomas Kliemann stellt die Ausstellung vor.

 Die Ausstellung "Liebes Ding – Object Love" gastiert vom 26. Januar bis 26. April 2020 im Städtischen Museum Schloß Morsbroich in Leverkusen.

Die Ausstellung "Liebes Ding – Object Love" gastiert vom 26. Januar bis 26. April 2020 im Städtischen Museum Schloß Morsbroich in Leverkusen.

Foto: Thomas Brill

Tristan, so hieß ihre erste Liebe. Es war ein Baukran. Der war irgendwann weg. Und der Schmerz war groß. Dann lernte sie Valentino kennen, ihr Laptop, zu dem sie in Liebe entbrannte. „Er hat für mich eine Seele“, haucht Valentina in Kathrin Ahäusers Kamera. Heftiger hat es die Berliner Verkäuferin Michèle erwischt, als sie  sich in die Boeing 737-800 verguckte, insbesondere die Tragflächen, die am  Ende einen Knick nach oben machen: „Das ist erotisch, sexy und anregend“, schwärmt sie vor der Kamera, nimmt ein Boeing-Modell mit in die Badewanne und ein Flügelfragment  ins Bett.

„Liebes Ding“ hat Ahäuser ihre  rührenden, hinreißenden Porträts über vier Frauen genannt, deren Liebe zum Objekt zum emotionalen Lebensinhalt wird. „Liebes Ding“ heißt auch eine nicht minder anregende Ausstellung, mit der die Kuratoren Anne Berk und Fritz Emslander anhand von 22 künstlerischen Positionen unsere Beziehungen zu den Dingen zu klären versuchen. Von der Liebe zu den Dingen bis zur Abhängigkeit ist nur ein kurzer Weg. Vom Aficionado feinen Porzellans führt ein roter Faden zum eingefleischten Autofetischisten, vom Designfan zum Massenkonsumenten, vom Connaisseur zum Wegwerfer und Umweltverschmutzer, vom Ordnungsfanatiker zum Messie. Lust und Last liegen nahe beieinander.

Alltagsdinge von Kosmetika bis zu Spielzeug zusammengetragen

Angeblich besitzt jeder Europäer im Schnitt 10.000 Gegenstände (mit wachsender Tendenz) – diese Zahl kursiert jedenfalls seit Jahren. In die Welt gesetzt hat sie offenbar jemand, der sich Zhao Xiangyuan, die Mutter des Konzeptkünstlers Song Dong, zum Maßstab nahm, die in fünfzig Jahren besagte 10.000 Objekte zusammentrug und diesen Hausrat 2006 komplett im New Yorker MoMA ausstellte. Während der Sohn seitdem mit dem Sammelsurium unter dem Motto „Waste Not“ um die Welt tourt, weiß man nicht, wie und mit welchen Dingen die Mutter weiterlebte. 2008 starb Zhao Xiangyuan.

Karsten Bott kommt mit seiner Installation „Von jedem Eins“, die seit 1988 stetig wächst, Song Dongs Sammlung wohl am nächsten. Für sein „Archiv für Gegenwarts-Geschichte“ hat er Alltagsdinge von Kosmetika bis zu Spielzeug zusammengetragen. Mehr als eine halbe Million Gegenstände umfasst Botts museales Messie-Paradies, das im Morsbroicher Schloss durch Holzstege im Raum erschlossen wird.

Die Fülle der Dinge ist beängstigend. Die Vorstellung, dass jeder Gegenstand, auch das nutzloseste und kleinste Ding, irgendwann hergestellt wurde, Ressourcen verbraucht hat, Teil der Konsumspirale ist, Platz wegnimmt und schließlich entsorgt werden muss, beschleicht Künstler wie Besucher.

Maarten Vanden Eynde hat Plastikmüll aus allen Weltmeeren zusammengesucht

So lautet  der Tenor der Schau eher „stoppt die Dinge“ als „liebes Ding“. Danielle Dean etwa entführt den Zuschauer ihres ästhetisch perfekten, klinisch sauberen Films mitten ins virtuelle Konsumparadies, das dem Verbraucher mittels Neuromarketing alle aktuellen und zukünftigen Wünsche aus dem Hirn herausliest. Im Rausch der Bilder, die wie auf dem Tablet über die Oberfläche gewischt werden, gehen die skandierten Protestrufe im Hintergrund fast unter. Wohin das hemmungslose Konsumieren führt?

Maarten Vanden Eynde hat Plastikmüll aus allen Weltmeeren zusammengesucht und zu einem fiesen Klumpen verschmolzen, ein perfides Plastikriff, hinter dem, der klugen Ausstellungsregie folgend, Wasser durch ein McDonald’s-Restaurant fließt: Das Kollektiv Superflex hat diese fiktive, aber mit deutlichen Hinweisen auf Naturkatastrophen im Zuge der Klimaerwärmung aufgeladene Situation im Film „Flooded McDonald’s“ festgehalten. Ein blubberndes Menetekel angesichts des globalen Konsumwahns.

Dass die „lieben Dinge“ durchaus sehr unfrei machen können, erlebt der Besucher schon beim Start der Schau: Da wird die „Surrogatfrau ohne Lächeln“ zum gequälten Lustobjekt, zum erotisch aufgeladenen Designmöbel (Anton Cotteleer). Währenddessen zeigen  Erwin Wurms  „Freudsche Rektifizierung“ und Melanie Bonajos Fotos von nackten Frauen, die durch Alltagsdinge gefesselt werden („Furniture Bondage“), die Kehrseite eines mit allerlei  Haushaltshilfen und  technischen Segnungen zugemüllten Inventars. Da wird das Ding zur Last.

Und wohin mit den vielen Dingen? Jeder Besucher darf einen Gegenstand mitbringen, beschreiben, darüber berichten  – und ins Ausstellungsregal legen.

Museum Morsbroich, Leverkusen; 26. Januar bis 26. April, Katalog (Verlag für Moderne Kunst) 22 Euro. Di-So 11-17 Uhr. Am Sonntag, 1. März, „Sparda-Tag“ mit freiem Eintritt von 11-17 Uhr, Aktionen, Führungen und Kuratorengespräch.

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