Beethoven im Ohr John Baldessari im Alter von 88 Jahren gestorben

Kritischer Blick auf Kunst und Kunstbetrieb: Der Kalifornier John Baldessari ist 88-jährig gestorben. 2007 stellte er im Kunstmuseum und im Bonner Kunstverein aus.

 Dadaistischer Witz: John Baldessari 2007 im Bonner Kunstverein neben einem Detail aus der Installation „Beethoven’s Trumpet“ Auch das Kunstmuseum Bonn zeigte damals Werke des Künstlers.

Dadaistischer Witz: John Baldessari 2007 im Bonner Kunstverein neben einem Detail aus der Installation „Beethoven’s Trumpet“ Auch das Kunstmuseum Bonn zeigte damals Werke des Künstlers.

Foto: Franz Fischer

„Sie malen jetzt also große Nasen?“, fragt die eifrige Reporterin. Der Künstler darauf: „Der Mund hat uns alles gesagt, und jetzt ist es an der Zeit herauszufinden, was die Nase weiß.“ Die Reporterin freut sich über das gelungene Zitat. Der Künstler selbstgefällig: „Ziemlich alles, was ich sage, kann man zitieren.“ Es steckt so viel Bezeichnendes in diesem Dialog aus der Folge „3 Scenes Plus a Tag from a Marriage“ (2018) aus der Serie „The Simpsons“, die in Deutschland unter dem Titel „Doppeltes Einkommen, kinderlos“ lief. Eine Zeitreise in die Vergangenheit, in der Marge als Reporterin für den „Springfield Shopper“ auf Recherchetour durch das Nachtleben und zu einer Vernissage von John Baldessari geschickt wird, der dort Nasen- und Ohrenbilder zeigt.

Im Original spricht Baldessari die Zeichentrickfigur. Das mit den Ohren und Nasen stimmt ebenso wie die Prägnanz seiner Zitate und künstlerischen Setzungen. Damit hat der kalifornische Konzeptkünstler ein halbes Jahrhundert Kuratoren entzückt und Künstlerkollegen geprägt. Nun ist diese unkonventionelle, originelle, nicht selten spöttische und den Kunstbetrieb entlarvende Stimme verstummt – und die Szene trauert: Im Alter von 88 Jahren ist Baldessari, wie am Montag bekannt wurde, bereits am vergangenen Donnerstag Jahren gestorben.

„Ich fand, es wäre nett, wenn man mit Beethoven sprechen könnte. Dann würde er mit Musik antworten, die er komponierte, als er schon taub war“, so kommentierte er eine Installation, die er 2007 in Bonn zeigte: Riesige Ohren mit Hörrohren, die unter dem Titel „In one ear and out the same ear“ (durch ein Ohr hinein, durch dasselbe hinaus) den Dialog mit dem Besucher eröffneten. Sprach man hinein, so drangen Fetzen aus den letzten sechs Streichquartetten Beethovens hinaus. Wortwitz trifft auf das Phänomen der Kommunikation und das Klischee von Beethovens Taubheit. Der Bonner Kunstverein und das Kunstmuseum zeigten damals ein Panorama des Musikfreunds Baldessari, der das Minimal-Manifest von Sol LeWitt mit näselndem Country-Sound herunterleierte, im Video mit Geräuschen operierte oder in Fotoserien eine bizarre Homestory über den Jazz-Gott Thelonious Monk inszenierte.

Baldessari war nichts heilig, am wenigsten die Kunst seiner Zeitgenossen (eingeschlossen deren musealisierten Produkte) und die Hybris des Kunstbetriebs. Der weißbärtige Zweimetermann entzog sich selbst jeglicher Klassifizierung. Wegen seiner frühen Textarbeiten, der strengen Systematik der Produktion in Serien hat man immer wieder versucht, ihn für die Konzeptkunst zu vereinnahmen. Er hat sich dagegen gewehrt.

Die Freiheit, mit der Baldessari fotografische Vorlagen, Farben und literarische Assoziationen mit arnarchischem, dadaistischem Witz und Ironie verknüpft, durcheinanderwirbelt, sprengt jedes Konzeptkunst-Korsett. Es ging ihm  aber dabei nicht darum, Kunst und Künstler lächerlich zu machen. Er wolle entschleunigen und zu neuen Blickweisen auf die Welt anregen, verriet er dem Kultursender NPR.

Baldessari wurde 1931 in Kalifornien geboren, malte seit den 1950er Jahren halbabstrakte Bilder, die er aber 1970 im Krematorium von San Diego verbrannte, um sich fortan nicht nur Video, Textarbeiten und Installationen zu widmen, sondern auch seine Kunst hauptsächlich am California Institute of Arts zu verbalisieren. Zu seinen prominenten Schülern zählen David Salle, Tony Oursler, Matt Mullican, Jack Goldstein und Meg Cranston.

Baldessari war ein begehrter Ausstellungsgast, seine Werke wurden international in 120 Einzel- und über 300 Gruppenausstellungen gezeigt. Auch als Ausstellungsmacher war er tätig: Für das Hirschhorn Museum und den Skulpturengarten in Washington kuratierte er 2006 eine Schau mit Werken aus der Sammlung. Den kulturellen Ritterschlag erhielt der Kalifornier 2009 mit dem Goldenen Löwen der 53. Kunstbiennale von Venedig fürs Lebenswerk. 2012 folgte der Kaiserring in Goslar. 2015 verlieh ihm Barack Obama die „National Medal of Arts“, die höchste US-Würdigung für Künstler.

Bis ins hohe Alter experimentierte Baldessari, zum Beispiel mit Performances und Smartphone-Apps: „Ich vergleiche meine Arbeit immer mit der eines Krimi-Autors“, sagte er 2013 im Interview, „Du willst nicht gleich wissen, wie das Buch ausgeht.“

Die Geschichte der Simpsons geht übrigens für Marge schlecht aus. Denn ihr kleiner Sohn Bart funktioniert ein Kunstwerk zu einer Schleuder um und schießt damit einen aufblasbaren Hasen von Jeff Koons ab. Nun ist es keine Kunst mehr, zetert der Galerist, nur noch ein Klumpen. Der aber sieht nun genauso wie der Klumpen vis-à-vis aus, der jedoch exakt so als Kunst geplant war. Der Skandal in der Galerie hat Folgen: Die Galerie storniert ihre Anzeigen bei der Zeitung, Reporterin Marge wird gefeuert. Das bizarre Drehbuch könnte von Baldessari stammen.

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