Rezension von „Freiheit für alle“ Wie gut argumentiert Richard David Precht wirklich?

Bonn · Er hat es wieder getan: Richard David Precht hat ein weiteres Buch geschrieben. „Freiheit für alle“ ist erneut ein Bestseller. Warum eigentlich? Zeit für eine kritische Betrachtung.

 Der Bestseller-Autor Richard David Precht.

Der Bestseller-Autor Richard David Precht.

Foto: dpa/Britta Pedersen

Die unsäglichen Ergüsse eines Thilo Sarrazin konnten kluge Kabarettisten noch mit einem Satz erledigen. „Natürlich kann jeder in Deutschland ein Buch schreiben und seine Meinung sagen, aber ich hätte nicht gedacht, dass das als Sachbuch durchgeht“ (Hagen ­­Rether über „Deutschland schafft sich ab“). Bei Richard David Prechts Büchern ist das ungleich schwerer. Denn natürlich spielt Precht sowohl inhaltlich als auch stilistisch und ohnehin vom Gesamtniveau her in einer anderen Liga als Sarrazin. Und natürlich möchte man ihm von vornherein weitaus mehr intellektuelle Redlichkeit unterstellen als dem gleichfalls erfolgreichen Autoren-Kollegen.

Dennoch haben jüngste Äußerungen Prechts zur Impfdebatte oder zu Russlands Krieg gegen die Ukraine für Irritationen gesorgt. Denn solche Statements sind zwar legitim, aber für einen „Freund der Weisheit“ – so die Übersetzung des Wortes Philosoph – doch überraschend anfechtbar und unausgegoren. Ist Deutschlands derzeit populärster Denker vielleicht gar nicht so klug oder gar tiefgründig wie viele seiner Fans glauben? Höchste Zeit also, einmal genauer hinzuschauen, wie Precht seine Erkenntnisse herleitet und argumentativ begründet.

Sein aktuelles Buch „Freiheit für alle – Das Ende der Arbeit wie wir sie kannten“ bietet dafür viel Anschauungsmaterial. Es ist nach „Jäger, Hirten, Kritiker – Eine Utopie für die digitale Gesellschaft“ und „Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens: Ein Essay“ der dritte Band einer Trilogie, in der sich Precht mit dem digitalen Wandel beschäftigt.

Precht ist für ein bedingungsloses Grundeinkommen

„Freiheit für alle“ handle von dem neuen gesellschaftlichen Deal, schreibt Precht im Vorwort. Diesem müsse man sich stellen, da sich gegenwärtig eine gewaltige Transformation vollziehe: Die klassische Erwerbsgesellschaft verschwinde. Das lasse sich vielfach belegen. Denn Maschinen, Computer nähmen den Menschen zunehmend stupide Aufgaben und dröge Arbeit ab. Zugleich zeichne sich das Entstehen einer neuen Gesellschaft ab: der sogenannten Sinngesellschaft. Deren Gestaltung könne jedoch nur gelingen, wenn die Politik auf das allmähliche Verschwinden der Arbeit und die damit verbunden fundamentalen Veränderungen der Arbeitswelt adäquate Antworten finde. Eine davon liegt für Precht auf der Hand: die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens (im Folgenden kurz BGE genannt).

So ist Prechts Buch letztlich ein einziges großes Plädoyer für das BGE. Und das ist durchaus und zunächst einmal – trotz aller Skepsis – ein ehrenwertes Anliegen. Einen weiteren Punkt muss man Precht zugestehen: Er hat für sein Buch umfassend und sorgfältig recherchiert, hat sich mit Gegenpositionen auseinandergesetzt und reflektiert sie. Das überzeugt zwar nicht jedem Fall: So kann Precht im Kapitel „Geld für Millionäre? Soziale Einwände gegen das BGE“ letztendlich nicht befriedigend erklären, warum man etwa einem Bestseller-Autor ebenso ein BGE auszahlen sollte wie einer Hartz-IV-Empfängerin. Aber immerhin kommen die gängigen Bedenken gegen das BGE zur Sprache. Dabei macht der Autor seine Quellen stets transparent und kennzeichnet auch explizit die Übernahme von Begriffen und Thesen.

Darüber hinaus schreibt Precht sehr anschaulich und verständlich, inklusive textlicher Anleihen aus der Popkultur. Da erinnern Kapitel-Überschriften schon mal an Filmtitel, und die Metaphern-Dichte ist gelegentlich etwas hoch.

Der Begriff Arbeit ist bei Precht erstaunlich negativ besetzt

Etwas schräg werden die sprach­lichen Bilder und inhaltlichen Aussagen jedoch mitunter, wenn die Disziplin Mathematik ins Spiel kommt. Diese Wissenschaft scheint Precht vor allem als eine Art gefühlskalte Gegenspielerin der Philosophie wahrzunehmen, deren vom Autor suggerierte, vermeintliche Zahlenhörigkeit man nun im „Zweiten Maschinenzeitalter“ dringend überwinden müsse. Der Satz „Mathematische Definitionen von »Arbeit« sind so apodiktisch wie ahistorisch“ ist jedoch schlicht falsch, denn es gibt keine mathematischen Definitionen von Arbeit. Mathematik definiert nur innermathematische Begriffe. Sobald irgendwo in Texten eine Formel auftaucht, besteht weder Grund zur Panik noch muss es sich dabei zwingend um Mathematik handeln. Es könnte auch Physik sein oder Chemie.

Auffällig ist auch, dass der Begriff Arbeit bei Precht erstaunlich negativ besetzt ist. Drei große Kapitel, die sich mit Arbeit und Arbeitswelt auseinandersetzen, sind dem Hauptthema BGE vorangestellt. Darin geht es um Herleitungen, Definitionen und den Wandel des Arbeitsbegriffes im Lauf der Jahrhunderte. Sicherlich: Mit dem Arbeitsbegriff ist in Vergangenheit und Gegenwart viel Schindluder getrieben worden. Seine Überhöhung bis Absolutsetzung lässt auf ein recht eindimensionales Menschenbild schließen. Aber als Reaktion auf das in der Tat kritikwürdige Mantra „Hauptsache Arbeit“ die (unausgesprochene) Gegenparole „Hauptsache keine Arbeit“ – das wird dem Menschen erfahrungsgemäß auch nicht gerecht. Precht allerdings scheint es ziemlich wichtig zu sein, sich vom Arbeiter deutlich abzugrenzen: So sei das Schreiben dieses Buches „keine Arbeit, sondern (bezahlte) Selbstverwirklichung“.

So überraschend ironiefrei Precht mit dem Begriff „Selbstverwirklichung“ hier einerseits umgeht, so konsequent ist das andererseits im Hinblick auf sein Publikum, die – etwas polemisch gesagt – gebildeten Stände. Denn auch wenn dieses Buch „Freiheit für alle“ heißt: Für den arbeitenden Menschen in der Produktion, in den Schlachthöfen oder bei der Ernte, für sein Selbstverständnis und seine Lebensumstände interessiert sich Precht kaum.

Richard David Precht: Freiheit für alle – Das Ende der Arbeit wie wir sie kannten.
Goldmann, 544 S., 24 Euro

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