Kritik zur neuen CD von Sidney Frey Oh, wie schön kann Mono sein

Bonn · Sidney Frey, Chef des Plattenlabels Audio Fidelity Records, brachte 1957 die erste Stereo-Schallplatte heraus. Ein Hörereignis, bei dem mindestens zwei Schallquellen aufgenommen sowie getrennt abgespielt werden, was räumliches Hören ermöglicht.

 Der Saxofonist John Coltrane auf einem undatierten Foto.

Der Saxofonist John Coltrane auf einem undatierten Foto.

Foto: picture-alliance / obs

Auf der einen Seite von Freys Platte waren Eisenbahngeräusche zu hören, auf der anderen Seite Dixieland-Jazz mit den Dukes of Dixieland. Ernsthafte Musik gab es damals nur in Mono. Nur? Wer John Coltranes zwischen 1959 und 1961 für das Label Atlantic in Mono aufgenommene Platten hört, vermisst nichts. Ein samtiger Sound ist zu hören, das präzise Spiel des wohl besten Saxofonisten seiner Zeit und die Interaktion mit fantastischen Musikern. Mono mag den Raumeffekt unterschlagen, doch die Dynamik bleibt, der inspirierende, flüchtige Geist einer konzentrierten Session wird konserviert.

Wunderbar nachzuhören ist das in einer Box mit sechs der insgesamt neun Alben, die der Meister der Improvisation von Januar 1959 bis Mai 1961 in den New Yorker Atlantic-Studios in wechselnder Besetzung aufgenommen hat. Die Box ist gerade in einer CD- und einer Vinyl-Edition herausgekommen .

An zwei Tagen im Mai 1959 nahmen Coltrane, der Pianist Tommy Flanagan, Paul Chambers am Bass und Art Taylor am Schlagzeug die Platte „Giant Steps“ auf. Mit dem treibenden, aggressiven Titelstück, dem schwindelerregenden „Countdown“, mit „Naima“, einer der schönsten Balladen des Jazz, und dem Blues „Mr. P.C.“ schrieb Coltrane Geschichte. Mit einen tollen Coltrane-Porträt von Lee Friedlander auf dem Cover kam „Giant Steps“ 1960 heraus. Vier Monate vor den Aufnahmen zu „Giant Steps“ war Coltrane mit dem Vibraphonisten Milt Jackson für „bags & trane“ ins Atlantic-Studio gegangen – ein ganz anderes Klima prägt diese Aufnahme.

An drei Tagen im Oktober 1960 nahm Coltrane mit McCoy Tyner, Steve Davis und Elvin Jones das Album „My Favourite Things“ auf, wahrscheinlich eine der einflussreichsten Produktionen des Modern Jazz. Coltranes Ausrufezeichen nach dem endgültigen Ausscheiden aus der Band von Miles Davis. Das wunderbare, wichtige Album fehlt in der Atlantic-Box. Der Grund kann nur Erz-Puristen überzeugen: Bei einem Brand wurden die Masterbänder der Coltrane-Alben „My Favourite Things“, „Coltrane Jazz“ und „Coltrane's Sound“ vernichtet. Vielleicht hätte man eine Ausnahme machen und die drei Alben, die in exzellenter Qualität auf dem Markt vorliegen, in die Box legen sollen. Allein, um diese bahnbrechende Phase in Coltanes Werk zu dokumentieren.

Wenn auch „My Favourite Things“ im Schuber fehlt, so ist doch einiges, was bei den entsprechenden Sessions abfiel und nicht den Weg ins berühmte Album fand, gerettet: „Coltrane Plays the Blues“ ist – übrigens wie „Coltrane's Sound“ – ein Produkt jener intensiven Tage. Man erlebt Coltrane als begnadeten, ruhigen Blues-Improvisateur, der in „Blues to Bechet“ zum Sopransaxofon greift, um dem großen Kollegen Sidney Bechet ein Ständchen zu bringen. Coltranes Schlagzeuger Elvin Jones wird auch mit einem schweren, langsamen, erdigen Blues gefeiert. „Blues to You“ schließlich lässt erahnen, wie der Coltrane der späteren 1960er klingen wird. 1962 wurde dieses außergewöhnliche Album veröffentlicht. Vier Jahre später kam das schon 1960 mit dem Trompeter Don Cherry aufgenommene „The Avant-Garde“ heraus, ein Album, das Coltranes immense Vielseitigkeit unterstreicht. Hier spielt er mit Musikern von Ornette Coleman Stücke von Ornette Coleman – hier öffnet sich die Tür zum Free Jazz.

Erst 1970 kam das letzte Album der Box auf den Markt: „The Coltrane Legacy“. Coltranes Vermächtnis, erschien drei Jahre, nachdem der begnadete Saxofonist gerade einmal 40-jährig an Leberkrebs gestorben war. Das Album ist eine hörenswerte musikalische Wundertüte mit bis dato unveröffentlichten Aufnahmen von 1959 bis 1961, die bei den Sessions zu „Olé Coltrane“, „Coltrane Plays the Blues“, „Coltrane's Sound“ und „bags & trane“ abfielen.

Fragt man nach dem besten Album der Atlantic-Box, es ist wohl „Olé Coltrane“, dieses mit dem fantastischen Trompeter Freddy Hubbard, dem versierten Gregor Lane (Pseudonym für Eric Dolphy) an der Flöte und Coltranes Traumquartett aufgenommene Meisterwerk. Das opulente, 18 ungemein spannende Minuten dauernde Titelstück „Olé“ steigt finster mit einer Basslinie ein, dann zieht das Schlagzeug von Jones das Tempo an, und schon intoniert Coltrane näselnd, quengelnd, nervös und fiebrig das Thema auf dem Sopransaxofon. Eher kühl hält Hubbards Trompete dagegen (ein grandioser Kontrast wie auch die Schlangenbeschwörer-Flöte von Lane/Dolphy). Betörend, wie Tyner die auseinanderlaufenden Handlungsfäden wieder zusammenfasst, zum Thema und zur Ordnung wiederfindet, um sich dann ein ausgedehnten Solo zu gönnen. Coltranes Ausflug unter die Sonne Spaniens startet also mit „Olé“, einer Adaption des andalusischen Volksliedes „El Vito“, ein feuriger Bolero, der während des Spanischen Bürgerkriegs auf republikanischer Seite zu Ehren des berühmten „Quinto Regimento“ intoniert wurde. Was Coltrane & Co. daraus machen, ist umwerfend. „Aisha“ und „Dahomey Dance“ auf der zweiten Seite lassen auch keine Wünsche offen.

John Coltrane: „The Atlantic Years – in Mono“. Rhino Records. Box mit sechs CDs bzw. sechs Vinyl-LPs und einer Single als Bonus.

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