Alles nur ein Traum "Orphée et Eurydice" in Neumeiers Handschrift

Hamburg · Der Direktor des Hamburg Ballett führt Regie und choreografiert bei der Neuproduktion an der Staatsoper Hamburg. Die Pariser Fassung von "Orphée et Eurydice" ist ein Ballett-Fest - in John Neumeiers Lesart erst recht.

 Die Sänger Marie-Sophie Pollak als "L'Amour" und Dmitry Korchak als "Orphée" mit Tänzern des Ballettensembles in "Orphée et Eurydice".

Die Sänger Marie-Sophie Pollak als "L'Amour" und Dmitry Korchak als "Orphée" mit Tänzern des Ballettensembles in "Orphée et Eurydice".

Foto: Markus Scholz

John Neumeier ist eine Institution in der Welt des Balletts. Bei der jüngsten Hamburger Produktion nun hat der Direktor des Hamburg Ballett alles in seiner Hand vereint.

Für Christoph Willibald Glucks Oper "Orphée et Eurydice" choreografierte er nicht nur seine Compagnie, sondern führt auch Regie und zeichnet für Bühnenbild, Kostüme und Licht verantwortlich. Die Arbeit an der Staatsoper Hamburg ist vom Publikum am Sonntagabend mit anhaltendem Beifall begrüßt worden.

Die Regie einem Ballettchoreografen anzuvertrauen, bietet sich bei dem französischsprachigen "Orphée et Eurydice" besonders an. Zwölf Jahre nach der Uraufführung von "Orfeo ed Euridice" in Wien hatte Gluck das Stück für die Pariser Oper umgearbeitet und erweitert. Dabei fügte er, dem dortigen Publikumsgeschmack entsprechend, ausgedehnte Balletteinlagen hinzu, die die dramaturgische Gewichtung des Stücks erheblich veränderten.

Neumeier holt die mythologisch-abstrakte Handlung in die Gegenwart, nämlich in ein Ballettstudio. Eurydice ist die Primaballerina und Orphée der Choreograf. Während der Ouvertüre geraten die beiden in Streit, woraufhin Eurydice aus dem Probensaal stürzt. Kurz darauf kommt sie bei einem Autounfall ums Leben. Erst dann beginnt der erste Akt mit der Klage des Chores und Orphées "Eurydice"-Rufen. Neumeier verschmelzt den Gesang mit den erschütternd ausdrucksstarken Trauergesten der Tänzer zu einer emotionalen Aussage.

Souverän spielt er seine choreografischen Mittel aus. Hat die Compagnie zur musikalisch äußerst konventionellen Ouvertüre noch klassische Ballettschritte absolviert, so tanzen in der Unterwelt drei Gestalten in stilisierten Camouflage-Kostümen einen gespenstischen Street-Dance. Die expressiv-fließenden Gesten wiederum, mit denen die Tänzer im zweiten Akt Eurydice im Totenreich umgeben, tragen unverkennbar Neumeiers Handschrift. Als Bühnenbild verwendet er diagonal angeschnittene Kuben, die den Abend über fließend verschoben werden; für die Stimmungen arbeitet er mit Farbwechseln und Schattenwürfen.

Den Titelfiguren, gesungen von Dmitry Korchak (Tenor) und Andriana Chuchman (Sopran), stellt er Doubles in Gestalt der Tänzer Edvin Revazov und Anna Laudere zur Seite. Eine Entdeckung ist die Sopranistin Marie-Sophie Pollak, die dem Amour ein glockenreines, für die Epoche wunderbar passendes Timbre schenkt. Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg spielt unter dem Originalklangspezialisten Alessandro de Marchi lebendig und mit Gespür für die Seelenlage der Figuren.

Am Ende der Oper beugt sich Gluck der Konvention und holt Eurydice nach ihrem zweiten Tod ins Leben zurück. Das widerspricht dem Mythos. Neumeier aber findet für seine Interpretation einen ebenso einfachen wie schlüssigen Weg aus dem Dilemma: Es war alles nur ein Traum.

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