Berlinale-Wettbewerb 2017 Sally Potters "The Party" punktet mit tollen Dialogen

Berlin · Eine enttäuschende Vater-Sohn-Geschichte, der neue Film von Aki Kaurismäki und ein erfrischendes Kammerspiel. Ein Blick auf aktuelle Beiträge auf der Berlinale.

 Runde Sache: Timothy Spall als Bill in einer Szene aus dem Film „The Party“.

Runde Sache: Timothy Spall als Bill in einer Szene aus dem Film „The Party“.

Foto: © Oxwich Media Limited/ Adventure Pictures Limited

Seit Dieter Kosslick vor 16 Jahren das Zepter der Berlinale übernahm, hat er sich für eine stärkere Präsenz des deutschen Kinos auch und vor allem im Wettbewerb eingesetzt. Über die Jahre wurde die Berlinale für einige junge Talente des deutschen Kinos zur Karrierestartrampe. Zuletzt ebnete der Silberne Bär für Maren Ades „Alle anderen“ (2009) ihr und „Toni Erdmann“ den Weg nach Cannes und nun zur Oscar-Verleihung.

Auch Thomas Arslan, dessen neuer Film „Helle Nächte“ nun als erster deutscher Beitrag im Wettbewerb lief, ist ein Ziehkind der Berlinale. Seine frühen Werke liefen in der Sektion „Forum“ und mit „Gold“ war Arslan schon 2013 im Wettbewerb vertreten. Vielleicht hat sich das Auswahlgremium bei der Nominierung dieses enttäuschenden Films zu sehr von Treuegefühlen leiten lassen.

Im bewährten Modus narrativer Entschleunigung baut Arslan eine Vater-Sohn-Geschichte auf, in dem der Bauingenieur Michael (Georg Friedrich) nach dem Tod des eigenen Vaters mit seinem Sohn Luis (Tristan Göbel) zur Beerdigung nach Norwegen aufbricht. In langen ungeschnittenen Autofahrten bleibt „Helle Nächte“ im Klischeekonflikt zwischen verantwortungsscheuen Midlife-Crisis-Vater und in sich hinein revoltierenden Teenager ohne emotionalen oder analytischen Bringwert stecken.

Als Meister der Entschleunigung hat sich auch der finnische Regisseur Aki Kaurismäki in der Filmgeschichte einen Namen gemacht, der nach Jahren als Stammgast in Cannes nun seinen neues Werk „Die andere Seite der Hoffnung“ in Berlin vorstellte. Wo Arslan ins Nebulöse gleitet, arbeitet Kaurismäki mit stilisierter Präzision in dieser hochaktuellen Geschichte über den syrischen Flüchtling Khaled (Sherwan Haji), der in Helsinki um Asyl bittet. Voller Mitgefühl wirkt das engelsgleiche Gesicht der Interviewerin, die sich die Erlebnisse von Flucht und Vertreibung geduldig anhört – was an der Anordnung zur Abschiebung nichts ändert. Aber dann findet Khaled bei einem frisch gebackenen Restaurantbesitzer Arbeit und Unterschlupf.

Wo das staatliche System versagt, siegt der Humanismus der einfachen Leute, die mit stoischer Selbstverständlichkeit Hilfe leisten. Dass sein filmemacherisches Herz dem Prekariat gehört, daraus hat Kaurismäki nie einen Hehl gemacht, und mit seinem lakonischen Märchen der Solidarität bewegt er sich thematisch, aber auch formal in seiner Komfortzone: kauzige Charaktere, genau kadrierte Bildkompositionen, präzise Dialoge – ein Kaurismäki wie man ihn liebt, aber weder ein Meisterwerk noch ein künstlerischen Neuanfang.

Da wehte durch Sally Potters Kammerspiel „The Party“ ein sehr viel frischerer Wind. Die letzten Werke der britischen Regisseurin waren ja oftmals etwas bauchnabelorientiert. Aber hier zerfleddert sie lustvoll die Lebens- und Liebeslügen des linksintellektuellen Mittelstandes. Mit klugen, schnellen Dialogen und einem grandiosen Ensemble (Kristin Scott Thomas und Patricia Clarkson in einem Film!) macht „The Party“ vor allem eines bewusst: Es gibt viel zu wenige feministische Komödien, die den Geschlechterkampf mit weiblicher Souveränität aufs Korn nehmen.

Als einzigen Dokumentarfilm und zweiten deutschen Wettbewerbsbeitrag schicke Andres Veiel „Beuys“ ins Rennen. Ohne letztgültigen Interpretationsanspruch kreist die Dokumentation um den Aktionskünstler, der die alte Bundesrepublik in dem 1960er und 1970er Jahren herausforderte. Veiel kompiliert hier nicht nur altes Filmmaterial, sondern ist vor allem auch in Fotoarchiven fündig geworden, die in visueller Hinsicht ein deutlich intimeren Blick auf den Künstler preisgeben. Sein facettenreiches Porträt verweist auch auf den ruhelosen politischen Aktivisten, der zu den prominentesten Gründungsmitgliedern der „Grünen“ gehörte.

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