Spitzenorchester in der Oper So toll war das Konzert von Simon Rattle in der Bonner Oper

Bonn · Sir Simon Rattle, das London Symphony Orchestra und die Geigerin Lisa Batiashvili begeistern das Publikum in der Bonner Oper. Ein tolles Konzert.

 Farbenreichtum der Klänge: Sir Simon Rattle und Lisa Batiashvili im Bonner Konzert.

Farbenreichtum der Klänge: Sir Simon Rattle und Lisa Batiashvili im Bonner Konzert.

Foto: Barbara Frommann/BARBARA_FR0MMANNN;Barbara Frommann

Gleich zu Beginn des Gastspiels mit dem London Symphony Orchestra im Opernhaus machte Oberbürgermeister Ashok Sridharan darauf aufmerksam, dass dessen Orchesterchef Sir Simon Rattle zum ersten Mal in Bonn auftrete. Ein spätes Debüt: Erst vor wenigen Tagen feierte der populäre Dirigent seinen 65. Geburtstag. Damit ist der Jubiläumsgesellschaft als Veranstalter des Konzertes ein echter Coup gelungen. Denn nicht einmal das Beethovenfest hatte Rattle in den vergangenen zwei Jahrzehnten nach Bonn locken können. Allerdings muss man dem Festival zugute halten, dass Rattle bis 2018 noch Chef der Berliner Philharmoniker war, die bekanntlich die Beethoven-Stadt seit Langem meiden.

Mit seinem neuen Orchester, das wie die Berliner zur absoluten Weltklasse zählt, erlebte der Brite freilich, dass Bonn trotz eines schmerzlich fehlenden Konzertsaals ein so schlechtes Pflaster für Musik nicht ist. Das Publikum des rasend schnell ausverkauften Abends im Opernhaus war jedenfalls von Beginn an hoch konzentriert, hörte Alban Bergs berührendem Violinkonzert nicht weniger gespannt zu als Beethovens mitreißender siebter Sinfonie.

Auf den ersten Blick verbindet die Werke eigentlich kaum mehr als ihre gemeinsame Wiener Heimat – aus der sogenannten zweiten Wiener Schule beziehungsweise der Wiener Klassik. Doch die Musikwissenschaftlerin Beate Angelika Kraus vom Beethoven-Haus machte in ihrer Einführung völlig zu Recht auf die leicht zu übersehende Querverbindung aufmerksam, die im Gegenüber von Beethovens Allegretto-Trauermarsch und im Requiem-Charakter des Violinkonzerts besteht, das Alban Berg programmatisch „Dem Andenken eines Engels“ widmete: Er beschreibt in dem Werk Leben und Tod der mit 18 Jahren verstorbenen Manon Gropius, der Tochter aus der zweiten Ehe Alma Mahlers mit dem Bauhaus-Architekten Walter Gropius.

Sie ist Weltspitze

Solistin an diesem Abend war die aus Georgien stammende und in München lebende Geigerin Lisa Batiashvili, die seit vielen Jahren nicht nur zur Weltspitze auf ihrem Instrument, sondern auch zu den Trägern des Beethoven-Rings der hiesigen Bürger für Beethoven zählt. Alban Bergs Violinkonzert, bei dem nicht virtuose Brillanz im Vordergrund steht, sondern pure Musikalität und eine subtile Dialogfähigkeit mit dem Orchester, scheint ihr besonders am Herzen zu liegen.

Das Werk ist als erstes Solokonzert überhaupt nach Arnold Schönbergs Reihentechnik „mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ komponiert, die bei Berg jedoch gar nach „Technik“ klingt. Er haucht diesem Kompositionsprinzip eine Seele ein, was Orchester und Solistin eindrucksvoll hörbar werden ließen. Der Farbenreichtum der Klänge von den fahlen, wie improvisiert wirkenden Quinten der Sologeige zu Beginn über die beschwingte Ländlermelodie mit der Klarinette an der Seite, den expressiven Doppelgriffen und dem Bach-Choral „Es ist genug“ bis hin zu dem Ende, wo die Geige sich in höchsten Sphärentönen verliert. Man wurde Zeuge einer von Batiashvili wie Rattle und Orchester wunderbar ausgearbeiteten musikalischen Erzählung, nach der man als Zugabe sehr passend noch eine Bearbeitung der Sinfonia aus Bachs Kantate „Ich steh mit einem Fuß im Grab“ für Solovioline und Streichorchester spielte.

Melancholisch gespielt

Nach so viel Todesstimmung folgte (mit Ausnahme des vom Orchester klangschön und melancholisch gespielten zweiten Satzes) Beethovens Feier des Lebens. Obgleich das Orchester in Großbesetzung antrat, was seit dem Siegeszug der historischen Aufführungspraxis nicht mehr ganz so selbstverständlich ist, erlebte man eine unglaublich facettenreiche Darstellung der Musik. Die dynamischen Nuancen, die sich geschmeidig zwischen heftigsten Fortissimi und zartesten Pianissimi bewegten, gerieten den Musikern auf bewunderungswürdige Weise. Hinzu kamen großartige Solisten an Oboe, Flöte, Klarinette und auch am Horn, die dem Werk wunderbare Momente schenkten.

Rattle war schon immer ein Mann des Rhythmus, was ihm vor allem in den beiden letzten Sätzen entgegenkam. Dem lebhaften Presto ebenso wie dem „con brio“ des Finales, dessen Bewegungsrausch alle Grenzen zu sprengen scheint. Rattle und seine Musiker zelebrierten diesen Satz rasend, rauschhaft, sinnlich – geradezu ekstatisch. Das Publikum jubelte im Stehen. Bis Rattle die Zugabe ankündigte: „Nach Beethoven vielleicht etwas Ruhigeres!“ Sie lösten es mit Jean Siblius‘ todessehnsüchtiger „Szene mit Kranichen“ auf betörend schöne Weise ein.

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