Intendantenwechsel Staatsballett & Co - Aufruhr in Berlins Kulturszene

Berlin · In der Berliner Kulturszene geht's rund. Nach dem Staatsballett ist nun auch das Berliner Ensemble auf den Barrikaden - und das wenige Tage vor der Wahl.

 Der scheidende Intendant des Berliner Ensembles, Claus Peymann.

Der scheidende Intendant des Berliner Ensembles, Claus Peymann.

Foto: Jörg Carstensen

Als wäre der Streit mit dem Staatsballett nicht schon genug. Im Endspurt zur Berlin-Wahl reitet jetzt auch noch Theatermacher Claus Peymann eine kräftige Attacke gegen den Regierenden Bürgermeister Michael Müller.

Der SPD-Politiker habe in seinem Nebenamt als Kultursenator einen "Trümmerhaufen" angerichtet, sagt Peymann, der sich selbst gern als "Reißzahn im Arsch der Mächtigen" versteht. Müller habe von Theater und Kultur "keine Ahnung". Der Umgang der Stadt mit ihren Künstlern sei "würdelos" und "skandalös".

Auslöser für den Affront vom Mittwoch ist der noch von Müllers Vorgänger Klaus Wowereit verordnete Abgang des langjährigen Herrschers am Berliner Ensemble im Sommer 2017. Sein Nachfolger, der Frankfurter Intendant Oliver Reese, plane einen "Kahlschlag" am traditionsreichen einstigen Theater von Bertolt Brecht, wettert der 79-Jährige. "Es wird ausgelöscht wie der Palast der Republik. Es gibt nichts mehr, alles ist weg."

Nach Angaben der Kulturverwaltung bekommen tatsächlich rund 30 der insgesamt etwa 70 Künstler keinen neuen Vertrag. Besonderes Problem: Weil das Haus nie Mitglied im Deutschen Bühnenverein war, gelten für die Betroffenen nicht die sonst üblichen Regeln für Abfindung und Sozialplan. "Ich verlange, dass der Regierende Bürgermeister in seiner Funktion als Sozialdemokrat und Kultursenator dafür sorgt, dass diese Leute nicht kaputtgemacht werden", so Peymann.

Für Müller ist das so kurz vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am Sonntag ein zweiter dicker Brocken. Denn schon seit Tagen liegt er mit dem Staatsballett im Clinch. Die Berufung der international renommierten Choreographin Sasha Waltz zur Co-Intendantin der Compagnie war eigentlich als publikumswirksamer Coup geplant. Er hätte durchaus Glanz auf seinen manchmal wenig beachteten Nebenjob als Kultursenator werfen können.

Doch das Staatsballett legte sich quer. In einer Online-Petition, die inzwischen mehr als 4000 Unterstützer hat, lehnen die Tänzer Waltz rundweg ab. Eine Vertreterin des Bühnentanzes an die Spitze eines klassischen Balletts zu berufen, sei vergleichbar mit der Ernennung eines Tennis-Trainers zu einem Fußball-Trainer, heißt es in dem Aufruf.

In beiden Fällen dürfte hinter dem Protest auch die Sorge vor Veränderungen stehen. Vor allem beim Staatsballett aber wäre das gerade eine Chance. Das Haus gilt nach dem Abgang von Startänzer Vladimir Malakhov und der eher glücklosen Intendanz seines Nachfolger Nacho Duato international längst nicht mehr als konkurrenzfähig.

Frischer Wind durch die Doppelspitze von Waltz und ihrem schwedischen Tandempartner Johannes Öhman könnte für ein zeitgemäßeres Profil sorgen. Schließlich hatte Waltz angekündigt, auch eigene Stücke von ihrer weltweit erfolgreichen Compagnie "Sasha Waltz @ Guests" einzubringen. Freilich: Ob Müller den Dialog zwischen den Beteiligten wieder in Gang bringt, ist zweifelhaft.

Das gilt auch für die dritte große Baustelle, die der "Regierende" im Kulturbereich offen hat. Seit er im vergangenen Jahr den belgischen Ausstellungsmacher Chris Dercon als Nachfolger von Volksbühnen-Intendant Frank Castorf (65) vorschlug, tobt an der Anarcho-Bühne ein beispielloser, in offenen Briefen ausgetragener Glaubenskampf. Während viele Künstler die Verwandlung des Hauses in eine "Eventbude" befürchten, setzen prominente Unterstützer von Dercon auf ein bunteres und vielfältiges Programm.

Selbst Wohlgesinnte wie der CDU-Kulturexperte Stefan Schlede merken an, Müller habe vielleicht die Kommunikation mit den Betroffenen unterschätzt. "Von Veränderungen aus der Presse zu erfahren, ist immer etwas misslich", sagt Schlede. Grünen-Landeschef Daniel Wesener, dessen Partei Anwärter auf Müllers rot-grüne Wunschkoalition ist, formuliert es anders. "Mit dieser Kulturpolitik nach Gutsherrenart muss nach dem 18. September endlich Schluss sein."

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