Interview mit Dirk von Lowtzow Tocotronic veröffentlicht neues Album

Bonn · Tocotronic ist eine der einflussreichsten Bands in Deutschland. Nun erscheint ihr neues Album„Die Unendlichkeit“. Sänger Dirk von Lowtzow spricht im GA-Interview über seine Vergangenheit und die Teamarbeit innerhalb einer Band.

 Tocotronic: (von links) Rick McPhail, Arne Zank, Dirk von Lowtzow und Jan Müller.

Tocotronic: (von links) Rick McPhail, Arne Zank, Dirk von Lowtzow und Jan Müller.

Foto: promo

Das neue Album ist biografisch angelegt, es erzählt Ihre persönliche, aber auch Bandgeschichte. Gibt es keine Rätsel mehr bei Tocotronic?

Dirk von Lowtzow: Als wir uns für das Konzept entschieden haben, war klar, dass wir dabei etwas offenlegen müssen, sonst wäre es ja witzlos. Ich hoffe, dass die Musik offen genug ist, ohne belästigend zu sein, aber auch eine gewisse Unbestimmtheit geblieben ist, damit der Hörer mit den Stücken in Dialog treten kann. Alles andere wäre uns zu autoritär.

Sie sagen, „ein bisschen haben wir uns zuletzt hinter Manifesten und Theorie-Referenzen versteckt“. Entschuldigung, aber da arbeiten sich die führenden Feuilletonisten jahrelang an Ihren Texten ab – und dann so was.

Von Lotzow: Selbstkritik finde ich für Musiker durchaus zuträglich, wir haben diese Zweifel einfach mal öffentlich gemacht. Ich fand unsere Alben allerdings nie unverständlich, wir haben immer auf Umwegen etwas von uns preisgegeben. Unsere Stücke waren immer Statusmeldungen, Lebenszeichen, mehr jedenfalls als nur Formeln für einen Rocksong. Die Stücke sind sehr assoziativ, Collagen voller Zitate, aber es stimmt: In diesen Songgebäuden konnte man sich auch gut verstecken. Uns hat es gereizt, die Gebäude einzureißen. Insofern ist das Album auch ein Neuanfang.

In Stücken wie „Hey Du“ und „Electric Guitar“ geht es um Jugendlichkeit in der Enge von Reihenhaussiedlungen. Sie schreiben von der „Hölle Heimat“. Waren Sie früher in Offenburg Außenseiter?

Von Lowtzow: Ein Stück weit ganz bestimmt. Ich war als Kind ängstlich und zart, ich war nicht an Fußball und Raufereien interessiert, an dem klassischen Jungszeugs. Daher habe ich mich schon als außenstehend empfunden und in fantastische Geschichten und auch in die Musik geflüchtet. David Bowie hat mir gezeigt, dass es auch ein anderes Leben gibt. Und dann habe ich gemerkt, dass einem die E-Gitarre eine ganz eigene Macht verleiht und man damit seinen Körper anders spüren kann. Durch den Sound und die Vibrationen.

Das klingt nach Zorn und Protest, beides ist wichtig im Frühwerk von Tocotronic.

Von Lowtzow: Natürlich, Zorn ist das Gefühl, das in Rockmusik am besten konserviert ist. Für mich war das früher essenziell.

Das neue Album ist musikalische breit angelegt, mit Referenzen an einzelne Lebensabschnitte. In „Die Unendlichkeit“ heißt es „Ich treibe weiter, seit ich noch ein Kind war, und es dauert an“. Sucht die Band Tocotronic weiter?

Von Lowtzow: Das hoffe ich doch, es wäre ganz schrecklich, irgendwo angekommen zu sein. Dieses Gefühl, durch die Welt zu treiben und sich immer neu zu orientieren, ist für mich ein großes Blues-Thema, deswegen wollten wir mit dem Stück beginnen. Die ganze Produktion des Albums war sehr aufwendig, es hat eineinhalb Jahre gedauert. Wir wollten bewusst die Erinnerungen schichten und auch in Ruhe beurteilen.

Seit 2005 arbeiten Sie mit Produzent Moses Schneider zusammen. Die Stücke haben seitdem einen anderen Klang, auch die neuen sind sehr klar.

Von Lowtzow: Für uns ist das ein großes Glück. Als Produzent ist die Gefahr vielleicht noch größer als als Musiker, mit dem immer gleichen Besteck zu arbeiten. Moses Schneider sucht aber wie wir nach neuen Arrangements. Und er konnte sich sehr mit dem Projekt identifizieren und hat sich intensiv mit dem Material beschäftigt.

Tocotronic gibt es seit 25 Jahren, anfangs als Trio, 2004 kam Gitarrist Rick McPhail dazu. Ein Vierteljahrhundert, das ist ja ...

Von Lowtzow: (lacht) ... fast eine Unendlichkeit.

In der Tat. Wie hat sich die Zusammenarbeit verändert?

Von Lowtzow: Nicht so sehr. Es gibt immer auch mal Konflikte und Krisen, das geht ja nicht anders. Aber im Grunde arbeiten wir nicht anders zusammen, als wir es 1993 getan haben. Und es ist eine intensive Freundschaft geblieben, dafür bin ich sehr dankbar. Als reine Arbeitsgemeinschaft könnten wir uns nie sehen.

Tocotronic hat die Trainingsjacke in den 90er Jahren modemäßig nach vorn gebracht. Auf dem neuen Video tragen Sie wieder eine. Sehnsucht nach vergangenen Zeiten?

Von Lowtzow: Nein, ich bin nicht nostalgisch veranlagt. Das war einfach eine tolle Trainingsjacke von einem russischen Designer, deswegen habe ich sie mir gekauft. Ich lebe gerne im Hier und Jetzt.

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