Interview mit Sängerin Ute Lemper: „Ich muss an die Substanz gehen“

Interview | Bonn · Sängerin und Schauspielerin Ute Lemper über ihr Leben in New York, was das Älterwerden und ihr 60. Geburtstag für sie bedeuten – und warum sie eine Rolle als Bond-Girl ablehnte.

 „Ich sollte eines der Bond-Girls spielen. Das wäre ein Katapult gewesen für eine Hollywoodkarriere“, sagt Ute Lemper im Interview.

„Ich sollte eines der Bond-Girls spielen. Das wäre ein Katapult gewesen für eine Hollywoodkarriere“, sagt Ute Lemper im Interview.

Foto: Guido Harari

Ute Lemper gehört zu den wenigen deutschen Weltstars. Die Wahl-New Yorkerin aus Münster wurde mit internationalen Preisen ausgezeichnet und war sogar für einen Grammy nominiert. In ihrer Autobiografie „Die Zeitreisende“ verknüpft die Sängerin, Schauspielerin, Tänzerin und vierfache Mutter die aufregenden Projekte ihrer Karriere mit zeitgeschichtlichen Ereignissen. Parallel erscheint das neue Album „Time Traveler“. Von Ute Lemper erfuhr Olaf Neumann, warum sie das lukrative Angebot ablehnte, ein Bond-Girl zu spielen, weshalb sie nie Amerikanerin geworden ist und was ihr 60. Geburtstag am 4. Juli für sie bedeutet.

„Das Einzige, was ich bedaure, ist, dass ich nicht genug gelacht habe und nicht erkannt habe, dass es Abkürzungen zum Glück gibt“, singen Sie auf Ihrem neuen Album. Sind Sie heute glücklicher als zu anderen Zeiten Ihres Lebens?

Ute Lemper: Die Pandemie hat mir teilweise dabei geholfen, im Einfachen das Glück zu sehen und Druck aus dem Leben rauszunehmen. Es war schon ein vollgepacktes Leben – mit Kreativität, aber auch mit Leistungsdruck. Ich hatte viele Engagements und war parallel vielfältig tätig – mit der Bühnen-, Theater- und Filmkarriere. Mein Leben genieße ich heute jedenfalls mehr als damals, wo ich kaum Zeit dazu hatte. Ich habe mich immer über meine Arbeit definiert, die ich geliebt habe. Die Dinge kommen zu einem nicht immer im richtigen Maße, manchmal überhäuft und dann wieder gar nicht. Heute kann ich das Maß besser kontrollieren.

„‚Time Traveler‘ ist eine Hommage an das Leben und das Älterwerden“, schreiben Sie im Booklet der CD. Am 4. Juli feiern Sie Ihren 60. Geburtstag. Für viele Menschen ist das Älterwerden negativ besetzt. Gab es eine Zeit, in der Sie Ihr Alter nicht genannt haben?

Lemper: Eigentlich war ich immer stolz auf mein Alter. Die Tatsache, 40 zu werden, hat mich mehr schockiert, als in diesem Jahr 60 zu werden. Ich wurde gebeten, meine Autobiografie zu schreiben und habe mich dann ein Jahr mit diesem Geburtstag beschäftigt. Wenn es jetzt nun passiert, kann es mich auch nicht mehr schocken. Ich fühle mich überhaupt nicht wie 60. Meine Lebensflamme ist zeitlos. Wenn man mir sagen würde, ich bin 35 oder 40, würde ich das auch glauben – bis ich dann in den Spiegel gucke. (lacht) Aber ich bin noch fit und meine Stimme ist vielleicht sogar noch attraktiver als früher, weil sie sich zur Tiefe hin geöffnet hat. Mittlerweile habe ich genug Wein getrunken, aber nie geraucht. (lacht)

Sie haben ja auch zwei schulpflichtige Kinder.

Lemper: Ja, ich muss morgens um halb sieben aufstehen, die Kinder fertig machen und zur Schule bringen. Das hält mich wahnsinnig auf Trab. Das Alter ist eine Illusion.

An New York lieben Sie „die gedankliche Freiheit“ und „den Wegfall der geistigen Enge“, haben Sie einmal in einem Interview gesagt. Trifft das noch immer zu?

Lemper: Nachdem ich in Berlin, Paris und London gelebt hatte, kam ich nach New York und es fühlte sich an, als öffnete sich ein Deckel in meinen Kopf gen Freiheit. Dinge wie Moral, Normalität und Nationalität, die in Europa noch sehr dominant waren, galten hier überhaupt nicht. Deshalb sind aus den zwei Jahren am Broadway am Ende 25 geworden. Wir wollten unsere Kinder in dieser Stadt aufwachsen sehen. Sie hatten dann schon sehr früh eine Großstadtweisheit und Toleranz im Herzen, die ich vor New York überhaupt nicht kannte.

In den USA ist ein Kulturkampf entbrannt. Eltern, Aktivisten und Politiker verlangen die Zensur von Publikationen und Sachbüchern über Themen wie Sexualität, LGBTQ oder afroamerikanische Geschichte. Das seien Bücher als Quelle gefährlichen Denkens, vor denen denen es Kinder zu schützen gelte. Wie konnte es so weit kommen?

Lemper: Amerika ist manchmal sehr weit weg von der Quelle der Kultur. Aber das passiert nicht hier in New York, sondern in den republikanischen Bundesstaaten, wo eine völlig andere Bevölkerungsstruktur und Kultur existieren. Die sollten ruhig eine Mauer um sich bauen und sich gegenseitig mit ihren Gewehren bedrohen, aber die demokratischen Staaten bitte in Ruhe lassen. Die republikanischen Staaten verneinen übrigens auch die Evolutionstheorie und wollen den Kindern lieber ihre Religionskonzepte nahelegen. Ich bin immer noch keine Amerikanerin geworden. Ich hätte den US-Pass schon lange haben können, aber ich behalte lieber meinen deutschen. Seit über 30 Jahren besitze ich nun eine Green Card. Ich bin im Herzen keine Amerikanerin und kann mich mit der Kultur dieses großen Landes nicht identifizieren. Ich habe ganz klar die europäische Kultur in mir, die ich in New York sehr gut ausleben kann.

Befürchten Sie, dass Donald Trump wiedergewählt wird?

Lemper: Also, ich hätte damals nie gedacht, dass er in das Amt des Präsidenten gewählt werden könnte. Insofern würde ich niemals nie sagen. Aber er hat schon sehr viel Dreck am Stecken und sieht sich mit vielen Prozessen konfrontiert. Leider hat er viele Fans in diesem geteilten Lande. Die kleine schwankende Mitte von fünf Prozent macht die Wahlen letztendlich aus.

Amerika – damit verbinden viele Menschen vor allem die grandiose Rock- und Popkultur.

Lemper: Diese Künstler sind ganz klar die Immigranten, die afroamerikanische Kultur. Vom Soul von damals bis zum Hip-Hop von heute. Während der Nazizeit sind hunderttausende jüdische Immigranten ins Land gekommen und haben die faszinierende amerikanische Kultur, die Universitäten und die Forschung geprägt.

Sie sind 1998 mit Ihren Kindern in die USA gezogen. Wie hart waren die ersten Jahre in New York City?

Lemper: Ich habe hier schon seit Ende der 1980er Jahre Konzerte gegeben. Aber als wir hier hingezogen sind, war ich direkt am Broadway. Mein Billboard hing über zehn mal zehn Meter am Times Square. Ich habe in Chicago über ein Jahr lang achtmal in der Woche gespielt, war in Las Vegas und dann wieder am Broadway.

Wie haben Sie den ganzen Druck weggesteckt?

Lemper: Irgendwann sagte ich zu mir: Jetzt ist Schluss, ich kann nicht mehr! Ich wollte, dass dieser High-Profile-Job seinen Abschluss findet, denn ich musste meine Stimme und Kreativität wiederfinden. Den Broadway-Drill musste ich mir erst einmal abgewöhnen, um wieder klein anzufangen. Das dauerte fast zwei Jahre. In der Zeit bekam ich schon wieder viele Konzertangebote, und ich nahm die Platte „Punishing Kiss“ mit Songs von Tom Waits und Nick Cave auf. Ich hatte das Privileg, dass es mir sehr leicht gemacht wurde, aber 2005 habe ich es mir selbst erschwert, indem ich nur noch meine eigenen Lieblingsprojekte auf die Bühne bringen wollte. Zum Beispiel habe ich kürzlich das Marlene-Programm in Paris in Französisch gespielt. Das hält die Gehirnzellen wach!

Würden Sie rückblickend sagen, dass sich alle Ihre Hoffnungen auf dem Berufsweg erfüllt haben?

Lemper: Nein. Ich hätte einige Chancen wahrnehmen können, die ich aber nie wahrgenommen habe, weil ich Mutter war. Und das war meine schönste Rolle im Leben. Ich habe zum Beispiel einige große Filmangebote abgelehnt.

Welche zum Beispiel?

Lemper: Als mein Sohn Max gerade einen Monat alt war, habe ich eine Rolle in dem James-Bond-Film „Golden Eye“ nicht angenommen. Ich sollte eines der Bond-Girls spielen. Das wäre ein Katapult gewesen für eine Hollywoodkarriere. Famke Janssen hat die Rolle dann bekommen und wurde ein großer Star. Aber sie wirkt auf mich heute vereinsamt in Hollywood. Sie ist in meinem Alter, hat ganz viel Plastic Surgery gemacht und sieht nicht glücklich aus. Ich möchte nicht mit ihr tauschen. Und auch jetzt bekam ich ein Angebot für eine Netflix-Serie, für die ich drei, vier Monate in eine andere Stadt hätte ziehen müssen. Das geht aber nicht, die Kinder sind ja noch schulpflichtig. Ich bin damals aus London nach Amerika engagiert worden; das wollte ich aber erst gar nicht wegen meiner Kinder. Das war ein riesiger Konflikt, und ich war in diesen druckvollen Zeiten kein glücklicher Mensch. Wäre ich im Leben nur Künstlerin gewesen, wäre ich vielleicht berühmter geworden. Aber Berühmtheit war für mich sowieso nie ein Ziel. Ich bin heute mit mir im Reinen, denn das sind Entscheidungen, die ich mit dem Herzen getroffen habe.

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