Ausstellung Zu den religiösen Wurzeln von Joseph Beuys

Berlin · Eine Ausstellung in Berlin nähert sich Joseph Beuys von unerwarteter Seite: Sie zeigt die christlichen Bezüge des Künstlers, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre.

 Tief versunken: Joseph Beuys bei der Arbeit.

Tief versunken: Joseph Beuys bei der Arbeit.

Foto: Lothar Wolleh Estate/Lothar Wolleh

Zwei Vitrinen flankieren den Weg zum Altar der Berliner Sankt-Matthäus-Kirche. In der linken ein traditionelles Bronzekreuz, in der rechten die Installation „Capri-Batterie“ mit Glühbirne und Zitrone. Beides stammt von Joseph Beuys (1921-1986): Das Bronzekreuz ist ein Werk aus seiner Jugend, die Installation eine seiner letzten Arbeiten. Und beides sind „Christus-Bilder“, wie Eugen Blume erklärt.

Der frühere Leiter des Berliner Museums für moderne Kunst Hamburger Bahnhof ist Kurator einer Ausstellung unter dem Titel „Der Erfinder der Elektrizität“. Sie ist in dem evangelischen Gotteshaus zu sehen, das in besonderer Weise dem Thema Kirche und Kunst gewidmet ist. Ein weiterer Titel der Schau deutet genauer an, worum es geht: „Joseph Beuys und der Christusimpuls“. Es sind die religiösen Wurzeln im Werk des Künstlers.

„Eigentlich stand Beuys der Kirche kritisch gegenüber“, sagt Hannes Langbein, Pfarrer und künstlerischer Leiter der Stiftung Sankt Matthäus. Entsprechende Zitate finden sich mehrfach in der Ausstellung. Sie stammen aus einem Gespräch mit dem Kölner Jesuitenpater und Kunstkenner Friedhelm Mennekes: „Die alten Glaubenskräfte sind nicht mehr auf der Höhe der Zeit“, heißt es da. Oder: „Es müssen ganz andere Erkenntniskräfte, andere Wahrheitskräfte im Menschen in Gang gebracht werden.“

Atheistisch geprägte Nachkriegs-Avantgarde

Doch was verbinden die Arbeiten von Beuys dann mit Christus? „Die Kunst war für ihn die einzige Möglichkeit, eine in jeder Hinsicht auf den Abgrund zuschreitende Menschheit zu retten“, erläutert Blume. Dass der Künstler, der dieses Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, sich dabei öffentlich auf Christus berufen hat, überrascht, wenn man die weitgehend atheistisch geprägte Nachkriegs-Avantgarde bedenkt. Gleichwohl zieht sich ein religiös-spiritueller Faden durch alle Schaffensphasen des weltbekannten Künstlers.

Zwischen den Vitrinen mit der „Capri-Batterie“ und dem Bronzekreuz fällt der Blick auf eine Kiste vor dem Altar. Aus Kupfer gefertigt und mit Filz isoliert, spielt sie auf das Thema der Energieleitung und des Austauschs von Kräften an. Die „Dumme Kiste“, diesen Titel gab Beuys seiner Arbeit 1982 selbst, gleicht einem leeren Sarg.

Über dem Altar – wo sonst das Kreuz als Zeichen der Auferstehung hängt – ist nun der Film „hinter dem Knochen wird gezählt/Schmerzraum“ von 1983 zu sehen. Beuys setzt sich darin mit den Folgen eines Atomkrieges auseinander. Hoffnungszeichen setzen hingegen Bildchen einer Herz-Jesu-Serie, die links und rechts der Apsis platziert sind. Auf den Andachtsbildern preist Beuys Christus als Erfinder der Elektrizität, der Dampfmaschine, der Stickstoffsynthese und anderer Errungenschaften der Menschheit.

Christus als kosmisches Phänomen

Pfarrer Langbein erläutert den Zusammenhang: „Beuys sah im Heilswerk Christi einen bis dato nicht da gewesenen Freiheits- und Heilungsimpuls, der sich bis in seine eigene Kunst hinein fortsetzt. Kunst bedeutet Heilung durch das Freisetzen des Menschen.“ Die Ausstellung solle zeigen, wie dieser Impuls bis in Beuys’ Arbeit an der „sozialen Plastik“ hineinwirkt: „Also in die Arbeit an der Gestalt unseres Zusammenlebens, und wie sich diese sozialplastische Arbeit mit der geistlichen Arbeit in einem Kirchenraum verbindet.“ Ohne sich kirchlich vereinnahmen zu lassen, habe Beuys eine zentrale „göttlich-menschliche“ Kraft im Mittelpunkt des Lebens gesehen, die er „Christuskraft“ nannte, so Langbein.

„Ob ich das nun will oder nicht: Das Wesen des Christus lebt in mir wie in jedem anderen Menschen. Ich möchte auf die Möglichkeit des Menschen aufmerksam machen, dass er sich jeweils selbst erlösen kann“, heißt es in einem Zitat des Künstlers. Er forderte die Menschen auf, ihre Auferstehung selbst zu vollziehen und nicht vergebens auf ein „zweites Golgatha“ zu warten. Ein kreatives Potenzial dazu ist nach Beuys‘ erweitertem Kunstbegriff jedem Menschen gegeben.

Mehr noch: Für Beuys, der Christus als ein kosmisches Phänomen betrachtete, war die persönliche Befreiung immer mit der Befreiung der gesamten Menschheit und der Pflanzen- und Tierwelt verbunden. „Wenn die Erde in dem Zustand zu Bruch geht, wie sie jetzt ist, ist die menschliche Seele in Gefahr“, warnte er.

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