"Schicksalslied" beim Beethovenfest Uraufführung von Schnebels Komposition überzeugt

Bonn · Jan Latham-Koenig dirigierte die Uraufführung von Dieter Schnebels „(BSH) Schicksalslied. Beethoven – Hölderlin“. Nike Wagner bezeichnete den Abend als „Gedenkfeier für den Komponisten“.

 Der legendäre Wagner-Bass Franz Mazura trifft die Mezzosopranistin Aurélie Franck.

Der legendäre Wagner-Bass Franz Mazura trifft die Mezzosopranistin Aurélie Franck.

Foto: Barbara Frommann

Mit dem Konzert am Freitagabend im WCCB hatte es für die Intendantin des Beethovenfests, Nike Wagner, eine besondere Bewandtnis. Dieses „schicksalsträchtige Konzert“, wie sie es vor dem Publikum in Anspielung auf das Festivalmotto nannte, gehöre zu den „wichtigsten Veranstaltungen des Beethovenfests 2018“. Als Grund führte sie die Uraufführung von Dieter Schnebels „(BSH) Schicksalslied. Beethoven – Hölderlin“ an. Der Musiker und Theologe war am Pfingstsonntag diesen Jahres im Alter von 88 Jahren verstorben. Wagner: „Schnebels Komposition ist nun aber von einer Uraufführung in Gegenwart des Komponisten zu einer Gedenkfeier für den Komponisten geworden.“

Doch bevor Schnebels Abschiedswerk erklang, führten das Sinfonieorchester Flandern und der Prager Philharmonische Chor unter Leitung des britischen Dirigenten Jan Latham-Koenig die Vertonung derselben, aus Hölderlins Roman „Hyperion“ stammenden Verse durch Johannes Brahms auf. Den melancholisch schwebenden Ton, den Brahms für die musikalische Sprache Hölderlins gefunden hatte, trafen Chor und Orchester unter Latham-Koenigs umsichtiger Leitung mit bemerkenswertem Feingefühl, ebenso die erschütternde Steigerung in der pessimistischen dritten Strophe.

Man bemerkt sogleich, dass Schnebel alles anders machen wollte als Brahms. Während der Ältere das Werk in einem großen Bogen zu fassen sucht, zerfällt es bei Schnebels absichtsvoll in seine Teile, wird mit weiteren Text- und Musikanteilen zu einer groß angelegten Collage. Eine für den Experimentalmusiker Schnebel sehr typische Vorgehensweise. Er inszeniert ein komplexes und ausdrucksstarkes Spiel, in das Hölderlins Verse nicht nur auf Beethovens Musik, sondern auch auf einige von dessen (mehr oder weniger glaubwürdig) überlieferten Worte trifft. Bevor die erste Strophe des Hölderlin-Gedichts vorgetragen wird, murmelt der Chor vielsprachig das Wort „Schicksal“, und es ertönt Beethovens Schicksalsmotiv aus der fünften Sinfonie – erklingt in einer uralten Furtwängler-Aufnahme.

Großartige Solisten

„So klopft das Schicksal an die Pforte“, sagt ein Sprecher, während die fünfte Sinfonie in einer aufregenden klanglichen Mischung aus historischem Zuspiel und live gespielten Ergänzungen weitergeführt wird. Schnebel fügt die sehr heterogenen textlichen und (eigene wie zitierte) musikalischen Elemente in seinem Werk kunstvoll zusammen, Beethoven'sches Ringen im Streichquartett op. 135 („Muss es sein?“) leitet das über zur düsteren Schlussstrophe Hölderlins. Aber die ist noch längst nicht das Ende. Im Epilog heißt es später beinahe augenzwinkernd „Hölderlin – Nächstens mehr“.

In Bonn wirkte Schnebels Collage auch deshalb so beeindruckend, weil für die Uraufführung neben dem Chor aus Prag und dem Orchester aus Flandern noch großartige Solisten beteiligt waren, zum einen die kurzfristig eingesprungene Mezzosopranistin Aurélie Franck und der legendäre Wagner-Bass Franz Mazura, der nun im Alter von 94 Jahren mit sensationeller Präsenz und Präzision den Part des Sprechers übernahm.

Nach der Pause betrat man dann mit Leos Janaceks „Glagolitischer Messe“ erneut eine andere musikalische Welt. Die von starkem Nationalbewusstsein durchdrungene Partitur wurde vom Sinfonieorchester Flandern mit machtvollen Bläserklängen und wunderbaren Farben in den Streichern und Holzbläsern zum Leben erweckt. Der von Lukás Vasilek einstudierte Chor überwältigte mit ungeheurer Klanggewalt. Auch die Gesangssolisten Adriana Kohútková, Aurélie Franck, Michal Lehotský und Pavel Svingr begeisterten. Schade nur, dass die fabelhafte Organistin Daniela Valtová Kosinovà im WCCB für ihren ausgedehnten Part auf ein Instrument mit elektronischer Klangerzeugung zurückgreifen musste. Das Publikum, das noch stärker hätte vertreten sein dürfen, war begeistert.

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