Premiere in der Brotfabrik Verloren, ohne Ziel und Plan

Bonn · Ein Happy End ist nicht vorgesehen: Theater Rampös bringt „paradies spielen“ auf die Bühne der Brotfabrik.

Artistische Choreografie: Mascha Rauschenberg und Fabio Sorgini als die beiden chinesischen Schneider

Artistische Choreografie: Mascha Rauschenberg und Fabio Sorgini als die beiden chinesischen Schneider

Foto: Thomas Kölsch

Am Ende wird nichts bleiben. Keine Spur der Menschen. Oder der Erde. In sechs Milliarden Jahren wird die Sonne, aufgebläht zu einem Roten Riesen, den gesamten Planeten entweder rösten oder verschlingen, vermutlich beides. Der Homo Sapiens wird dann schon nicht mehr auf der Erde wandeln können, entweder weil er längst geflohen oder sich selbst zu Grunde gerichtet hat, und all die abgestürzten Flugzeuge, gesunkenen Schiffe und abgetrennten Puppenköpfe in den Weltmeeren werden sich ebenfalls längst in ihre Atome aufgelöst haben. Klingt dramatisch, aber sechs Milliarden Jahre sind immerhin noch eine Perspektive. Wenn der Mensch nur so lange durchhält. Stattdessen sitzt er gerade im selbstgebauten ICE nach Nirgendwo, in einem Zug ohne Fahrer und ohne Notbremse. Keine guten Vorzeichen, unter denen Thomas Köcks „paradies spielen“ steht. Jetzt hat das Theater Rampös dieses Stück in der Brotfabrik inszeniert.

In ein besseres Leben flüchten

Sonderlich lebensbejahend ist „paradies spielen“ nicht. Alle Figuren sind auf die ein oder andere Weise verloren, ohne Ziel, ohne Plan, ohne Wert. Letzteres muss vor allem ein chinesisches Schneider-Pärchen realisieren, dass aus der batterieverseuchten Heimat in ein besseres Leben zu flüchten versucht. Drei Wochen im Zug, quer durch die chinesischen Provinzen und über Russland bis nach Italien, in der Hoffnung auf die Chance, Mensch zu sein und nicht nur eine Arbeitskraft. Stattdessen erwartet sie eine Enklave mit einer Fabrik, die sie nicht verlassen dürfen, in einem Land, das sie nicht haben will, bevölkert von Menschen, die sie nicht verstehen. Freiheit sieht anders aus. Freiheit, das ist das was die Waren haben, die rund um die Welt geschickt werden, mit Labels à la „Made in Italy“ – und das ist nichts für die kleinen Rädchen im Getriebe der riesigen Menschenfresser-Maschine namens Wirtschaft.  Doch auch die Bürger des Westens sind gefangen, in permanenter Hektik, in den eigenen Vorstellungen und Filterblasen, in einem Zug, der jeden Bahnhof ignoriert.  Ein Happy End ist nicht vorgesehen.

Die Katastrophe ist eben unausweichlich. In den vergangenen Jahren hat das Theater Rampös sich immer wieder mit existenzialistischen Stoffen auseinandergesetzt, zuletzt mit dem apokalyptischen „Bevor wir gehen“. Doch selten zuvor hat das Ensemble (und insbesondere Mascha Rauschenbach und Fabio Sorgini als die beiden namenlosen Schneider) so körperlich gespielt, so konsequent und zugleich so abstrakt. Keine der Figuren ist wirklich greifbar – und doch geben die Laienschauspieler alles, um ihre Rollen plastisch zu machen, tanzen, einer fast schon artistischen Choreographie folgend, um- und miteinander. Eine starke Leistung, die bei der Premiere denn auch mit stehenden Ovationen belohnt wurde.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Zum Teil hausgemacht
Kommentar zum Besucherminus bei der Bundeskunsthalle Zum Teil hausgemacht
The Cure bezaubern mit Melancholie
16 000 begeisterte Fans in der Lanxess-Arena The Cure bezaubern mit Melancholie
Nicht der blanke Horror
Neu im Kino in Bonn: „Bones and all“ Nicht der blanke Horror