Neu im Kino: „Seneca“ Verpeilter Feingeist

Bonn · Splatter aus der Antike: Robert Schwentkes Berlinale-Beitrag „Seneca“ kommt ins Kino.

 Der Erzieher des Despoten: John Malkovich als Seneca und Tom Xander (rechts) als Schüler Nero in einer Szene des Films „Seneca“. 

Der Erzieher des Despoten: John Malkovich als Seneca und Tom Xander (rechts) als Schüler Nero in einer Szene des Films „Seneca“. 

Foto: dpa/--

Da spitzt er seinen Mund wie nur John Malkovich es kann, lächelt ein Lächeln, wie nur er es kann, genießerisch, diabolisch. Und dabei blitzen die Äuglein, während Malkovich mit großer Geste über die Vorzüge doziert, seinen frei gewählten Abgang in Würde zu vollziehen. Und das in Begleitung seiner schönen jungen Frau, die sich, blauäugig wie sie ist, ihm zuliebe opfern soll, um quasi Bestandteil seines Vermächtnisses zu werden. Der Philosoph und Manipulator Seneca hat mit seinem Ansinnen Erfolg: Sie wird sich opfern. Malkovich agiert wie auf einer großen Bühne, seine Sprache verrät den Theaterschauspieler, er ist mitten in einem Drama, er ist das Drama. Wenn auch sich nach seiner Ansprache die Zuschauerränge leeren. Aber das hat besondere Gründe.

Malkovich ist der Star in Robert Schwentkes düsterer Filmkomödie „Seneca – Oder: Über die Geburt von Erdbeben“, die am Donnerstag in die Kinos kommt. Malkovich ist der Mittelpunkt dieses Sandalenfilms, der uns ins erste Jahrhundert nach Christus entführt.

Erzieher des Despoten

Es hätte ein Traumjob für den Karrieristen und Opportunisten Seneca sein können: Der Politiker, Philosoph, Tragödiendichter und Senator gibt als Erzieher des dicklichen Knaben Nero alles, um diesem kleinen Ignoranten die feinen Unterschiede der Sprache, die Essentials über Tugend und Glück näherzubringen und ihn zu lehren, wie er später einmal als „Mr President“ Reden hält, die die Untertanen nicht vor den Kopf stoßen.

In seiner Selbstverliebtheit merkt der verpeilte Feingeist Seneca aber gar nicht, dass dieser diabolische Knabe durch und durch erziehungsresistent ist, vor nichts und niemanden Respekt hat. Auch nicht vor Seneca.

Aus dem manischen Kind wird ein kindischer Teufel und Despot, der nach und nach sein familiäres Umfeld meuchelt. Seneca zieht sich immer weiter zurück. Schwentke zeigt ihn schließlich in einer Art Wüstenkommune unter Säulen, wo der Philosoph vor einer Schar von Jüngern predigt. Bis ein Soldat von Nero, der ihn des Verrats bezichtigt, mit dem Todesurteil erscheint: Seneca darf durch eigene Hand sterben.

Wenn er das nicht tut, erledigt das nach Tagesfrist der Soldat. Moral der Geschichte: Wer sich mit bösen Diktatoren einlässt, überlebt das nicht. Die Fragen über Tod und Vermächtnis, in die Seneca seine Frau Paulina (Lilith Stangenberg) hineinzieht, die Agonie des Philosophen und dessen Ungeschick bei der Vollendung des Freitods füllen ein Drittel des Films .

Soweit der Plot, den Schwentke mit einer geradezu barocken Freude an Farben, bunten Kostümen und bizarren Locations opulent umsetzt. Neben Malkovich überzeugen Geraldine Chaplin, Louis Hofmann und Samuel Finzi als Gefolgschaft des Philosophen.

Ein schrilles, gewaltsames, blutrünstiges, groteskes Stück: Splatter aus der Antike. Mit Tom Xander als Nero, als Zeremonienmeister und Metzger. Open-Air wird auch eine Inszenierung von Senecas Stück „Thyestes“ gezeigt, bei der zwei Sklaven getötet werden.

Üppiger Bilderrausch

Es ist ein üppiger, farbenprächtiger Bilderrausch und ganz großes Schauspielerkino, das sich nicht sehr um historische Korrektheit schert. Es geht primär nämlich nicht darum, die antike Geschichte nachzuerzählen, obwohl Teile von Schwentkes Film auf antiken Quellen wie Tacitus und Cassius Dio fußen. Schwentke erweitert den antiken Plot um eine groteske, schrille Parabel über verkommene, weltfremde Intellektuelle und hohle Rhetoriker, gewissenlose Machtmonster und einem Volk von ignoranten Opportunisten, die ihr Mäntelchen nach dem Wind hängen. Nero ist gleich Wladimir Putin oder Donald Trump.

Regisseur Schwentke („R.E.D.“, „Die Bestimmung – Allegiant“, „Der Hauptmann“) zeigte seinen „Seneca“ bei der Berlinale 2023. Gelobt wurde vor allem Malkovichs meisterhafte Schauspielleistung: „Ein Hanswurst des käuflichen Denkens“ überschrieb die „FAZ“ ihren Bericht.

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