Berlinale-Wettbewerb Von Leben und Tod

„24 Wochen“ von Anne Zohra Berrached ist der einzige deutsche Film im Wettbewerb der Berlinale. Aber der hat es in sich.

 "24 Wochen": Julia Jentsch als Astrid.

"24 Wochen": Julia Jentsch als Astrid.

Foto: ga

Kein Mensch kann Berlinale-Chef Dieter Kosslick vorwerfen, dass er das deutsche Kino schlecht behandelt. Wenn also das Auswahlgremium in diesem Jahr nur eine einzige hiesige Produktion ins Wettbewerbsprogramm aufgenommen hat, dann sagt das einiges über den Zustand des deutschen Kinos im Jahre 2016 aus.

„24 Wochen“ von Anne Zohra Berrached ist der alleinige deutsche Wettbewerbsbeitrag, aber der hat es ganz schön in sich.

Zu Beginn des Films steht Julia Jentsch als Kabarettistin im knallengen Minikleid auf der Bühne und streckt ihren schwangeren Bauch lässig der TV-Kamera entgegen. Auch wenn Astrid im Licht der Öffentlichkeit steht, führt sie mit ihrem Lebensgefährten und Manager Markus (Bjarne Mädel) samt Töchterchen ein entspanntes Familienleben. Als sich bei den Voruntersuchungen herausstellt, dass das ungeborene Kind am Down-Syndrom leidet, ist für die beiden bald klar, dass ein Schwangerschaftsabbruch nicht infrage kommt.

Sie bereiten sich auf das Leben mit einem behinderten Kind vor, bis im Zuge einer weiteren Untersuchung beim Embryo auch noch ein Herzfehler entdeckt wird. Während Markus an der gemeinsamen Entscheidung festhalten will, beginnt Astrids Gewissheit zu schwinden. Basierend auf ausführlichen Recherchen erzählt „24 Wochen“ von den Gewissenskonflikten, denen Mütter und Väter ausgesetzt sind, die in einer solchen Situation über Leben und Tod ihres Kindes entscheiden müssen. Der Film bezieht keine moralische Position, taucht aber schonungslos in das Sujet ein. Ein Film, der durch seine große emotionale Genauigkeit und Mut zur konsequenten Differenziertheit, seine mitreißende Wirkung erzielt – und sich in dem bisher eher durchwachsenen Wettbewerb nicht verstecken muss.

Nach der starbesetzten Eröffnung wurde der rote Teppich vor dem Berlinale-Palast zur hollywoodfreien Zone, denn das erste Wettbewerbswochenende gehörte voll und ganz dem europäischen Kino. Vor allem das Filmland Frankreich zeigte erneut, was es am besten kann: Storys aus dem Alltag zu entwickeln und organisch zu dramatisieren, Figuren aus Fleisch und Blut zu erschaffen, die das Publikum ohne Plot-Akrobatik überraschen.

In Mia Hansen-Løves „L'Avenir“ spielt Isabelle Huppert eine Philosophie-Lehrerin in den Fünfzigern, die sich neu in ihrem Leben orientieren muss. Huppert spielt diese Frau mit einer enormen körperlichen Präsenz. In ihrem Gang, den Bewegungen, der Art, wie sie in der Küche hantiert, spiegelt sich das ganze Multitasking-Leben einer berufstätigen Mutter und glühenden Philosophie-Lehrerin.