Künstliche Intelligenz Wie KI zum Werkzeug für Demagogen wird

Bonn · Amerikanische Forscher haben einen Computer-Algorithmus entwickelt, der sich Texte ausdenken kann. Ihre Erfindung haben sie gleich wieder im Giftschrank verschwinden lassen.

Kabelstecker in einer Netzwerkzentrale (Symbolbild).

Kabelstecker in einer Netzwerkzentrale (Symbolbild).

Foto: picture alliance / dpa

Verleger belletristischer Werke haben es selbst im Land der Dichter und Denker nicht immer leicht. Schuld daran sind die Autoren. Früher sagte man Schriftsteller, noch früher Poeten, aber das klinge unmodern, heißt es heute, und modern wollen ja alle sein. Vielleicht werden diese Leute ja bald nur noch Urheber genannt, dann passt das auch viel besser zum Urheberrecht.

Autoren: Das sind Menschen, die quengeln herum, wenn es um die Terminfestlegung für die Manuskriptabgabe geht, die kämpfen beim Lektorieren um jedes Wort, als hinge ihr Leben davon ab, anschließend passt ihnen das Cover oder der Umschlagtext oder sonst was nicht – und am Ende wollen sie auch noch Honorar dafür haben.

Damit ist womöglich bald Schluss. Dank des segensreichen Erfindergeistes der IT-Branche. Und der Erfindung von GBT-2. Das ist ein Computer-Algorithmus, der selbstständig Texte erfinden kann. Zum Beispiel einen Text über sprechende Einhörner. Den hat sich GBT-2 ganz alleine ausgedacht. Und zwar in Sekundenschnelle.

Dass manche Formulierung etwas holprig klingt, mag auch der Übersetzung vom Englischen ins Deutsche geschuldet sein. Wir haben uns nämlich gedacht: Wozu noch den Kopf anstrengen oder ein altmodisches Wörterbuch zu Rate ziehen, wo doch Google ein automatisiertes und zudem kostenfreies Übersetzungsprogramm anbietet, das so etwas in Sekundenschnelle erledigt und künftig auch das Honorar für literarische Übersetzer überflüssig macht.

Für den Nobelpreis reicht's noch nicht. Für Arztromane schon

Nun mag die von GBT-2 erfundene Einhorn-Geschichte noch nicht ganz das Zeug zum Literaturnobelpreis haben. Aber für die preiswerten Arztromane im Supermarkt könnte es vermutlich bald schon reichen. Sollten wir die Literaturpreis-Jurys in Zukunft überhaupt noch mit fehlbaren Menschen besetzen? Das kriegen die Computer doch wohl prima unter sich hin.

Die in San Francisco beheimatete Non-Profit-Organisation namens OpenAI, die GBT-2 entwickelte, hat sich der Erforschung der möglichen Gefahren der künstlichen Intelligenz verschrieben – laut Satzung zum Wohle der Menschheit. Inzwischen stellen die Forscher, die über ein rein aus Spenden erbrachtes stattliches Budget von einer Milliarde US-Dollar verfügen, zunehmend fest, dass sich superintelligente Computer nicht zwangsläufig als segensreich für die Menschheit erweisen müssen.

Das hatte schon der 2018 verstorbene Physiker Stephen Hawking prophezeit: Wenn künstliche Intelligenz eines Tages in der Lage wäre, sich selbst stetig zu verbessern, könnte dies zu einer „Explosion der Intelligenz“ führen. Durch eine damit einhergehende Überlegenheit der Computer, die dann keinen menschlichen Wertvorstellungen mehr unterworfen sind, wäre eine Verdrängung der Spezies Mensch auf diesem Planeten nicht auszuschließen, so Hawking.

Die Non-Profit-Forscher ahnen, dass sie mit GBT-2 die Büchse der Pandora geöffnet haben. Sie halten ihr Algorithmus-Baby für schon so ausgereift und zudem entwicklungsfähig, dass sie entgegen ihrer üblichen Gepflogenheiten den vollständigen Code unter keinen Umständen preisgeben wollen. Weil sie befürchten, ihre Erfindung könnte nicht vornehmlich zum Verfassen von Arztromanen, sondern zum Überfluten der sogenannten „sozialen Medien“ mit erfundenen „Fake News“ in einer bislang ungeahnten Qualität und auch Quantität missbraucht werden.

Das perfekte Manipulationswerkzeug für Demagogen

Die Schöpfer von GBT-2 sind davon überzeugt, dass ihr Algorithmus bald sogar in der Lage sein wird, Texte zu erzeugen, die in Stil und Wortwahl den Texten prominenter Publizisten aus Fleisch und Blut zum Verwechseln ähnlich sehen – nur eben mit anderen, mit untergeschobenen Inhalten.

GBT-2 soll deshalb auf immer und ewig im Giftschrank der Forschungsorganisation verbleiben, weil nach deren Einschätzung bei einem Missbrauch nicht mehr umkehrbare gesellschaftliche Verwerfungen die Folge sein könnten. Demagogen hielten nämlich mit GBT-2 das perfekte Werkzeug in Händen, um eine Gesellschaft beliebig zu manipulieren.

Für diese Befürchtung mag auch sprechen, dass jüngere Generationen der weltweiten User-Gemeinde zunehmend für wahr halten und kaum noch in Zweifel ziehen, was ihnen an Informationen via Facebook, Twitter und Co. im Sekundentakt entgegenschlägt.

Das Problem ist nur – und das lehrt uns die Menschheitsgeschichte seit der industriellen Revolution –: Jede Erfindung, die wirtschaftlichen oder aber politischen Profit verspricht, gelangt eines Tages auf den Markt, als Original oder als Kopie – ob das dem Erfinder passt oder nicht. Die Erfinder der Kernspaltung wurden nicht gefragt, ob mit ihrer Erfindung Atombomben hergestellt werden sollten oder besser nicht. Otto Hahn wurde 1944 der Nobelpreis zugesprochen, im Jahr darauf starben in den beiden japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki 230 000 Menschen.

Ein anderes Beispiel: Der Pharma-Konzern Bayer entwickelte Ende des 19. Jahrhunderts im Stammwerk Elberfeld ein probates Hustenmittel, das man unter dem schönen Markennamen „Heroin“ auf den Markt warf. Es verschwand wegen seiner Nebenwirkungen zwar bald wieder im Giftschrank des Bayer-Labors – aber seine Erfindung beschert der internationalen Drogenmafia bis heute Milliardenumsätze. Und anderen den Tod.

Verehrte Leserschaft: Dieser Text wurde nicht von GBT-2, sondern von einem fehlbaren Menschen aus Fleisch und Blut erstellt. Vielleicht mögen Sie das ja.

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