Neuer Roman aus der Region Ziffern statt Menschen

Mehr als ein Krimi: Der Bonner Rechtsanwalt Ulrich M. Hambitzer liefert in seinem Roman „De Lege Artis“ eine spannende Variante des unsterblichen Duells David gegen Goliath

Zigeuner? Dieser Begriff darf heutzutage – den eifrigen Apologeten der so genannten politischen Korrektheit sei Dank – nicht mehr unkommentiert verwendet werden. Erst recht nicht, seitdem sogar der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma das Wort „Zigeuner“ als ehrenrührig gebrandmarkt hat. In Ulrich M. Hambitzers aktuellem Roman „De Lege Artis“ taucht der Begriff freilich sehr häufig auf – und noch dazu ganz selbstverständlich. Der namenlose Kölner Rechtsanwalt, der wie schon in Hambitzers Debütroman „Error In Persona“ als Ich-Erzähler fungiert, bezieht dazu recht plausibel Stellung.

„Trotz zahlreicher Aufschriften wie “Zigeunerbaron„, “Präsident der Zigeuner„ oder “Zigeunerprinzessin„ auf den prächtigen Zigeunergräbern, die der Stolz etlicher deutscher Friedhöfe sind, trotz der Bezeichnung “Zigeunermusik„ für eine besondere CD-Reihe, trotz der von ihnen selbst gewählten Bezeichnung “Zigeunerfestival„ wird die Bezeichnung “Zigeuner„ von einigen moralischen Avantgardisten, die die Deutungshoheit für sich gepachtet haben, mit einem Bann belegt“, erklärt der Anwalt in Hambitzers Roman. „Die Zigeuner, die ich kennen gelernt habe, lachen sich halb krank, wenn sie hören, die Gadsche (= Nichtzigeuner, Anm. d. Red.) seien der Meinung, man dürfe sie nicht mehr so nennen, wie sie heißen.“

„Die Zigeuner, die ich kennen gelernt habe, lachen sich halb krank“

Zu Besuch bei Ulrich M. Hambitzer in seinem Haus in Beuel, gleich hinter seiner Anwaltskanzlei, in der er seit drei Jahrzehnten arbeitet. Tatsächlich hat sein literarischer Anwalt ohne Namen einige spannende Persönlichkeiten eines Zigeunerclans kennen- und schätzen gelernt. Sie hausen in Baracken am Rande eines Gewerbegebiets vor den Toren von Köln, und ihre Prinzipalin ist eine alte Mystikerin namens Ilona Luminitia, genannt Luminiz. Wir beginnen unser Gespräch in Hambitzers sagenhafter Bibliothek mit dem so problematisch gewordenen Begriff.

„Ob die Zigeuner Zigeuner genannt werden dürfen oder nicht, das wird zum großen Thema gemacht – aber nicht, wie sie tatsächlich behandelt werden“, sagt der 64-jährige. Er selbst interessiert sich für die Zigeunerkultur, seit er als Jugendlicher die Kurzgeschichte „Jenö war mein Freund“ des Büchner-Preisträgers Wolfdietrich Schnurre (1920-1989) las, eines Mitbegründers der Gruppe 47. Für seinen Roman „De Lege Artis“, für den die Kategorisierung „Krimi“ nicht ausreicht, hat Hambitzer über acht Jahre hinweg intensiv Geschichte, Leben und Kultur der Zigeuner recherchiert – im Anhang des Buches findet sich ein umfangreiches Literaturverzeichnis.

Der Anwalt steht einem jungen Roma-Zigeuner bei, der seit einem Behandlungsfehler in einem Krankenhaus querschnittgelähmt ist. Das Spital lässt sich in dem Rechtsstreit von einer international aufgestellten Großkanzlei vertreten, und das erste Aufeinandertreffen der höchst gegensätzlichen Konfliktparteien in einem Macht und Stärke symbolisierenden Protzbau gerät zu einem der zahlreichen erzählerischen Glanzstücke Hambitzers. In dem Gebäude sind auch eine Steuerberatungsgesellschaft, ein Marketingunternehmen und eine Unternehmensberatung ansässig – „sozusagen die Quintessenz der spätkapitalistischen Untergangszivilisation“.

Goethe-Verse besänftigen ein Rudel wilder Hunde

Die Situation spitzt sich zu, als der Anwalt von einem fanatischen Zigeunerhasser lebensgefährlich verletzt wird und ausgerechnet in dem verklagten Krankenhaus landet. In den (oftmals filmreifen) Zwischensequenzen besänftigt der nonkonformistische Advokat ein wildes Hunderudel durch schief gesungene Goethe-Verse, schwärmt für eine Doppelgängerin der jungen Gina Lollobrigida, huldigt der virtuosen Gambistin Hille Perl, verteidigt die Sopranistin Cecilia Bartoli gegen Kitsch-Vorwürfe und zelebriert kulinarisch-sinnliche Pasta-Festspiele auf seiner Terrazzo-Küchenarbeitsfläche. Ferner bekennt sich der italophile Genussmensch und Hundeliebhaber zu seiner Aversion gegen joggende Zeitgenossen am Rheinstrom.

Am schärfsten gerät jedoch die Kritik am gegenwärtigen Zustand des deutschen Justizwesens, zu welchem nicht nur der Ich-Erzähler, sondern auch Hambitzer eine pointierte Position einnehmen. Das Jurastudium wird nicht nur im Roman, sondern auch in unserem Gespräch als „jahrelange Gehirnwäsche“ bezeichnet. „Wenn die Leute das Vertrauen in die Justiz verlieren, wird es mit dem Zusammenhalt in der Gesellschaft schwierig“, sagt Hambitzer. „Die Justiz ist noch nicht am Ende, aber erheblich schlechter dran als früher.“ Er stelle einen dramatischen Verlust an Empathie fest: „Wo früher Menschen waren, sind heute Erledigungsziffern.“

Sterile Großkanzleien, in denen nicht bloß die Architektur aus Marmor, Glas und Stahl zu bestehen scheint („menschlich unerträglich“), hat Hambitzer in seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Anwalt hinreichend kennengelernt. Wo die Gründe in der zunehmenden Seelenlosigkeit innerhalb der Gesellschaft liegen? „An einem Kulturwandel“, sagt Hambitzer. „Internet, Digitalisierung, Globalisierung – das Kapital ist zu einem Wert geworden, dem sich alles andere unterzuordnen hat.“

Ulrich M. Hambitzer: De Lege Artis. Edition Lempertz, 191 S., 9,99 Euro – Autorenlesung: Donnerstag, 21. Februar, ab 20 Uhr in der Buchhandlung Böttger, Thomas-Mann-Straße 41, Bonn. Karten unter Tel. (0228) 350 27 19

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