Liebe und Sex im Alter: Sensibles Thema - zwei Blickwinkel

Sex-Beraterin Erika Berger und Pfarrer Wolfgang Picken im Vorgespräch zur Podiumsdiskussion

Liebe und Sex im Alter: Sensibles Thema - zwei Blickwinkel
Foto: Ronald Friese

Bad Godesberg. Um "Liebe und Sexualität im Alter - (k)ein Tabuthema" geht es am Dienstag "unverklemmt", so die Einlader, bei einer Podiumsdiskussion im Wohnhaus Emmaus. Mit dabei ist die Journalistin Erika Berger, durch die das Intimleben der Deutschen Einzug ins Fernsehen feierte.

Im Vorfeld standen Berger und Einlader Wolfgang Picken, der katholische Pfarrer des Rheinviertels, Ebba Hagenberg-Miliu Rede und Antwort - oder wie im Pfarrbüro gescherzt wird: "Madonna traf den Papst".

General-Amzeiger: Frau Berger, Herr Picken, am Dienstagabend sitzen Deutschlands Grande Dame der TV-Sexberatung und die als lustfeindlich verschriene katholische Kirche thematisch in einem Boot. Wie passt das zusammen?

Erika Berger: Es mag ja vielleicht auf den ersten Blick nicht wirklich zusammen passen. Aber ist es nicht so, dass Liebe und Sexualität uns mit in die Wiege gelegt wurden, dass sie wichtig sind für ein glückliches Zusammenleben von Mann und Frau - und nicht zuletzt, dass man dann auch Kinder bekommt. Nur, und da sind wir uns sicherlich nicht ganz einig, wie ist es, wenn man nicht verheiratet ist, wenn man keine Kinder will, aber nicht auf Liebe und Sex verzichten kann - wieso eigentlich auch? - dann gibt es Diskussionspunkte, schon alleine wegen der Verhütung.

Wolfgang Picken: Liebe und Sexualität bestimmen intensiv das Leben der Menschen. Also sind beides wichtige Themen für das Fernsehen und die Kirche. Freilich betrachten wir sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Die bevorstehende Veranstaltung wird mit den Vorurteilen gegen die Kirche aufräumen. Allen Behauptungen zum Trotz ist sie nämlich weder lust- noch liebesfeindlich!

GA: Die Diskussion ist nicht zuletzt durch den Film "Wolke 9" aufgeflammt: Ist Liebe und Sexualität im Alter Ihrer Meinung nach heute noch ein Tabuthema?

Picken: Das Thema ist ganz klar ein Tabu in unserer Gesellschaft. Liebe und Sexualität werden oft oberflächlich wie eine Ware betrachtet, bei der nur Jugendlichkeit und Frische die Währung sind. Ältere Menschen kommen dabei in den Köpfen und Medien kaum vor. Klar ist, dass Liebe und Sexualität in jedem Alter Bedeutung besitzen.

Berger: Ja, es ist ein großes Tabuthema und wird es auch bleiben. Ein einziger Film kann daran nichts ändern. Menschen im reiferen Alter wird Sexualität abgesprochen, weil man zu alt, zu gebrechlich, zu unattraktiv ist. Ich finde, das ist völliger Blödsinn, weil es für die Liebe keine Altersgrenze gibt und auch nicht für die Sexualität. Nur weil man älter wird, verschwindet doch die Lust nicht.

GA: Sie schreiben in Ihren Büchern über das sich im Alter verändernde Verhältnis von Zärtlichkeit und Sexualität, Frau Berger. Was bedeutet Altern für das Liebesleben?

Berger: Die Sexualität ist nicht mehr flammend leidenschaftlich wie in jungen Jahren, sie ist zärtlicher, inniger, weil man die intime Nähe des anderen genießen kann. Weil Menschen ihre eigenen Bedürfnisse kennen und diese auch einfordern können und weil man keinen Zeitdruck mehr hat. Um es auf den Punkt zu bringen, wenn es einmal nicht klappt, hat man doch alle Zeit der Welt, um es am nächsten Tag wieder zu versuchen. Und an die Stelle der Sexualität tritt die Zärtlichkeit. Und das ist etwas sehr Schönes.

Picken: Die Sehnsucht nach Zuwendung und Wertschätzung durch einen anderen, nach Berührung und Verbundenheit verlieren sich nicht, sie verändern sich vielleicht. Warum sollten Menschen, nur weil sie älter oder zerbrechlich sind, auf eine ganzheitliche Erfahrung von Sexualität verzichten wollen? Als Seelsorger spürt man, dass sich viele ältere Menschen nicht verstanden und mit ihren Sehnsüchten ins Abseits gedrängt fühlen. Ihnen fällt es schwer, darüber zu sprechen. Deshalb machen wir es unverklemmt zum Thema. Wir wollen sensibilisieren.

GA: Diese "Godesberger Gespräche" finden in einem Seniorenhaus der Caritas statt. Hat die Betreuung und Pflege alter Menschen überhaupt noch Zeit für eine Streicheleinheit? Ist Anfassen im Altenheim nicht auch peinlich, Herr Picken?

Picken: Das Emmaushaus und auch das angeschlossene Hospiz der Bürgerstiftung Rheinviertel setzen auf Beziehungspflege. Die Bewohner verbringen viel Zeit mit "ihren" Bezugspersonen in der Pflege. Es entsteht eine liebevolle, oft innige Beziehung, bei der auch Berührungen, Umarmungen, Streicheln dazugehören. Gerade bei Demenzerkrankten ist die körperliche Berührung in der zwischenmenschlichen Begegnung oft unverzichtbar. Was soll da peinlich sein? Fragen Sie mal unsere indischen Ordensfrauen, wie sehr ihre Berührungen geschätzt werden.

GA: "Liebe zu machen" ist wohl in den meisten Altenheimen so gut wie unmöglich. Wie ließe sich ein Recht auf Intimität garantieren, Frau Berger? Hat das Wohnhaus Emmaus so etwas wie ein "Liebeszimmer" für (verheiratete) Paare, Herr Picken?

Berger: Ich habe davon wenig Ahnung. Ich weiß nur von meiner Mutter, die in einem Seniorenheim gelebt hat, dass es ziemlich schwierig gewesen ist, sich auch nur mal mit einem Mann, der eben auch dort lebte, am Abend zu unterhalten. Es ist unwürdig, alte Menschen ins Bett zu scheuchen, nur weil es meinetwegen schon 22 Uhr ist. Ich glaube, ein Recht ist hier nicht zu garantieren. Das kommt in jedem Einzelfall eben auf die Menschen an, die dort wohnen. Ich jedenfalls würde mir das Recht nicht herausnehmen, mich in etwas einzumischen, das mich nichts angeht. Und Liebe und Sexualität von alten Menschen, die in einem Altenheim leben, gehen mich nun mal nichts an - wenn Sie wissen, was ich meine.

Picken: Alle Menschen brauchen Rückzugsmöglichkeiten und haben ein Recht auf Intimsphäre. Darauf wird in Altenheimen immer stärker geachtet. Bei der CBT werden Leitlinien für Mitarbeiter erarbeitet, um jedem Bewohner eine möglichst große Privatheit zu garantieren und mit Sensibilität entstehende Beziehungen zu schützen. Übrigens gibt es in Altenheimen Doppelzimmer, und Türen können von innen geschlossen werden.

Die Podiumsdiskussion der Reihe "Godesberger Gespräche" beginnt am Dienstag um 18.30 Uhr im CBT-Wohnhaus Emmaus, Gotenstraße 84a. Es nehmen teil: Erika Berger (Redakteurin, Buchautorin), Nina De Vries (Sexualassistentin für Menschen mit Behinderung), Peter Neysters (ehemaliger Leiter der Abteilung Ehe und Familie des Bistums Essen), Beatrice Döhner (CBT-Fachdozentin für Gerontopsychiatrie).

Zur Person

Erika Berger (69) begann ihre Karriere als Kolumnistin bei der Bild-Zeitung und eroberte dann mit langen, übereinander geschlagenen Beinen das Fernsehen. Als Expertin für heikle Themen erreichte sie etwa mit der Sex-Telefonberatung "Eine Chance für die Liebe" und der Talk-Show "Ein flotter Dreier" hohe Einschaltquoten. Ihr neuestes Buch heißt "Spätes Glück. Vom Mut, neu anzufangen und wieder zu lieben".

Priester Wolfgang Picken (41) trat als vormaliger Subsidiar des Bonner Stadtdechanten 2004 auf der Pfarrstelle im katholischen Rheinviertel an. Seither hat der gebürtige Kölner, Theologe und promovierte Politologe viel frischen Wind ins katholische Godesberg gebracht. Die rigorosen Sparpläne des Kölner Erzbischofs beantwortete er kreativ mit der Gründung der Bürgerstiftung Rheinviertel.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort