Maßnahmen vorgestellt NRW will Kinder vor der Einschulung gezielter fördern

Düsseldorf · Was tun nach den alarmierenden Ergebnissen der Grundschüler in diversen Bildungsstudien? NRW setzt auf verbesserte Diagnostik und gezielte Förderung schon vor der Einschulung. Wie soll das genau aussehen?

Mit einem landesweiten Früherkennungsprogramm bei den Grundschulanmeldungen soll Förderbedarf bei Kindern in NRW künftig früher erkannt werden. (Symbolfoto)

Mit einem landesweiten Früherkennungsprogramm bei den Grundschulanmeldungen soll Förderbedarf bei Kindern in NRW künftig früher erkannt werden. (Symbolfoto)

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Mit einem landesweiten Früherkennungsprogramm bei den Grundschulanmeldungen soll Förderbedarf bei Kindern in Nordrhein-Westfalen künftig früher erkannt werden. Unmittelbar nach der Diagnostik solle dann gezielte Förderung noch vor der Einschulung beginnen, kündigte Schulministerin Dorothee Feller (CDU) am Donnerstag in einer Sondersitzung des Fachausschusses im Düsseldorfer Landtag an. Ein konkretes Konzept dazu konnte die Ministerin noch nicht vorlegen. Nach Ansicht der SPD-Opposition sollten Kinder bereits im Alter von viereinhalb Jahren auf ihre motorische, sprachliche und soziale Entwicklung hin untersucht werden.

Anlass der Sondersitzung des Schulausschusses waren die schlechten Ergebnisse von Grundschülern in Bildungsstudien. Feller sprach von einem deutlichen Alarmsignal. „In Nordrhein-Westfalen erfüllt gut ein Viertel die Mindestvoraussetzungen im Lesen, Schreiben, Rechnen, Zuhören und in der emotional-sozialen Entwicklung nicht“, sagte sie. Nur jeder Zweite erreiche in Lesen, Zuhören und Mathematik die Standards.

Vor allem beim Lesen, aber auch bei der emotional-sozialen Entwicklung will Feller deutlich nachbessern. Dabei sollten die Lehrkräfte entlastet werden, betonte sie. „Mit Blick auf die Gesamtbelastung der Lehrkräfte an unseren Grundschulen steht fest, dass wir ihnen nun nicht wieder ein vollständig neues Konzept überstülpen können - und auch nicht müssen.“

Kompass für die Schulen

Künftig würden den Grundschulen Schwerpunktsetzungen und Materialien landesweit verbindlich vorgeben, so dass nicht jede Schule und jede Lehrkraft ihre eigenen Konzepte und Materialien erstellen müsse, erklärte Feller. Dafür werde den Lehrkräften wissenschaftlich fundiertes Material zur Verfügung gestellt, dessen Wirksamkeit bereits erwiesen sei.

Zwar existiere bereits eine Vielzahl an analogen und digitalen Materialien, allerdings seien Lehrer mit der Frage, wie neue Konzepte und geänderte Lerninhalte im schulischen Alltag umgesetzt werden könnten, zu wenig unterstützt worden, bilanzierte Feller. Ständige Neuerungen, die für viel Mehrarbeit und Unruhe sorgten, seien kontraproduktiv. Als Beispiel nannte Feller das Hin und Her beim Start mit dem Fach Englisch zunächst in der dritten, dann in der ersten und dann doch wieder in der der dritten Klasse.

Vom Alltag weit entfernt

Die Unterstützungsmaterialien zur Leseförderung sollen noch vor den Sommerferien am 12. Juni mit den Schulleitungen der Grund- und Förderschulen sowie weiteren Multiplikatoren in einer digitalen Großveranstaltung vorgestellt werden. Der Lehrerverband Bildung und Erziehung kritisierte eine „ungeschickte Terminierung“ mitten in den Zeugnisvorbereitungen. „Hier zeigt sich bedauerlicherweise wieder einmal, dass die Administration vom Alltag in den Schulen weit entfernt ist“, bemängelte die Landesvorsitzende Anne Deimel in einer Mitteilung. „Wie soll Entlastung für Schulleitungen geschaffen werden, wenn das Ministerium nicht weiß, was genau im Laufe des Schuljahres jeden Tag geleistet wird?“

Die Schulministerin will neben dem Lesen und Rechnen eine weitere Kernkompetenz in den Fokus rücken: „Um sich auf Lerninhalte konzentrieren zu können, ist für Kinder eine altersgerechte und stabile emotional-soziale Entwicklung von fundamentaler Bedeutung. Wir haben noch kein fertiges Konzept, aber da müssen wir ran.“

Keine schnelle Kehrtwende möglich

Aus Sicht der SPD blieb die Ministerin ein Gesamtkonzept schuldig und lieferte hauptsächlich Problembeschreibungen. Feller hielt dagegen, angesichts der über etliche Jahre angehäuften Defizite sei eine Umkehr des Negativtrends nicht von heute auf morgen möglich. Auch von der nächsten Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, für die im kommenden Jahr neue Daten erhoben würden, sei noch keine wesentliche Verbesserung zu erwarten. Hamburg habe mehr als zehn Jahre gebraucht, bis sich seine Bildungsmaßnahmen in besseren Basiskompetenzen niedergeschlagen hätten.

In der vergangenen Woche hatte Feller eine Lese-Offensive angekündigt: Nach den Sommerferien soll es pro Woche dreimal 20 Minuten verbindliche Lesezeit im Grundschul-Stundenplan geben. Sie wies den Vorwurf zurück, dem Ausschuss lediglich ein Bündel bereits bekannter Maßnahmen präsentiert zu haben. „Das ist nicht alt“, widersprach sie. Den Schulen werde auch auf neuen Plattformen ein Fächer an inhaltlichen und didaktischen Möglichkeiten an die Hand gegeben, um das Vorlesen und den Mathematikunterricht für die Kinder attraktiv und mit Erfolgserlebnissen zu gestalten - etwa mit „Lese-Karaoke“, in der „Hörspiel-Werkstatt“ oder mit Mathe-Spielen.

Lebenslange Bildungslücken

Der SPD-Abgeordnete Frank Müller nannte es angesichts der ungelösten Bildungsdefizite unverzeihlich, „dass wir Jahr für Jahr Schüler-Generationen ihrer Chancen beraubt haben“. Feller räumte ein, dass die auf ihre Basiskompetenzen getesteten Kinder ihre Schwächen in die weiterführenden Schulen mitgenommen hätten - „und wenn wir Pech haben, werden sie sie ein Leben lang haben“.

(dpa)
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