NRW-Check Die NRW-Wahl mitten in der Angst vor dem Krieg

Düsseldorf · Die Bürger fürchten den Krieg – und sie sind in größter Sorge wegen der heftigen Preissteigerungen, vor allem für Strom, Gas und Sprit. Der NRW-Check zeigt, was der Krieg in der Ukraine für die Menschen in NRW bedeutet.

 Eine Demonstration gegen den Krieg in der Ukraine. Die Angst vor dem Krieg beschäftigt die Wähler in NRW vor der Landtagswahl.

Eine Demonstration gegen den Krieg in der Ukraine. Die Angst vor dem Krieg beschäftigt die Wähler in NRW vor der Landtagswahl.

Foto: Meike Böschemeyer

Der Krieg in der Ukraine, die wachsende Angst vor hohen Preisen und vor Engpässen bei der Energieversorgung: All das ist im Bewusstsein der Menschen in NRW weit nach vorne gerückt. Zwei Monate vor der Landtagswahl sehen die Bürger den Krieg als besonders drängendes Problem für ihr Bundesland – einzig die Corona-Pandemie wird noch häufiger genannt. Das zeigen die aktuellen Ergebnisse des NRW-Checks, einer Umfrage-Serie im Auftrag der nordrhein-westfälischen Tageszeitungen.  

Der repräsentativen Forsa-Umfrage zufolge tragen die Menschen in NRW die sicherheitspolitische Kehrtwende der Bundesregierung glatt mit. Die beispiellose Aufstockung des Militär-Etats um 100 Milliarden Euro: 75 Prozent der Befragten finden das richtig. Die Waffenlieferungen an die Ukraine: 77 Prozent unterstützen sie. Ausgerechnet die Anhänger der Grünen, trotz tiefer Wurzeln in der Friedensbewegung, liefern dazu von allen Wählern mit 91 Prozent den höchsten Zustimmungswert.

Der Friedens- und Konfliktforscher Tobias Debiel vom Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen erklärt das mit dem heftigen Schock, den Russlands Überfall auf das Nachbarland verursacht habe. „Man hat Wladimir Putin viel zugetraut. Aber ein derart offener Aggressionskrieg mit einer entsprechenden Rhetorik hat wohl viele in ihren schlimmsten Befürchtungen bestätigt oder diese übertroffen“, sagt er. „Es gibt ein Selbstverteidigungsrecht der Ukrainer. Von daher verwundert mich die Befürwortung der Rüstungsexporte nicht.“

Auch Sorgen vor ganz persönlichen wirtschaftlichen Problemen wachsen in der Bevölkerung. So zählen für 16 Prozent der NRW-Bürger Preissteigerungen und Inflation zu den wichtigsten Problemen dieser Zeit – eine Verdopplung gegenüber den NRW-Check-Befragungen vor dem Ausbruch des Krieges. 88 Prozent der Menschen empfinden die Preissteigerungen als Bedrohung. Mehr als die Hälfte – 55 Prozent – sorgt sich, wegen  der Energiepreise in finanzielle Schwierigkeiten zu kommen. Wobei gesellschaftliche Unterschiede deutlich zutage treten: Unter Teilnehmern, die sich in die Berufsgruppe der „Arbeiter“ einsortieren und somit vermutlich eher weniger verdienen, sind es 74 Prozent, also fast drei Viertel.

Für Friedensforscher Debiel liegt darin die Gefahr ernsthafter gesellschaftlicher Verwerfungen. Die Politik müsse gezielt gegensteuern: „Jetzt muss es ans Eingemachte der besserverdienenden Schichten gehen“, sagt er. „Wo können Steuerprivilegien abgebaut werden? Wo können Subventionen vermindert werden? Diese Debatte muss beginnen, und die Antworten müssen sozial asymmetrisch sein zuungunsten der Reicheren. Ansonsten verlieren wir einen Teil der Gesellschaft.“

Dass die wirtschaftlichen Sanktionen, die die Weltgemeinschaft gegen Russland verhängt hat, den Machthaber Putin zum Einlenken bewegen oder überhaupt wirksam sein werden, glaubt indes nicht einmal die Hälfte der NRW-Bürger. Im Gegenteil: 60 Prozent von ihnen befürchten, dass der Krieg Deutschland erreichen könnte.

Der Politikwissenschaftlerin Isabelle Borucki von der Universität Siegen fallen dabei die Unterschiede zwischen Altersgruppen ins Auge: Die unter 30-Jährigen sind weniger besorgt als die Älteren. Sie glaubt, dass speziell bei Senioren auch eigene Kriegserfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg  eine Rolle spielen dürften. „Da findet für die 30er-Jahrgänge jetzt geradezu eine Retraumatisierung statt“, sagt sie. Bemerkenswert findet sie auch, „dass eine wirklich so eindeutige mehrheitliche Solidarität in Bezug auf die Aufnahme von Flüchtlingen herrscht“. So sind 89 Prozent aller Befragten dafür, dass Geflüchtete in ihrer eigenen Gemeinde oder Stadt untergebracht werden. „Das finde ich sehr interessant vor dem Hintergrund der Migrationskrise in 2015“, sagt Borucki. Da sei die Solidarität weniger spürbar gewesen.

Weiterhin interessant: Auch die Anhänger der AfD, die bei den anderen Fragen regelmäßig von der allgemeinen Stimmungslage abweichen, sind mit großer Mehrheit (78 Prozent) für die Unterbringung Geflüchteter in der eigenen Stadt. Unterschiede bei der Aufnahmebereitschaft gibt es laut Umfrage allerdings je nach Region. Während in der Eifel nur dreiviertel der Menschen dafür sind (74 Prozent) ist die Zustimmung zur Flüchtlingsaufnahme im Rest NRWs enorm: etwa im Sauer- und Siegerland sowie der Rheinschiene bei 96 Prozent, im Ruhrgebiet bei 90 Prozent und am Niederrhein sowie im Bergischen Land bei 86 Prozent.

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