Vorfall auf Spitzbergen Angriff und Tod von Eisbär werfen viele Fragen auf

Bonn · Die für den Eisbar tödliche Begegnung mit der Crew eines Kreuzfahrtschiffes in Norwegen wirft Fragen auf. Zum Beispiel diese: Brauchen wir solche Freizeitangebote überhaupt?

„Arktis pur“, so heißt der Werbeslogan des Kreuzfahrtunternehmens Hapag-Lloyd Cruises. Arktis pur heißt aktuell: Ein Mensch wird beim Landgang auf dem Archipel Svalbard von einem Bewohner dieses hochsensiblen Ökosystems angegriffen – von einem Eisbären. Konsequenz: Der Mann wird verletzt, das Tier erschossen. Mittlerweile durfte der deutsche Hapag-Lloyd-Mitarbeiter das Krankenhaus in Tromsø wieder verlassen. Die öffentliche Diskussion über den Fall, der sich am Samstag in Spitzbergen ereignete, dreht sich derweil um das Grundsätzliche: Dass ein unter Artenschutz stehendes Tier erschossen wird – Stand heute: in Notwehr –, ist das eine. Aber musste dieser Mensch an Land gehen? Muss es überhaupt sein, dass eine Touristengruppe „Arktis pur“ erlebt? In Begleitung bewaffneter Wächter, die Eisbären erschießen, wenn sie die Touristen nicht in Ruhe lassen?

Auf Twitter beschreibt der britische Komiker Ricky Gervais die Idee von „Arktis pur“ in beißendem Sarkasmus so: „Lasst uns einem Eisbären in seiner natürlichen Umgebung zu nahe kommen und ihn dann töten, wenn er uns zu nahe kommt.“

Thema Kreuzfahrttourismus debattieren

Daniel Rieger, Referent für Verkehrspolitik beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu), nimmt den Faden des Komikers auf – und versachlicht ihn: „Wir müssen aus Klima- und Naturschutzsicht das Thema Kreuzfahrttourismus debattieren.“ Fakt sei, dass der Kreuzfahrttourismus boomt. „Etwa 500 Kreuzfahrtschiffe sind derzeit auf der Welt unterwegs – und allein die Meyer-Werft in Papenburg, einer der größten deutschen Schiffbauer, ist nach unserem Kenntnisstand bis 2024 ausgebucht.“ Heißt: Es werden immer mehr schwimmende Hotels auf den Weltmeeren unterwegs sein.

Und die schwimmenden Hotels werden immer größer: „Es gibt mittlerweile Schiffe, die inklusive Crew 10 000 Menschen fassen“, sagt Rieger. „Das ist eine Kleinstadt, die da unterwegs ist.“ Und in dieser Kleinstadt werden immer abstrusere Angebote gemacht: „Da gibt es das Casino, Eislaufen, Autoscooter“, zählt Rieger auf.

Ungeheurer Energiebedarf

Warum das ausufernde Freizeitangebot der Kreuzfahrtschiffe den Naturschutzbund interessiert? Weil dessen Betrieb unmittelbare Auswirkungen auf die Umwelt hat: „Diese schwimmenden Hotels haben einen ungeheuren Energiebedarf“, erklärt Rieger, „und der teilt sich so auf: 50 Prozent Energie, um das Schiff zu bewegen, und 50 Prozent für die Aktivitäten an Bord.“ Das bedeutet, dass, wenn das Schiff irgendwo anlandet, zwar die Antriebswellen ruhen, der Freizeitmotor aber nicht.

Umweltfreundlich ist kein Kreuzfahrtschiff. „Betrieben werden die Schiffe mit Schweröl – das ist der dreckigste Treibstoff, den es gibt“, sagt Rieger. Er nennt Vergleichswerte: „Ein Kreuzfahrtriese produziert so viel Feinstaub wie eine Million Pkw.“ Das spüren auch die Orte, an denen die Schiffe anlegen: „Die Stadtverwaltung Hamburg hat eine Studie in Auftrag gegeben, um herauszufinden, woher die Stickoxidbelastung in der Stadt kommt. Zu 80 Prozent stammen die Stickoxide vom Hafen.“

Ein Ethikkatalog müsste her

Während Veranstalter wie Aida immer größere, aber auch kostengünstige Varianten für die Touristen der Mittelschicht anbieten, setzen Veranstalter wie Hapag-Lloyd Cruises auf vergleichsweise kleine Schiffe – und auf hochpreisige Angebote. „Arktis pur“ zum Beispiel. Ein anderer Anbieter, „Crystal Serenity“ aus Kanada, machte 2016 Schlagzeilen mit dem Angebot, erstmals per Kreuzfahrtschiff die Nordwestpassage durch die Arktis zu befahren – an Bord: 1070 Passagiere und 665 Crewmitglieder.

Kosten für den Gast für die 32-Tage-Reise: zwischen 25- und 155.000 Dollar. Das Interessante an diesem Angebot: Dass die Nordwestpassage überhaupt von einem Kreuzfahrtschiff zu befahren ist, liegt – am Klimawandel. „Das schmelzende Eis“, sagt Rieger, „macht es möglich, in entlegenste Gebiete vorzustoßen.“ Und dort trifft man dann unter Umständen einen Eisbären. Wenn man, was durchaus vorkommt, dem Touri-Erlebnis derart frönt, dass man auf der nächsten großen Eisscholle mit Mini-Boot anlandet und dort schon ein Buffet für die Besucher aufgebaut ist, dann kann ein hungriges Tier das durchaus als Einladung verstehen.

Was passiert jetzt mit dem Fall Hapag-Lloyd Cruises? „Das Töten des Eisbären muss eine Konsequenz haben“, sagt Rieger. „Schließlich: Es ist ja nicht so, dass da ein Forscher auf dem Weg zu seiner Station angefallen wurde. Das ist ein Fall, den man vermeiden kann – indem man das sensible Ökosystem Arktis gar nicht erst für diese Art von Tourismus öffnet.“

Polizei stellt Fall anders da

Die norwegische Polizei sieht den Fall anders: Ein Polizeisprecher erklärte am Montag, zwei Mitglieder der Schiffsbesatzung hätten zunächst versucht, den Eisbären mit Rufen, lauten Geräuschen und einer Signalpistole abzuwehren. Dies habe aber nichts gebracht.

Rieger indessen sieht die Kreuzfahrtbranche gefordert: „Ich erwarte, dass sich die Branche spätestens jetzt mit den Auswirkungen ihres Handels auseinandersetzt und sich einen Ethikkatalog gibt, der klar regelt, was erlaubt ist und was nicht – ein Landgang in Eisbärengebiet gehört dann eben nicht dazu.“ Außerdem müsse alles technisch Mögliche unternommen werden, um die Umweltauswirkungen so stark wie möglich zu begrenzen. „Dazu“, so Rieger, „gehören auch der Verzicht auf Schweröl und der Einsatz von Abgasreinigung.“ Ein Einsatz, der bislang ebenso wenig verpflichtend ist wie der Respekt vor unberührter Natur.

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