Gasexplosion in Russland Baby nach 35 Stunden lebend gerettet

Magnitogorsk · Vermutlich mehr als 40 Menschen sind nach einer Gasexplosion in einem Haus im russischen Magnitogorsk tot. Ein elf Monate alter Säugling wurde gerettet.

 Gerettet: Ein Helfer trägt den elf Monate alten Säugling aus dem Schutt – er kam mit Kopfverletzungen auf die Intensivstation. FOTO: DPA

Gerettet: Ein Helfer trägt den elf Monate alten Säugling aus dem Schutt – er kam mit Kopfverletzungen auf die Intensivstation. FOTO: DPA

Foto: dpa

Es habe einen lauten Knall gegeben, danach sei eine Flamme aus dem Fenster im ersten Obergeschoss geschlagen. „Dann stürzte plötzlich alles ein, eine Staubwolke stieg auf wie ein Atompilz“, erzählte ein Augenzeuge gegenüber der Zeitung Komsomolskaja Prawda. „Ich hörte Hilferufe aus den Trümmern.“

Am Silvestermorgen hat eine Explosion in der Ural-Stadt Magnitogorsk ein zehnstöckiges Wohnhaus schwer beschädigt. Die Detonation zerstörte gegen sechs Uhr morgens 26 Wohnungen völlig und überraschte viele Menschen im Schlaf. Die Rettungsmannschaften bargen laut der Agentur RIA Nowosti insgesamt sechs Verletzte, fanden inzwischen acht Tote.

Auch andere Augenzeugen berichteten von Hilferufen aus dem Trümmerberg, die aber bald verstummten. Bei Temperaturen von Minus 18 Grad gab es schon am Montag praktisch keine Hoffnung mehr, dort noch jemand der 35 vermissten Hausbewohner lebendig herauszuholen. Dann hörten die Bergungsmannschaften am Nachmittag Kinderweinen und gruben trotz akuter Einsturzgefahr ein elf Monate altes Baby aus, dass warm verpackt im Wrack eines Kinderwagens lag. Das Kind kam mit Erfrierungen und Kopfverletzungen auf die Intensivstation.

Die Behörden halten eine Gasexplosion für die Ursache des Unglücks, der Inlandsgeheimdienst FSB schloss schon drei Stunden nach der Katastrophe andere Versionen aus. Dabei wird auf Internetforen auch über einen möglichen Terrorakt spekuliert. Nicht nur, weil die Explosion unmittelbar vor Neujahr geschah, dem wichtigsten Familienfest in Russland. Sondern auch, weil sie sich im ersten Obergeschoss über einem Torbogen ereignete, was die Wahrscheinlichkeit erhöhte, dass die darüber liegenden Plattenbauwohnungen ebenfalls einstürzen würden.

Es gibt in Magnitogorsk außerdem Gerüchte, ein unter dem Torbogen geparktes Auto sei in die Luft gegangen. Viele Russen fühlen sich an die Terrorakte im Herbst 1999 erinnert, als bei nächtlichen Hausexplosionen in Moskau und Wolgodonsk hunderte Menschen ums Leben kamen. Allerdings hat sich keine Terrorgruppe zu der Explosion in Magnitogorsk bekannt.

Und in russischen Haushalten kommt es immer wieder zu Gasexplosionen. „Meist entweicht Gas wegen nicht ausgeschalteter Gasherde oder defekter Gasschläuche in der Küche“, sagt der Twerer Installateur Wadim Jakowlew unserer Zeitung. „Aber gerade bei starkem Frost lecken oft auch unzureichend geschmierte Verbindungsstellen der Gasleitung im Haus. Dann reicht ein elektrischer Funke in der Wohnung, um eine Explosion auszulösen.“

Gasnetz des Gebäudes arbeitete laut Betreiberfirma fehlerlos

Dazu habe man in viele Wohnungen hermetische Kunststofffenster installiert, es fehle deshalb an Spalten, durch die auftretendes Gas entweichen könne.

Nach Angaben der Betreiberfirma „Gasprom Gasoraspredelenije Tscheljabinsk“, war das Gasnetz in dem Haus erst im März gewartet worden und arbeitete fehlerlos. Aber mehrere Medien berichteten, schon vor der Explosion hätten sich Bewohner über Gasgeruch in dem Haus beschwert.

Der Hausverwaltungsexperte Konstantin Krochin beklagte gegenüber der BBC, das Gasüberwachungssystem in Russland sei völlig degeneriert, zumindest im Wohnungssektor. „Der Gesetzgeber verpflichtet heute allein die Wohnungsinhaber dazu, die Gasgeräte innerhalb ihrer Wohnung in Ordnung zu halten.“ Den meisten von ihnen aber fehle das Geld und technische Wissen, um diese Geräte zu warten.

Der Kreml reagierte sehr besorgt auf die Katastrophe zu Neujahr. Wladimir Putin flog am Montag persönlich nach Magnitogorsk, besuchte Verletzte im Krankenhaus und leitete eine improvisierte Krisensitzung. „Ungeachtet der Festtage müssen wir heute der Toten und Verletzten gedenken“, erklärte der russische Präsident vor Fernsehkameras. Allerdings strichen die staatlichen TV-Sender am Abend keine der üblichen Komödien und Unterhaltungsshows. Und allein in Moskau forderten die feuchtfröhlichen Feuerwerke der Silvesternacht 14 Verletzte.

Die Einwohner von Magnitogorsk aber trugen Blumen oder Stofftiere zur Unglücksstelle, andere spendeten so reichlich Kleider und Lebensmittel für die Überlebenden, dass die städtischen Behörden die Sammelstellen gestern schlossen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort