Leben in New York Bonnerin musste mit Familie jeden Monat umziehen

New York · Christina Horsten und Felix Zeltner sind mit ihrer kleinen Tochter Emma in New York City ein Jahr lang jeden Monat umgezogen. Horrende Mieten in einer der teuersten Städte der Welt zwangen die junge deutsche Familie zur Odyssee.

Leben in New York: Bonnerin musste mit Familie jeden Monat umziehen
Foto: Roderick Aichinger

Im Interview plaudern die beiden 36-Jährigen über die Unterschiede zwischen Bonn und New York und über verrückte Ideen und geben Tipps für den Umzug. Mit Horsten und Zeltner sprach Philipp Hedemann.

Für die meisten Menschen bedeutet ein Umzug vor allem Stress. Sie sind mit Ihrer kleinen Tochter ein Jahr lang jeden Monat in New York umgezogen. Sind Sie verrückt?
Felix Zeltner:
Die meisten Verrückten würden diese Frage wohl mit Nein beantworten. Ich sage auch: Nein. Aber es stimmt schon, dass wir gerne ein bisschen gegen gesellschaftliche Normen verstoßen.
Christina Horsten: Wir haben das Projekt nicht gestartet, weil wir mal etwas Verrücktes machen wollten. Die Idee entstand aus der Not. Als wir mit unserer neugeborenen Tochter Emma aus dem Krankenhaus kamen, lag im Briefkasten die Wohnungskündigung. Ich habe erst mal geheult. Die Vermieterin warf uns vor, zu laut zu sein. In Wahrheit wollte sie keine Kinder im Haus. Wir wurden vor Gericht geladen, aber hatten keine Chance und mussten ausziehen. In der nächsten Wohnung, die wir auf die Schnelle fanden, gab es bald eine happige Mieterhöhung. Das konnten wir uns nicht leisten. Mit Baby in einer der teuersten Städte der Welt ohne Wohnung - zunächst war es für uns eine Katastrophe. Doch im Nachhinein war die Mieterhöhung für uns ein Geschenk. Ohne sie wären wir wohl nie zu Stadtnomaden geworden.

Aber warum haben Sie sich nicht einfach eine neue Wohnung gesucht und sind dort geblieben? Wie andere Menschen auch?
Felix Zeltner: Wir hatten in New York so viele tolle Stadtteile kennengelernt und konnten uns nicht entscheiden, in welchem wir wohnen wollten. Dann haben wir gesagt: Dann wohnen wir eben in allen! Uns war zwar gleich klar, dass das eine Schnapsidee war, aber sie ging uns nicht mehr aus dem Kopf. Also erzählten wir allen davon. Als ein Freund uns dann tatsächlich eine Wohnung für einen Monat angeboten hat, haben wir uns von unseren Möbeln getrennt und sind losgezogen.

Ihre Tochter Emma war knapp zwei Jahre alt, als Sie Ihren Umzugsmarathon starteten. War das für sie nicht sehr anstrengend?
Christina Horsten: Fast alle - allen voran unsere Eltern - haben gesagt: Was tut Ihr dem Kind bloß an? Stimmt: Emma hatte kein Vetorecht. Sie musste einfach mit! Aber natürlich war für uns immer klar, dass wir das Ganze abbrechen, wenn wir den Eindruck haben, dass Emma darunter leidet. Das Gegenteil war der Fall. Ich glaube, ihr hat es am meisten Spaß gemacht. Für sie war jede Wohnung wie ein neu entdeckter Spielplatz.

Haben Sie je ans Aufgeben gedacht?
Felix Zeltner: An dem Punkt waren wir mindestens ein Mal. Wenn man ein kleines Kind, zwei Fulltime-Jobs, keine Wohnung, dafür aber überzogene Kreditkarten hat - dann ist das vor allem Stress. Wenn du am 25. eines Monats nicht weißt, wo du am 1. des nächsten Monats mit deiner Familie schlafen sollst, macht dich das fertig. Auf der anderen Seite wuchs mit jeder Neighborhood die Faszination an der Reise - und wir wollten auch unseren Kritikern beweisen, dass es geht. Aufgeben kam eigentlich nicht in Frage.

Wie oft hat der Umzugsstress zum Ehestreit geführt?
Felix Zeltner: Selten! Wir sind ein gutes Team und sind schon immer viel zusammen gereist. Wenn man den Everest besteigt, hält man ja auch auf Gedeih und Verderb zusammen, anstatt zu streiten. Als Paar hat uns das Jahr in eine völlig neue Sphäre katapultiert. Uns kann eigentlich nichts mehr schocken.

Was haben Sie durch das ständige Umziehen gelernt?
Felix Zeltner: Zusammenhalten, reduzieren, die Menschen und nicht die vier Wände, die einen umgeben, als essenziell begreifen.
Christina Horsten: Ich wurde allerdings nicht über Nacht zur Minimalistin. Das war ein langer Lernprozess. Jedes Mal, wenn wir unser Zeugs durch enge Treppenhäuser geschleppt haben, haben wir beschlossen, uns von noch mehr zu trennen. Am Ende hatten wir jeder nur noch einen Koffer und eine Kiste für Emmas Spielzeug. Das war sehr befreiend. Bei unseren letzten Umzügen mussten wir so eigentlich gar nicht mehr packen, sondern nur noch die Koffer zuklappen.

Klingt so, als könnte die Netflix-Aufräum- und Wegwerf-Päpstin Marie Kondo noch etwas von Ihnen lernen.
Christina Zeltner: Auf keinen Fall. She is the queen!

Aber Sie haben bestimmt Tipps für einen möglichst stressfreien Umzug.
Christina Horsten: Klar! Erstens: Nie wieder zerfleddernde Pappkartons! Wiederverwendbare Plastikkisten sind praktischer. Zweitens: Ein Umzug ist die beste Gelegenheit zum Ausmisten. Weniger ist mehr.

Was war das Beste an Ihrer Odyssee durch New York City?
Felix Zeltner: Dass wir am Ende nicht nur einen bezahlbaren Kindergarten für Emma, sondern auch eine schöne neue Wohnung gefunden haben. Beides wäre ohne das Umzugsabenteuer nicht passiert. Dazu haben wir Hunderte neuer Menschen in unserem Leben - vom geheimnisvollen Buchhändler über den wütenden Anti-Gentrifizierungs-Aktivisten bis zum intellektuellen Obdachlosen. Insgesamt haben wir unglaublich viel Hilfsbereitschaft erfahren. Übers Ohr gehauen wurden wir nur ein einziges Mal. Für ein Fake-Wohnungsangebot haben wir online eine Anzahlung geleistet und standen vor verschlossener Tür. Die Algorithmen waren zum Glück schlauer und holten das Geld vom Betrüger zurück.

Was bedeutet Ihnen "Zuhause"?
Felix Zeltner:
Für mich war Zuhause die ersten 19 Jahre meines Lebens in Fischbach, ein eingemeindetes 5000-Seelen-Dorf bei Nürnberg. Dort habe ich mit meiner Familie in einem Jahrhunderte alten Fachwerkhaus gelebt. Seit dem Studium bin ich mit dem Rucksack viel durch die Welt gereist, oft zusammen mit Christina. Aber ich habe das Nomadentum nicht wie sie in die Wiege gelegt bekommen. Gemeinsam haben wir kapiert, wie wertvoll es ist, weiterzuziehen, Dinge hinter sich zu lassen, immer wieder aufzubrechen, das Glück außerhalb der Komfortzone zu suchen.Christina Horsten: Mein Papa war Diplomat. Ich wurde in New York geboren, bin jedoch in Bonn zur Grundschule und zum Gymnasium gegangen. Ich habe als Kind und als Jugendliche aber auch in Prag und in Berlin gelebt. Für mich ist Zuhause kein geografischer Ort, sondern eher ein emotionales Konzept. Zuhause ist dort, wo mein Herz und meine Familie sind.

Was unterscheidet Bonn und New York City voneinander?
Christina Horsten: Eigentlich sind die Unterschiede da gar nicht so groß, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Klar, New York ist deutlich größer, aber beide waren mal Hauptstadt, liegen an einem großen Fluss und werden von Menschen unterschiedlichster Herkunft bewohnt.

Vermissen Sie Deutschland manchmal?
Christina Horsten: Neben meiner Familie und Freunden vermisse ich vor allem den Karneval, Apfelschorle, Radler, Lakritz, Rosinenbrötchen und die Bundesliga. Ich bin BVB-Fan.

Sogar die New York Times hat schon über Sie berichtet ...
Christina Horsten: Ja, ich glaube, die fanden unser Projekt eine tolle Liebeserklärung an ihre Stadt. Wenn wir hingegen Deutschen von unserem Projekt erzählten, sagten sie meist: "Puh. Klingt stressig. Wollt ihr das wirklich machen?" Wenn wir New Yorkern davon erzählt haben, sagten sie meist. "Wow! Klingt cool! Macht das unbedingt!"
Felix Zeltner: Für Amerikaner ist nomadisches Leben generell kein so großes Ding. Sie ziehen zwei bis drei Mal häufiger um als Deutsche. Und in New York City gibt es fast ausschließlich befristete Mietverträge. Hier ist jeder ständig on the move.

Und wann ziehen Sie das nächste Mal wieder um?
Christina Horsten: Nicht so bald. Wir haben gerade einen Mietvertrag für zwei Jahre unterschrieben - zum ersten Mal, seit wir 2012 hierher kamen. Emma ist damit nicht einverstanden. Neulich hat sie gefragt, wann wir wieder umziehen. "Wie findest du es denn hier?", habe ich sie gefragt. Ihre Antwort: "Langweilig!"

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