Bregenzer Festspiele überzeugen mit "Kaufmann von Venedig"

Bregenz · Was passiert eigentlich, wenn man ein Opernwerk rund 30 Jahre nach seiner Entstehung zum ersten Mal aufführt? Wenn man sich an Bilder, Szenen und Klangwelten heranwagt, die vor so langer Zeit geschaffen, aber noch nie gezeigt und gehört wurden?

 "Der Kaufmann von Venedig" auf der Bühne. Foto: Karl Forster/Bregenzer Festspiele

"Der Kaufmann von Venedig" auf der Bühne. Foto: Karl Forster/Bregenzer Festspiele

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Die Bregenzer Festspiele haben am Donnerstagabend mit der Uraufführung von André Tchaikowskys "Kaufmann von Venedig" genau diesen Versuch gewagt.

Die Oper des polnisch-britischen Komponisten ist in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden. Tchaikowsky wagte sich damals an die Komödie von William Shakespeare, die Ende des 16. Jahrhunderts geschrieben wurde. Im Jahr 2013 kommt die Geschichte nun im Festspielhaus am Bodensee erstmals auf der Bühne, weitere Vorstellungen gibt es am 21. und 28. Juli.

Es gebe wohl nur zwei Möglichkeiten, schreibt Intendant David Pountney im Programmheft über die Inszenierung auf dem Musik- und Opernfestival. Entweder kämen diese "konservierten Früchte" einem vor wie altertümliche Relikte einer vergangenen Zeit. Oder sie erwiesen sich als bislang fehlendes Bindeglied: "Als etwas das wir in unserer historischen Entwicklung als Zuhörer, als Musikschaffende und Theaterbesucher unwissentlich vermisst haben."

Im Bregenzer Festspielhaus entpuppt sich das Werk von Tchaikowsky als ein Spiel mit Zeiten, Assoziationen und Stilrichtungen, das von Keith Warners Inszenierung und der Ausstattung von Ashley Martin-Davis gefühlvoll unterstützt wird. Die Geschichte wird beispielsweise mitunter in eine Atmosphäre der Zwanziger Jahre versetzt - so tritt etwa eine Band mit Sängerin in weißem Frack auf. Doch wer jazzige Klänge erwartet, wird überrascht. Die Musik, die von den Wiener Symphonikern unter Leitung von Erik Nielsen interpretiert wird, bleibt dem Opernstil treu, mitunter bringen Flötensoli sogar folkloristische Züge mit hinein.

Zwei Welten gibt es im "Kaufmann von Venedig": Die ernste, triste, strenge Welt der Männer und des Handelns, die Tchaikowsky mit kraftvollen, geradlinigen, schweren Klängen untermalt. Keith Warner und Ashley Martin-Davis setzen sie in entsprechend nüchterne, dezente Bilder um, in denen die Räume blass und die Anzüge der Männer dunkel bleiben. Ganz anders dagegen die Szenen in der Welt der Frauen: Sie kommt musikalisch mit überraschender Leichtigkeit daher, die im leuchtenden Grün von Portias Garten und den bunten Kleidern der Frauen ihre Spiegelung findet.

Einzig Antonio - dessen Homosexualität die Bregenzer mit einem flüchtigen, kaum gesehenen Kuss für Bassanio andeuten - steht zwischen diesen Welten. Countertenor Christopher Ainslie unterstreicht die Zerrissenheit und Einsamkeit des Kaufmanns gesanglich und schauspielerisch eindrucksvoll. Als Bassanio steht Charles Workman auf der Bühne, in der Rolle der Portia glänzt Magdalena Anna Hofmann.

Es ist ein vieldiskutiertes Rätsel, warum André Tchaikowsky sich ausgerechnet den "Kaufmann von Venedig" vorgenommen hatte - ein Werk, das oft mit Antisemitismus-Vorwürfen bedacht wurde. Der Komponist kam 1935 als Robert Andrzej Krauthammer in Warschau zur Welt. Mit Kriegsausbruch 1939 brachte man seine Familie ins Ghetto. Überlebt hat der Junge damals nur dank seiner Großmutter: Sie organisierte falsche Papiere mit dem Namen ihres Lieblingskomponisten Pjotr Iljitsch Tschaikowski und schmuggelte das Kind aus dem Ghetto. Später machte Tchaikowsky sich als Konzertpianist und Komponist einen Namen. Er starb 1982 in Oxford.

Vor diesem Hintergrund ist die Figur des Shylock spannend: In Bregenz erlebt man einen Mann, der aus einer Laune heraus einen grausigen Handel fordert und am Ende durch sein Beharren auf Recht und Rache gebrochen am Boden liegt. Es ist ein Wandel, den Bariton Adrian Eröd überzeugend und leidenschaftlich verkörpert. Das oft gemalte Bild des gierigen jüdischen Kaufmanns wird dabei abgelöst von dem eines Menschen, der eigentlich nur eines möchte: Die ihm rechtmäßig zustehende Akzeptanz und Anerkennung in der Gesellschaft. Und dem am Ende genau das genommen wird, was er sich hart und entschlossen erkämpfen wollte - seine Würde.

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