Monumentale Konzerte gegen den Hunger Das Woodstock der 80er

LONDON · Morgengrauen. Die ersten Sonnenstrahlen dringen durch die klirrende Kälte. "Sie beleuchten eine Hungersnot von biblischem Ausmaß, heute im 20. Jahrhundert", sagt der BBC-Journalist Michael Buerke. Seine Worte werden begleitet von schockierenden Bildern.

Bis auf die Knochen abgemagerte Kinder liegen am Boden. Ausgehungerte Menschen sitzen erschöpft auf dem ausgedörrten Staubboden und warten nur noch auf eines: den Tod. "Es ist die Hölle auf Erden", urteilt der Reporter über die Hungersnot in Äthiopien im Oktober 1984.

Neun Monate später warten Zehntausende Menschen im Londoner Wembley-Stadion auf die größten Stars der Rock- und Popszene, parallel finden sich im JFK-Stadion in Philadelphia in den USA Massen von Musikfans ein. Sie sowie weltweit rund 1,5 Milliarden Menschen vor den Bildschirmen werden das größte Benefizkonzert, organisiert im Kampf gegen das Elend in Afrika, sehen, das es bis dato gab. Der 13. Juli 1985 ging in die Geschichte ein. Der Plan? Die Macht der Musik als Antwort auf die Not der Hungernden.

Von Bob Dylan über Madonna bis Queen: Nie zuvor und nie danach standen so viele Superstars gemeinsam auf einer Bühne. Der Initiator des Spektakels, Bob Geldof, ging mit seinem Projekt unter dem Motto "Feed The World" in die Geschichte ein. Mehr als 100 Millionen Euro an Spenden kamen im ersten Anlauf zusammen.

Dabei war die Benefizshow nur die Fortsetzung einer Aktion, die Geldof bereits Monate zuvor gestartet hatte. Er schrieb, zusammen mit seinem Freund Midge Ure, das Lied "Do They Know It's Christmas Time" und schaffte es, im Studio eine Gruppe von Superstars zu versammeln. Allein in den ersten fünf Wochen verkauften sich drei Millionen Exemplare, das mittlerweile zum Klassiker gewordene Weihnachtslied entwickelte sich zur am schnellsten verkauften Single aller Zeiten.

Geldof gründete die Stiftung "Band Aid", um zu garantieren, dass die Erlöse auch wirklich in Afrika ankamen. Probleme mit der Auslieferung der Hilfsgüter tauchten auf, eine weitere Spendenaktion sollte Abhilfe schaffen. Ein Riesenkonzert. Das größte überhaupt. 16 Stunden lang. Zuschauer des "Woodstocks der 80er Jahre" wurden Zeugen, wie bei der Wiedervereinigung von Led Zeppelin Phil Collins am Schlagzeug saß - Collins, der sowohl in London als auch in Philadelphia auftrat. Er flog mit dem Überschalljet Concorde über den Atlantik. Bob Geldof appellierte an die Weltgemeinschaft: "Geht heute Abend nicht in den Pub, bitte bleibt und gebt uns euer Geld", sagte er. "Es sterben gerade Menschen." Die in "Live Aid" umbenannte Stiftung sammelte laut Medienberichten 40 Millionen Pfund ein.

Doch die Wohltätigkeitsaktion und auch Geldof ernteten im Nachgang Kritik. Nie rissen die Vorwürfe ab. Auch nicht im Jahr 2005, als er mit "Live 8" an sein großes Erbe anknüpfen wollte und eine Reihe von Rockkonzerten auf der ganzen Welt organisierte, um ein Bewusstsein für die weltweite Armut zu schaffen. Sein Ziel? Kurz vor dem G 8-Gipfel Druck auf die Staatschefs aufzubauen. Beobachter verurteilten die Veranstaltungen als Versuch, das eigene Gewissen zu beruhigen.

2014 nahm der 63-Jährige dann eine vierte Version von "Do They Know It's Christmas" auf. Die Erlöse sollten für den Kampf gegen das Ebola-Virus in Westafrika eingesetzt werden. Aber die Zeiten haben sich gewandelt. Der britischen Autorin Kate Fox zufolge trage das Lied dazu bei, negative Vorurteile über Afrika weiterzuverbreiten und die Menschen auf dem Kontinent zu bevormunden. Viele Superstars wie Adele oder die Band Blur verweigerten sich 30 Jahre nach dem Riesenerfolg Geldofs Aufruf. Als "selbstgefällig" bezeichnete Lily Allen das Projekt. "Ich leiste lieber meinen Beitrag, indem ich richtiges Geld spende."

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