Dauerhafte Immunität fraglich Virologen uneins über Fälle von Zweit-Infektionen

Die Fälle, dass sich ein Mensch ein zweites Mal mit dem Coronavirus infiziert, häufen sich. Die Fachwelt schwankt in der Bewertung zwischen „Raritäten“ und „nicht überraschend“.

  Christian Drosten, Direktor, Institut für Virologie, Charite - Universitätsmedizin Berlin.

Christian Drosten, Direktor, Institut für Virologie, Charite - Universitätsmedizin Berlin.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Markus Wallrafen (59) aus Schwalmtal ist ein prächtiger Geiger, er wirkt als Stimmführer der Zweiten Violinen in der Neuen Philharmonie Westfalen. Seit einigen Tagen gilt er auch als medizinische Rarität, denn er ist zum zweiten Mal an dem neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 erkrankt. Von solchen Fällen hörte man immer mal wieder, sie wurden als erlesene Fundstücke durch die medizinische Fachwelt gereicht.

Möglicherweise sind es aber doch gar nicht so wenige Fälle, denn sie häufen sich. Was bedeutet das generell für die Immunität nach einer Infektion? Könnte es die von manchem ersehnte Herdenimmunität überhaupt geben? Und wäre ein Mensch während einer neuerlichen Infektion abermals ansteckend?

Für Experten wie Ralf Bartenschlager, den Chef-Virologen an der Universität Heidelberg, ist eine erneute Ansteckung mit Sars-CoV-2 nicht überraschend. Schließlich kenne man es bereits von den saisonalen Coronaviren, dass sich Patienten immer wieder infizieren und keine dauerhafte Immunität besitzen, sagt er. „Die saisonalen Coronaviren sind stabil in der Bevölkerung", so der Experte in der „Tagesschau“. 15 Prozent aller Erkältungskrankheiten würden jeden Winter durch sie verursacht, und man wisse, dass sie nur eine schwache Immunantwort auslösen. Das heißt, dass die Antikörper bereits nach wenigen Monaten wieder abnehmen. Erneute Infektionen mit saisonalen Coronaviren seien vollkommen üblich.

Die Frage ist, wie schwer jemand erkrankt, wenn er sich ein zweites Mal infiziert. Wallrafen berichtete von zwei relativen schweren Schüben mit deutlichen Krankheitssymptomen, einer im August, der zweite nun im Oktober. Beide Male hatte er zwar keine Lungenentzündung, aber fühlte sich sehr schlapp, hatte starken Husten und Kopfschmerzen. Beim zweiten Mal verlor er auch seinen Geruchssinn. Zwischenzeitlich war er allerdings zwei Mal negativ getestet worden.

Experten halten es sich nicht für gänzlich ausgeschlossen, dass es sich in Ausnahmefällen um ein und dieselbe Infektion handeln könne, dass also Virusreste sich im Körper eingenistet hätten und dann wieder aufgeflammt seien – und dass die Zwischentests vielleicht nicht ganz gründlich durchgeführt wurden. Jeder korrekt durchgeführte Abstrich ist ja für den Getesteten eher unschön, vor allem wenn er tief in die Nase und tief in den Rachen geht.

Gleichwohl dürften die meisten Menschen, die eine Covid-19-Erkrankung überstanden haben, für eine gewisse Zeit vor einer erneuten Erkrankung geschützt sein. „Da bin ich sehr zuversichtlich“, sagte der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité in seinem NDR-Podcast. Im Ausnahmefall, sagt auch er, könne es möglicherweise bei erneutem Kontakt mit dem Virus zu einer neuerlichen, oberflächlichen Infektion kommen, „eine schwere Lungenentzündung dürfte daraus aber nicht werden“. Und nicht minder wichtig: „Aufgrund der geringeren Viruskonzentration in solchen Fällen sollten daraus auch keine Infektionsketten mehr entstehen.“

Die immer wieder berichteten Fälle von neuerlichen Infektionen nannte Drosten im Gegensatz zu Bartenschlager „Raritäten“. Sie würden wahrscheinlich epidemiologisch, für die Verbreitung und für die Gefährlichkeit, nicht ins Gewicht fallen. Wissenschaftler würden von solchen Fällen in Mitteilungen berichten, Medien das aufgreifen und zahlreiche Fragen daraus ableiten, etwa hinsichtlich der Immunität oder der Wirk samkeit von Impfstoffen. „Das beschreibt nicht die medizinische Realität und den Normalfall.“

Dass Coronaviren nicht verschwinden, sondern endemisch werden und immer wieder neue Infektionen hervorrufen können, haben vor einigen Wochen Forscher der Universität Amsterdam in einer Studie veröffentlicht. Sie hatten zehn Menschen bis zu dreißig Jahre lang immer wieder auf saisonale Coronaviren untersucht. Alle Probanden hatten sich mehrfach mit einem der vier saisonalen Erkältungs-Coronaviren infiziert, und zwar auch mehrfach mit demselben Virus oder leichten Varianten davon.

Von solchen Statistiken hält Wallrafen nicht viel. Er habe sich massiv krank gefühlt und weiß nicht, wann er wieder ganz der Alte ist. „Schon vorher wusste ich durch Orchester-Kollegen aus Italien, wie schlimm dort die Lage und wie gefährlich die Krankheit ist“, sagt er. Von sich selbst sagt er: „Corona hat mir den Stecker gezogen.“ Jetzt versucht er – um im Bild zu bleiben – langsam wieder ans Stromnetz zu gehen.

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