Arte-Dokumentation "Berührungen" Die Welt der Sexualität behinderter Menschen in Arte-Doku

Bonn · Mechthild Gaßner hat für ihre Dokumentation „Berührungen“ Menschen beobachtet, die Behinderten den Traum von Sexualität erfüllen. Eine sensible Annäherung an eine tabuisierte Welt.

 Für Torsten ist das ein großer Tag: Edith kommt ihn besuchen – und mit ihr die Zärtlichkeit.

Für Torsten ist das ein großer Tag: Edith kommt ihn besuchen – und mit ihr die Zärtlichkeit.

Foto: Gassner

Torsten hat für den großen Tag das rote Hemd gewählt. Das etwas dunklere. Schließlich soll alles perfekt sein, wenn Edith kommt. Die beiden haben eine Verabredung. Zärtlich soll es werden. Es wird etwas anders sein als bei einem ganz normalen Paar. Torsten, 38 Jahre alt und Diplompolitologe, sitzt im Rollstuhl. Und Edith – mehr als ihren Vornamen gibt sie nicht preis – ist Sexualassistentin. Sie verschafft Torsten „Berührungen“. So jedenfalls hat Mechthild Gaßner ihre Dokumentation genannt, die an diesem Dienstag spät abends bei Arte den natürlichsten Vorgang der Welt in einer Welt beobachtet, die den meisten Menschen nicht einmal einen verschämten Seitenblick wert ist: die Welt der Sexualität von behinderten Menschen.

Die meisten sind „peinlich berührt, sehen weg oder haben Mitleid“, hat Torsten beobachtet. Er nimmt das nicht übel. Er stellt fest. Sex und Rollstuhl – da blockiert beim Menschen ohne Handicap gern die Vorstellungskraft. Filmemacherin Gaßner und ihr Kameramann Johann Feindt helfen ihm einfühlsam auf die Sprünge – und haben das Glück, gänzlich unverklemmte Männer und Frauen in den Mittelpunkt ihrer Geschichte stellen zu können.

Einen wie Torsten, der freimütig berichtet, wie das ist, ein ganz natürliches Bedürfnis zu haben, aber keine Partnerin, die es befriedigt. Sich dann auf eine Sexualassistentin wie Edith einzulassen und auf „Nachhilfe in Mädchenanatomie“ freuen zu können in dem Wissen, das vieles geht, nur eines nicht: sich verlieben. Edith meint zwar, man dürfe „auch die Erfahrung machen, Liebeskummer zu haben“. Aber natürlich ist Sex für sie in einer Partnerschaft etwas anderes als das, was mit einem Klienten geschieht. Trotzdem wurde sie Torstens „Testpilotin“.

Die Kamera verrät ihre Protagonisten nicht, wenn sie Torsten und Edith auf dem Weg zu „Wolke sieben“ (Torsten) beobachtet. Wie Gurte und Flaschenzug helfen müssen, um den Mann aus dem Rollstuhl aufs Bett zu bugsieren. Wie Ausziehen eher technisch als erotisch funktioniert. Und wie da warmes Wohlgefühl und Entspanntheit einsetzen, wo zuvor Herzklopfen war.

So häufig kommt es zwischen Torsten und Edith nicht zu solchen Begegnungen. Torsten spart drei Monate dafür, sich Ediths Besuche leisten zu können. Torstens Vater lässt Gaßner kurz berichten, wie etwa ein Beantragung von Unterstützung von staatlicher Seite aussehen könnte. Das, hört man, sei „entweder eine Komödie oder ein Drama“ – jedenfalls nichts, dem man sich freiwillig unterzieht. Dann schon lieber die Dienstleistung. Vom Sexualassistenten. Angeboten wird sie, das suggeriert die Dokumentation, wohl meist von Menschen – auch Männer sind selbstverständlich für Frauen da –, die Erfahrung im Umgang mit Behinderten haben. Die sich eingehend Gedanken machen darüber, was sie da tun. Frauen wie Nina de Vries. „Ich habe einen Fimmel für Leute, die nicht dazugehören“, erzählt sie. Dass sie „ein bisschen ein Helfersyndrom“ habe. Aber eines mit Grenzen: kein Geschlechtsverkehr, kein oraler Kontakt. Und „wenn ich das zu sehr brauche, dass andere mich brauchen“, weiß sie, „dann habe ich ein Problem“.

Es sind reflektierte Männer und Frauen, denen Mechthild Gaßner begegnet. Menschen, die sich einlassen. Die auch schon einmal Grenzen überschreiten. Die sich wiederfinden in der Zärtlichkeit menschlicher Wärme. Und die am Schluss etwas miteinander teilen, was genau das sein sollte: der natürlichste Vorgang der Welt.

Berührungen, 23.45 Uhr, Arte

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